ZVS:Wirre Wege zum Campus

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Seit der Entmachtung der ZVS suchen sich die Unis ihre Studenten meist selbst aus. Seitdem herrscht Chaos: Entweder sind die Hörsäle überfüllt - oder viele Plätze bleiben leer.

Charlotte Frank

Eine Abiturnote von 1,7 ist an sich eine sehr gute Leistung, doch ein Studienplatz in Medizin ist Anna Werner damit alles andere als sicher. Um ihre Chancen zu erhöhen, bewirbt sich die 20-Jährige deshalb bei möglichst vielen Universitäten: "Irgendwo muss es ja klappen." Der Aufwand dafür ist enorm: Seit den Hochschulen 2005 das Recht zuerkannt wurde, 60 Prozent ihrer Medizinstudenten selbst auszusuchen, herrschen überall unterschiedliche Anforderungen für die Bewerbung. "Das ist unglaublich kompliziert", klagt Anna. In Berlin zum Beispiel gab es Punkte für gute Noten in Englisch und Deutsch. In Heidelberg musste sie einen Studierfähigkeitstest durchlaufen. Die Uni Würzburg hingegen achtet besonders auf die Noten in naturwissenschaftlichen Fächern.

Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen: Früher als "bürokratisches Monster" verschrien, soll sie heute Probleme lösen. (Foto: Foto: dpa)

Vor 2005 hätte Anna es leichter gehabt: Damals reichte es aus, eine einzige Bewerbung bei der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) einzureichen. Doch die Behörde, als "bürokratisches Monster" verschrien, wurde entmachtet, heute suchen sich die Hochschulen ihre Studenten meist selbst aus. Dennoch durchläuft die ZVS derzeit eine so tiefgreifende Reform, dass sie womöglich bald wieder zu bundesweiter Bedeutung aufsteigen wird. "Ohne eine zentrale Koordinationsstelle funktioniert das System einfach nicht", sagt ZVS-Sprecher Bernhard Scheer.

Komplizierte Nachrückverfahren

Im Kern lässt sich ihm wohl kaum widersprechen. Denn die Autonomie der Hochschulen brachte im Zulassungsverfahren vor allem eines mit sich: Chaos. Wenn sich künftige Studenten wie Anna an mehreren Unis oder für mehrere Fächer gleichzeitig bewerben, gibt es keine zentrale Instanz mehr, die das überwacht. Die Konsequenz nennt Ulla Burchardt (SPD), Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, "fatal": Durch die Mehrfachbewerbungen erhalten viele Aspiranten mehr als eine Zusage. Welche davon sie annehmen, merken die Hochschulen aber erst nach Ablauf der Immatrikulationsfrist. So bleiben sie nach der ersten Vergaberunde auf zahlreichen Plätzen buchstäblich sitzen und müssen den Überschuss in komplizierten Nachrückverfahren verteilen. Oft ist das zu dem späten Zeitpunkt aber gar nicht mehr möglich.

Viele Hochschulen sind deshalb dazu übergegangen, ihre Kapazitäten dramatisch zu überbuchen. In Köln etwa werden teilweise bis zu viermal mehr Zusagen verschickt, als es Plätze gibt. Auch die Münchner Universität vergibt Plätze oft mehrfach, "trotzdem sind teilweise Nachrückverfahren erforderlich", sagt Sprecherin Luise Dirscherl. Eva Opitz von der Uni Freiburg rechnet vor, was das für die Hochschulen bedeutet: "Im Wintersemester 2007/08 hatten wir in Jura 2400 Bewerbungen für 320 Plätze, von denen wir 1800 zugelassen haben. Doch nur 279 haben sich eingeschrieben, 41 Plätze blieben frei." Kommen dagegen mehr Studenten, als die Hochschule ursprünglich erwartet hat, sitzen die Studenten in völlig überfüllten Hörsälen.

Problematische Mehrfachzusagen

Es ist eine fast ironische Wendung, dass nun ausgerechnet die ZVS dieses Dilemma lösen soll, durch deren Entmachtung es doch erst entstanden ist. Einem Beschluss der Kultusministerkonferenz von 2007 zufolge soll sie in eine Stiftung verwandelt werden, die als zentrale Beratungs- und Servicestelle für Studienbewerber und Hochschulen agiert. Künftig sollen Bewerber ihre Unterlagen nur noch mit einem einzigen Formular bei der ZVS einreichen, mit einer Prioritätenliste ihrer Studienwünsche. Dort werden sie überprüft und an die Unis weitergeleitet. "Wir werten nicht mehr nach zentralen einheitlichen Kriterien aus, sondern im Auftrag der Hochschulen, nach deren individuellen Wünschen", erklärt der ZVS-Sprecher.

Dieses Verfahren erspart den Universitäten viel Verwaltungsarbeit, und das Problem der Mehrfachzusagen entfällt. Denn alle Hochschulen, die sich zur Aufnahme des Bewerbers bereiterklären, teilen das der ZVS mit - nicht mehr dem künftigen Studenten. Die Zentralstelle sammelt also alle Zusagen, sendet dem Bewerber aber nur noch eine zu. Die verbleibenden, ungenutzten Plätze könnten dann sofort weiter verteilt werden.

Auf der nächsten Seite: Warum die Hochschulen dem Projekt noch skeptisch gegenüber stehen.

Probelauf in BWL, Jura und Psychologie

Kann die Reform also das Vergabe-Chaos lösen? "Höchstens theoretisch", meint Nadja Dwenger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Denn das neue System funktioniert nur, wenn möglichst viele Hochschulen die Dienste der reformierten ZVS in Anspruch nehmen. "Solange nur ein Teil mitmacht, bleibt es beim alten Durcheinander", kritisiert Dwenger. Dann müssten sich die künftigen Studenten für einen Teil der Hochschulen zentral bewerben, für den anderen weiterhin individuell.

Vor 2010, wenn alle 16 Länderparlamente die Reform ratifiziert haben sollen, wird nicht mit der flächendeckenden Einführung des neuen Systems gerechnet. Bis dahin wird der ZVS-Service nur getestet. Zum kommenden Wintersemester startet ein Probelauf in BWL, Jura und Psychologie, für den die erste Bewerbungsfrist am 31. Mai endet. Doch die Hochschulen stehen dem Projekt offenbar noch skeptisch gegenüber. In BWL haben bisher nur die Universitäten Augsburg, Kiel, Mainz und München ihre Teilnahme zugesagt, in Jura kommt noch Saarbrücken hinzu. In Psychologie nimmt bislang nur die TU Darmstadt die Dienste der ZVS in Anspruch.

"Es ist zwar nur ein Probelauf, aber wir hätten uns eine regere Beteiligung gewünscht", bedauert Scheer. Dennoch ist er für die Zukunft optimistisch. Der Andrang auf die Hochschulen wird mit der Ankunft der geburtenstarken Abiturjahrgänge deutlich steigen. Dann kämen die Universitäten kaum noch um die Hilfe der ZVS herum, glaubt Scheer. Ulla Burchardt vom Bundestags-Bildungsausschuss reicht diese vage Hoffnung allerdings nicht. Sie fordert kompromisslos: "Die Hochschulen müssen zu einer Teilnahme an dem neuen Verfahren verpflichtet werden." Ansonsten, meint sie, bleibe es bei der derzeitigen Situation für Studienbewerber. Und die sei "unzumutbar".

© SZ vom 19.5.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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