Zuwanderung:Diagnose: undurchlässig

Lesezeit: 3 min

Ärzte, die nicht aus der EU sind, bekommen an deutschen Kliniken kaum ein Bein auf den Boden.

Von Jeannette Goddar

Deutsche Ärzte sind umworben, auch im Ausland. In England, Norwegen und Schweden sind längst ganze Krankenhaus-Abteilungen in deutscher Hand. Aber auch in entlegeneren Gegenden der Welt, in Doha, Polynesien oder dem australischen Outback werden immer wieder deutsche Mediziner gesucht.

Die Abwanderung bleibt nicht ohne Folgen. In Deutschland sucht manche Klinik, vor allem in den neuen Bundesländern, vergeblich qualifiziertes Personal. Und deshalb gehen Klinikärzte in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt inzwischen denselben Weg wie der National Health Service oder die polynesische Klinik unter Palmen: Sie sehen sich nach ausländischen Medizinmännern um. 15.000 Ärzte ohne deutschen Pass verzeichnet die Bundesärztekammer; 1990 waren es noch knapp unter 10.000.

An Interesse, nach Deutschland zu kommen, mangelt es nicht. "Die Nachfrage ist groß", sagt Sibylle Golkowski, Sprecherin der Ärztekammer Berlin. Vor allem aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und aus der Türkei kämen viele Anfragen. "Im Ausland hat die deutsche Medizin immer noch einen sehr guten Ruf", sagt Ahad Fahimi, Vorsitzender der Vereinigung deutsch-ausländischer Ärzte. Und natürlich ließen auch die höheren Gehälter Deutschland attraktiv erscheinen.

Leicht gemacht wird es ausländischen Ärzten aber nicht. Wer nicht aus einem EU-Land kommt - und das ist die überwiegende Mehrheit - kann zunächst lediglich auf eine Berufserlaubnis für drei oder vier Jahre hoffen. Um sie zu bekommen, muss man nachweisen, dass man denselben fachlichen Standard hat wie ein angehender Arzt an einer deutschen Uni. Gibt es daran Zweifel, wird bestenfalls eine eingeschränkte Berufserlaubnis erteilt - beispielsweise mit den Auflagen, zunächst ein zwölf- bis achtzehnmonatiges Praktikum zu machen oder nur unter Aufsicht zu arbeiten.

Das größte Hindernis auf dem Weg zu einem dauerhaften Aufenthalt stellt sich aber erst nach Ablauf der Berufserlaubnis: Eine Approbation erhalten Nicht-EU-Ausländer nur, wenn sie eine "Einbürgerungszusicherung" haben. In der Praxis sind das nur Ärzte, die einen deutschen Ehepartner haben, oder Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion. Unter den 5000 ausländischen Ärzten, die seit dem Mauerfall ins Land gekommen sind, stammt der größte Teil aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken.

Traurige Fälle

Doch auch für sie ist der Weg zur Approbation schwieriger geworden. Seit zwei Jahren müssen sich im Ausland ausgebildete Ärzte eine so genannte "Gleichwertigkeitsprüfung" ablegen. Darin werden sie mündlich und in deutscher Sprache auf das medizinische Allgemeinwissen eines deutschen Uni-Absolventen im dritten Staatsexamen getestet. Die Durchfallquoten liegen je nach Bundesland bei bis zu fünfzig Prozent.

An mangelnder Qualifizierung liegt das häufig nicht. Jutta Schnippering, die bei der Otto-Benecke-Stiftung für die Eingliederung ausländischer Ärzte zuständig ist, hat inzwischen einen Ordner angelegt, auf den sie "Traurige Fälle" geschrieben hat. Einer dieser traurigen Fälle ist Igor Wassiljew (Name geändert). 17 Jahre lang arbeitete Wassiljew als Herzchirurg in Russland. Nach drei Jahren an einer deutschen Klinik meldete er sich zur Gleichwertigkeitsprüfung an. Der promovierte und habilitierte Herzspezialist fiel durch. "Dass jemand, der seit zwanzig Jahren als Facharzt arbeitet, durch eine allgemeinmedizinische Prüfung fällt, ist wenig überraschend", sagt Schnippering. "Das würde auch Deutschen passieren." In einem halben Jahr wird Wassiljew erneut versuchen, die Prüfung zu bestehen. Zurzeit jobbt er als Krankenpfleger.

Auch Ahad Fahimi kennt viele solcher Geschichten. "Wer nicht aus der EU kommt, hat es schwer", sagt er. Fahimi hatte Glück: Nach dem Mauerbau waren Ärzte in Berlin Mangelware. Im Herbst 1963 habe er als iranischer Chirurg, der in Istanbul studiert hatte, "relativ unbürokratisch" eine Berufserlaubnis bekommen. Anfang der siebziger Jahre erhielt Fahimi dann sogar eine eingeschränkte Niederlassungserlaubnis - unter der Auflage, nur ausländische Patienten zu behandeln. Als es immer mehr türkische Patienten gab, die sich mit ihren deutschen Ärzten nicht verständigen konnten, kamen Mediziner wie Fahimi gerade recht. Heute ist der 72-jährige Fahimi Deutscher, voll approbiert - und seit über vierzig Jahren Arzt in Deutschland.

Fahimi geht fest davon aus, dass es für ausländische Ärzte bald einfacher werden wird, hier Fuß zu fassen: "Wie will man dem Ärztemangel denn sonst begegnen?" Von einer Greencard-Regelung hält er aber ebenso wenig wie Jutta Schnippering, die fast alle ausländischen Ärzte in Deutschland auf dem Weg zur Approbation begleitet. Wer hierher komme, sagt sie, wolle sich dauerhaft niederlassen und nicht nach fünf Jahren schon wieder gehen müssen. Und Ärzte könnten, anders als etwa IT-Spezialisten, ihren Job schlicht vergessen, wenn sie nicht fließend Deutsch sprächen. Schnippering: "Für ein paar Jahre macht sich keiner die Mühe, unsere Sprache zu lernen."

© SZ vom 10.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: