Flüchtlingskinder:Was einem das Gewissen sagt

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Der weihnachtliche Vorstoß des Grünen-Politikers Habeck, Kinder aus Lagern in Griechenland nach Deutschland zu holen, hat einige Leser zu Meinungsbeiträgen motivert. Viele haben Verständnis für die Idee, manche warnen vor den Folgen.

Drei Jungen tragen Tüten mit portionierten Mahlzeiten von der Essensausgabe in ihre Unterkunft im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. (Foto: Jakob Berr)

Zu " Flüchtlingskinder nach Deutschland?" vom 24./25./26. Dezember:

Was spricht gegen die Hilfe?

Robert Habecks Vorschlag, Flüchtlingskindern die menschenunwürdigen Zustände aus den völlig überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln zu ersparen und sie in Deutschland aufzunehmen, hat verschiedene Reaktionen ausgelöst. Manche waren so zu erwarten, andere nicht. Dass Horst Seehofer sich "verärgert" zeigte, überrascht nicht, seine größte Sorge ist, dass Hilfe "falsche Anreize" setzen könnte.

Überraschend dagegen ist, wie die SZ meines Erachtens Habecks Vorstoß dar- oder vielmehr bloßstellt. Hier wird wieder einmal der Gegensatz von Gesinnungs- und Verantwortungsethik bemüht und die Frage gestellt, "ob gut gemeint gleich gut ist, oder das Gegenteil davon". Die Frage ist doch vielmehr, was wirklich dagegen spricht, den Kindern zu helfen, vor allem denen, die ohne Eltern in dem Camp vegetieren. Die Befindlichkeiten von Horst Seehofer sind demgegenüber irrelevant.

Insgesamt ist es eine Unsitte, Nachrichten mit den Meinungen der Autoren zu vermischen. Für Letztere gibt es doch die Meinungsseite.

Dr. Eduard Belotti, Augsburg

Die Kinder retten!

Innenminister Horst Seehofer zeigt sich verärgert über den Vorstoß von Robert Habeck, 400 elternlose Kinder aus Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln nach Deutschland zu holen, das heißt: Sie zu retten! Gleichzeitig berichtet der Bundesfinanzminister stolz über einen Budgetüberschuss im Haushalt. Trotzdem schämt sich der Innenminister nicht, diese humanitäre Initiative (auch aus Kostengründen?) zu kritisieren! Und ja - horribile dictu! - es könnten noch einige Hundert Kinder nachkommen!

Herr Seehofer, war da etwas mit einem Kind in der Krippe vor 2000 Jahren, das wir Christen gerade dieser Tage bedenken? Vielen Dank an Bischof Bedford-Strohm für die Erinnerung: Auch Maria, Josef und Jesus waren Flüchtlinge!

Kurt Kantner, Rosenheim

Es gibt keinen falschen Zeitpunkt

Der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, hat dazu aufgerufen, Flüchtlingskinder aus den überfüllten griechischen Lagern zu holen. Bundesinnenminister Horst Seehofer hält dies für unredliche Politik zu einem durchschaubaren Zeitpunkt. Apropos Zeitpunkt: Horst Seehofer hat im Juli 2018 gesagt: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden."

Im Gegensatz zu dieser Aktion damals gibt es keinen falschen Zeitpunkt, sich zumindest um unbegleitete Flüchtlingskinder auf den seit 2015 völlig überlasteten griechischen Inseln in der Ostägäis zu kümmern.

Dr. Franz Bethäuser, München

Bewusster Antihumanismus

"Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich", hat unser Altbundespräsident Joachim Gauck vor nicht allzu langer Zeit hinsichtlich der sogenannten Flüchtlingskrise und der Integration von Flüchtlingen in Deutschland erklärt. Wie wenig weit unser Herz und wie endlich unsere Möglichkeiten indes tatsächlich sind, mag er dabei kaum geahnt haben. Er mag auch kaum geahnt haben, dass die EU nach wie vor nicht fähig, weil nicht willens ist, eine menschliche und strukturierte Asylpolitik zu betreiben. Im Gegenteil. Nicht ohne Absicht werden de facto Antihumanismus und die Unterfinanzierung notwendiger Rettungsmaßnahmen verwaltet. Allein bei dieser strategischen Abschreckung von Migranten agiert Europa zynischerweise als Einheit, die sie, was propagierte Werte und Normen betrifft, längst nicht (mehr) ist.

Ira Bartsch, Lichtenau-Herbram

Flüchtlingspolitik mit Struktur

Es ist schade, dass auch Grünen-Politiker nicht davor zurückschrecken, Anlässe wie jetzt das Weihnachtsfest für die Flüchtlingsthematik zu instrumentalisieren. Wer Augenmaß und Bereitschaft für verantwortliches Handeln sucht, wird das bei unseren Politikern, auch denen auf europäischer Ebene, wohl nicht finden. Deutschland kann dieses die ganze EU betreffende Thema nicht mit einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Aktionismus im Alleingang lösen. Ebenso wenig, wie es eine Schiffsrettungsaktion der Evangelischen Kirche Deutschlands können wird.

Wer nur Menschen ins Land holen will, ohne sich weiter um deren Schicksal und deren langfristige Perspektive in unserem Land zu kümmern - das beinhaltet sowohl das Thema Integration im Allgemeinen als auch Wohnen, Arbeiten sowie die Forderung an alle Ankommenden, sich in unsere Wertegemeinschaft zu integrieren -, handelt nicht verantwortlich, sondern verlagert Probleme, ohne Lösungen in der Tasche zu haben.

Erforderlich ist endlich ein gemeinsames und koordiniertes Handeln aller EU-Mitglieder, auch mit kurzfristigen Sanktionen für diejenigen, die nicht mitziehen. Eine jetzt schon überforderte EU ständig um Staaten zu erweitern, die den damit verbundenen Verantwortlichkeiten nicht gerecht werden wollen oder können, ist verantwortungslos. Bestes Beispiel sind die Auswirkungen, die mit den Arbeitsmigranten aus Rumänien und Bulgarien verbunden sind. Auch hier wurden und werden Entscheidungen auf EU- wie auf Bundesebene getroffen, ohne jegliche Bereitschaft, die Konsequenzen, die dann vor Ort folgen, zu sehen, mitzutragen oder bezahlen zu wollen.

Wer eine weitere Spaltung unserer Gesellschaft sozial, politisch und religiös vermeiden will, sollte Worten endlich ernst gemeintes Handeln folgen lassen oder besser schweigen. Das gilt auch für die salbungsvollen Reden unseres Bundespräsidenten zu Weihnachten und zum Jahreswechsel.

Oliver Schulze, Detmold

Eine unberechenbare Geste

2015 sollte es auch eine "Geste" sein, und dann wurden es plötzlich eine Million Menschen.

Klaus Scheffler, Kirchheim

© SZ vom 16.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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