Auschwitz-Prozess:Grotesk und falsch

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Ein ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof weist auf die Entscheidung des BGH vom Ende der 60er-Jahre zum Thema Auschwitz hin. Er hält den derzeitigen Prozess in Detmold daher auch für menschenunwürdig.

Der Bericht "Kein Wort" vom 19. April über den KZ-Prozess gegen den früheren SS-Wachmann Hanning vor dem Landgericht Detmold ist anschaulich. Es bedarf aber einiger Klarstellungen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Ende der 60er-Jahre geurteilt, dass die bloße Zugehörigkeit zum Lagerpersonal, etwa als Wachmann, nicht ausreicht für die Annahme einer Beteiligung an den dort verübten Massenmorden. Das war geltendes Recht bis zum sogenannten Demjanjuk-Prozess. Es ist nie in Frage gestellt worden, auch nicht von der Zentrale zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Mit Versäumnissen oder Lustlosigkeit der Justiz hat das nichts zu tun. Erst das Landgericht München vertrat die Auffassung, jeder im KZ beschäftigte SS-Mann sei als "Teil der Mordmaschinerie" strafrechtlich für das verbrecherische Geschehen mitverantwortlich. Eine Revisionsentscheidung des BGH dazu liegt bisher nicht vor, wie es im Artikel zutreffend heißt.

Offenbar war die Münchener Entscheidung Anlass für die Zentralstelle in Ludwigsburg, in ihren Unterlagen nach vielleicht noch lebenden und verhandlungsfähigen SS-Leuten zu suchen und sie über die willigen Staatsanwaltschaften anklagen zu lassen. In einigen wenigen Fällen ist das gelungen, zwei sind schon verurteilt, zwei schon gestorben Da die Angeklagten inzwischen alle über 90 Jahre alt sind, kommt es zu grotesken Streitigkeiten über ihre Verhandlungsfähigkeit.

Es liegt auf der Hand, dass die alten Männer dem Geschehen kaum folgen können und wollen, ja es kann sein, dass die Gerichtsverfahren und ihre notwendige Prangerwirkung für sie lebensgefährlich werden können. Haben wir es doch schon erleben müssen, dass Angeklagte auf der Bahre in den Gerichtssaal gebracht worden sind, vom Rollstuhl ganz abgesehen. Und das alles mehr als 70 Jahre nach den Geschehnissen und rund ein halbes Jahrhundert nach den alten Auschwitz-Prozessen, verbunden mit einem großen Aufwand von Nebenklägern und überlebenden Opfern, die noch einmal ihr Elend schildern wollen, ohne dass das zur Aufklärung beiträgt.

Nebenbei: Gerichtssäle sind kein Forum dafür. Ich empfinde das alles als grotesk, menschenunwürdig und rechtlich mehr als fragwürdig. Es wäre wünschenswert, wenn die Gerichte dem sehr bald ein Ende machen würden. Dr. Ernst Ankermann, Altenholz, Richter am BGH a.D.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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