Deutschtürken:Integration ist eine Bringschuld

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Mit großer Mehrheit haben die in Deutschland lebenden Türken den türkischen Präsidenten Erdoğan gewählt. Das findet eine Leserin sehr befremdlich. Eine andere beschreibt den aus ihrer Sicht wahren Skandal hinter der Affäre Özil/Gündoğan.

" Einer von uns" vom 26. Juni: Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Integration nicht gelingen kann, dann haben ihn die 1,4 Millionen wahlberechtigten Deutschtürken erbracht. Seit drei Generationen sind sie hier, in einem Land, das ihnen alle Freiheiten gewährt, in dem sie leben, zur Schule gehen, arbeiten, studieren, frei ihre Meinung äußern dürfen, und sie wählen einen Mann, der die Türkei auf direktem Weg in die Diktatur führt. Ohne selbst mit Erdoğans Unrechtsstaat zurechtkommen zu müssen, verurteilen sie die Menschen in der Türkei dazu. Angesichts des doch recht knappen Ausgangs der Wahl, wäre es interessant zu erfahren, ob Erdoğan ohne die Stimmen aus Deutschland auch so klar gewonnen hätte.

Luisa Seeling begründet die 66 Prozent damit, dass die Deutschtürken sich ausgegrenzt fühlten und aus einer Trotzreaktion gehandelt hätten. Wenn an deutschen Schulen in Berlin kein Schweinefleisch mehr auf den Tisch kommt, wenn im Ruhrgebiet Schulen Burkinis für den Schwimmunterricht kaufen, wenn angehende Richterinnen und Lehrerinnen um das Tragen eines Kopftuchs vor Gericht ziehen, dann darf man - mit Verlaub - daraus den Schluss ziehen, dass sie für diese Ausgrenzung selbst sorgen. Integration ist in erster Linie eine Bringschuld, das wird leider vergessen.

Renate Seitz, München

Der Skandal liegt ganz woanders

Die Reportage von Holger Gertz "Alles muss raus" vom 29. Juni ist wie immer ein beeindruckend recherchiertes und geschriebenes Stück Journalismus. In weiten Teilen stimme ich seiner Einschätzung zu. Im Resümee, was Mesut Özil anbetrifft, kann ich dem Autor leider nicht folgen. Denn die Geschichte des schwedischen Spielers Durmaz mit Migrationshintergrund lässt sich mit dem Fall Özil (genauso wie mit dem von Gündoğan) nicht vergleichen. Es ging eben zu Beginn nicht um Rassismus, sondern um einen deutschen Nationalspieler, der für einen türkischen Autokraten und Menschenrechtsschänder Imagewerbung betrieb, und ihn zusammen mit Gündoğan als "seinen Präsidenten" titulierte.

Man muss schon das ganze Konzept für Nationalmannschaften infrage stellen, wenn man sich darüber wundert, dass deutsche Fans der deutschen Nationalmannschaft es nicht für gut befinden, wenn ein Spieler dieser Nationalmannschaft in dieser Art einem türkischen Präsidenten huldigt und nicht den Hauch eines Versuches macht, das als Fehltritt zu erklären und sich dafür zu entschuldigen. Was im Nachgang Rassisten daraus gemacht haben, steht auf einem anderen Blatt, hat aber mit der ursprünglichen Geschichte nichts zu tun. Das hat wohl auch der Rest der Nationalmannschaft so gesehen, weshalb eine Solidaritätserklärung ausblieb.

Der eigentliche Skandal ist für mich dieser: Özil und Gündoğan haben sich nicht mit der ganzen Macht ihrer Fußballer-Prominenz bei Erdoğan dafür eingesetzt, dass zum Beispiel die über 100 inhaftierten Journalisten in der Türkei freigelassen werden. Diesen Özil-Gündoğan-Auftritt zu verachten, ist für mich kein Rassismus. Und dabei ist es übrigens völlig egal, ob die Spieler Verwandtschaft in Opole, Gelsenkirchen, Izmir, Tunis oder Kempten haben.

Gabriele Heigl, Pliening

© SZ vom 09.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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