Bürgerinitiativen:Berechtigter Trotz?

Lesezeit: 3 min

Ist Widerstand gegen wichtige Großprojekte Ausdruck von Volkswille oder behindert er Klima- und Verkehrswende?

Gegen Großprojekte wie das der Deutschen Bahn in Nürnberg regt sich wachsender Widerstand. Zwar wollen die Gegner die Verkehrswende, dass dafür Wald gerodet wird, lehnen sie aber ab. (Foto: Bund Naturschutz)

Zu "Republik der Nein-Sager" im Ressort Wirtschaft vom 7./8. August:

Transparenten Dialog führen

Der Artikel von Uwe Ritzer beschreibt wunderbar die Zielkonflikte bei großen Infrastrukturprojekten im Rahmen der Klima-, Verkehrs- und Energiewende. Allerdings widerspreche ich dem zitierten Professor Dieter Rucht, der feststellt, Bürgerbeteiligung werde immer wichtiger und aufwendiger, was Projekte langwieriger und teurer mache. Meiner Erfahrung nach hilft es, sehr frühzeitig einen wirklich ehrlichen und transparenten Dialogprozess mit allen Interessensgruppen zu gestalten. Frühzeitige und kontinuierliche Beteiligung kann zu intelligenteren Lösungen, zu mehr Akzeptanz bei geringeren Kosten und kürzerer Planungs- und Bauzeit führen. Dafür gibt es viele Beispiele mit bewährten Verfahren. Nicht Bürgerbeteiligung, sondern fehlende oder mangelhafte und unehrliche Kooperation zwischen Vorhabenträgern, Politik, Verwaltung, Verbänden, direkten Anliegern und engagierten Bürgern wirken kostentreibend und verzögern die Planungen.

Wolfgang Himmel, Konstanz

Deckmantel Klimaschutz

Den betroffenen Bürgern eine Stimme zu versagen, ist demokratiefeindlich. Zum Falle des geplanten ICE-Werks in Nürnberg: Im Gegensatz zur Politik und der Deutschen Bahn formieren sich die Bürgerinitiativen mittlerweile gemeinschaftlich für ein Werk, welches natur- und menschenverträglich ist. Wir lehnen das Sankt-Florians-Prinzip, welches der Artikel uns vorwirft, entschieden ab. Die Bahn als einer der größten Immobilieneigner im Bund hat ausreichend bereits bebaute, eigene Flächen zur Verfügung, auch Industriebrachen bei Knotenpunkten wie Ingolstadt wurden aktiv angeboten.

Das Münchner ICE-Werk ist ebenfalls auf einer solchen Fläche entstanden. Dass die Bahn dennoch an ihrer Planung festhält und das zweitgrößte ICE-Werk als Präzedenzfall auf meines Erachtens ökologisch wertvollen Flächen, unter Zerstörung der Flora und Fauna, plant, dabei auch noch von der Politik unterstützt wird - unter dem Deckmantel des Klimaschutzes -, ist bodenlos. Wir sprechen von danach voll versiegelten Ackerflächen, Bannwäldern und Feuchtwiesen, welche gerade jetzt zu Zeiten der Regenkatastrophen wichtige natürliche Rückhalteflächen für die umliegenden Flächen sind. Wir Bürgerinitiativen sind FÜR den Klimaschutz, FÜR eine Energiewende und auch FÜR ein ICE-Werk, aber auf bereits bebauter Fläche, ohne Zerstörung der Natur. Und dass dies möglich ist, beweist die Bahn bereits - mit allen bisherigen Werken, darunter auch das in der Stadt München. Und bezüglich der Arbeitsplätze: im genannten Nürnberger Ausbesserungswerk wird bereits über die baldige Schließung gemunkelt - man würde dann Stellen im neuen Werk bekommen. So viel also zu "neuen" Arbeitsplätzen und zum dann erfolglosen Kampf von Petra Wedel, einstige Betriebsrätin der Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft.

Dr. Monika Maier-Peuschel, Burgthann

Betroffene vor Ort anhören

Nicht die ganze Republik ist ein Ort der Nein-Sager, es gibt in ihr nur viele Orte der Nein-Sager - daher der Widerspruch, der wichtige Projekte gefährdet. Es sind zwei völlig verschiedene Dinge, die der Autor den Lesern vorstellt: die Verkehrswende und der Nürnberger Reichswald (ein Kulturwaldgebiet), die Energiewende und Solar- und Windradfelder. Es ist nicht ganz fair, den Protest auf das "Not in my backyard"-Prinzip zurückzuführen. Wer, wenn nicht die vor Ort Betroffenen, sollen sich gegen Auswirkungen vor Ort verwahren? Das Problem könnte sein, dass nicht alle Betroffenen, auch die nicht vor Ort, zu Wort kommen. Verkehrswende geht die ganze Republik an, der Reichswald nur die Nürnberger. Wie soll man demokratisch mit Problemen umgehen, die alle angehen, doch nur wenige vor Ort betreffen? Die parlamentarische Demokratie hat immer das Problem, dass sie zwar Minderheiten zu Wort kommen lässt, aber dennoch Mehrheiten das Sagen haben. Die überörtlichen Mehrheiten wollen die Klima-, Verkehrs- und Energiewende, doch es sind die vielen örtlichen Minderheiten, die von den Auswirkungen betroffen sind. Es ist mühsam und langwierig, die Zustimmung aller einholen zu müssen, aber immer noch besser als ungefragte Hauruck-Entscheidungen.

Gabi Baderschneider, Sinzing

Meeresschutzgebiet erhalten

Der Artikel mag in vielen Beispielen recht haben, dass wir als Gesellschaft leider dem Sankt-Florian-Prinzip anhängen. In Sachen Feste Fehmarnbeltquerung, der geplanten Verkehrsverbindung zwischen Fehmarn und Dänemark, muss ich dem Autor jedoch widersprechen: Alle relevanten Parteien und Regierungen predigen seit Jahren in ihren Programmen das Prinzip "Von der Straße auf die Schiene", besonders was den Schwerlast-Fernverkehr betrifft. Der Absenktunnel im Belt pervertiert aber diese Absichten in das Gegenteil, weil neben der Bahntrasse eine vierspurige Autobahn mittels des Tunnels in den Meeresboden gebaggert werden soll. Die Refinanzierung des Tunnels wird über den dafür eingerichteten Straßenverkehr erst möglich. Wir als "Beltretter" hätten gegen einen wesentlich preiswerteren Bohrtunnel für ein bis zwei Schienenstränge kaum etwas einzuwenden gehabt. Statt eine durchgehende Autobahn von Stockholm nach Sizilien zu bauen, sind Huckepacksysteme für den Schwerlastverkehr preiswerter, sauberer, sicherer, schneller und sozial verträglicher. Das Fauna-Flora-Habitat-Gebiet des Belts, in dem selbst das Angeln verboten ist, wäre das geblieben, was es ist: ein Meeresschutzgebiet.

Wolfgang Kausch, Lübeck

© SZ vom 25.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: