Zukunft der Arbeit:Kollaps des seelischen Immunsystems

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SZ-Serie: Wird Informationsüberflutung eine anerkannte Berufskrankheit?

Sylvia Englert

(SZ vom 17.3.2001) "Wenn Sie heute an Ihrem Arbeitsplatz sitzen und waren zwei Tage weg, dann finden Sie in ihrer Mailbox unzählige E-Mails", seufzt Friedbert Holz aus der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von BMW. "Weil es so einfach ist, mailt heute jeder fast jeden Mist. Aber mich kostet es mindestens eine Stunde mehr im Büro am Tag, weil sich gleichzeitig an der Zahl der Anrufe wenig geändert hat."

Mitarbeiter einer Werbeagentur (Foto: N/A)

Angst vor dem Info-Stress

Ein Problem, das viele kennen und für das das Schlagwort "Informationsüberflutung" kursiert. "Das ist eine alte Urangst, die eng mit der Entstehung der Informationstechnologie verbunden ist", meint Bettina-Johanna Krings vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe. Eine durchaus reale Angst, wie eine internationale Studie im Auftrag eines Service-Anbieters feststellte: Danach werden die Briten am meisten vom Info-Stress geplagt - sie bekommen durchschnittlich 117 Mails täglich. "Es gibt auch eine deutliche Beschleunigung", erläutert Krings, "wenn Sie um vier Uhr einen Vorschlag rausschicken, kommt eine Viertelstunde später der Gegenvorschlag. Ununterbrochen muss man reagieren und entscheiden. Das führt zu einem erheblichen Stress."

Neil Postman, bekannt durch seine Attacke gegen das Fernsehen (etwa in seinem Buch "Wir amüsieren uns zu Tode"), hat keinen Zweifel, dass das alles höchst schädlich ist. "Wir brauchen immer neue Informationen, neue Werkzeuge, um die alte Information zu kanalisieren", orakelte er in einem Interview. "Wenn die Versorgung mit Information aber nicht länger kontrollierbar ist, dann kommt es zu einem Zusammenbruch der psychischen Balance, des seelischen Immunsystems." Postman selbst arbeitet ohne Computer und besitzt keine E-Mail-Adresse.

Stressfaktor E-Mail

Die meisten Fachleute sehen das weit gelassener. "Natürlich gibt es Arbeitsplätze, wo die Menge der Informationen sehr groß ist, aber die meisten Leute finden Methoden, wie sie damit klar kommen", meint der Psychologe Andreas Seeber vom Institut für Arbeitsphysiologie in Dortmund. "Wenn ich dagegen keine Hierarchie der Verarbeitung habe, werde ich passiv beballert und fühle mich als Opfer." Auch für Ursula Georgy, die an der Fachhochschule Köln Informationswirte ausbildet, ist die Mail kein Stressfaktor. "Es macht eigentlich keinen Unterschied, ob man einen vollen Postkorb hat, den man abarbeiten muss, oder ein E-Mail-Fach", sagt sie. Wie man mit Information sinnvoll umgeht, ist in ihren Augen eher eine Frage des Trainings und der Strukturierung: "Man darf die Leute nicht einfach ins Internet bringen und sie dann allein lassen, sondern sollte ihnen auch den sinnvollen Umgang mit Suchmaschinen beibringen. Dann erschrecken sie auch nicht mehr, wenn sie bei einer Anfrage tausend Treffer haben."

Mit Hilfe von so genannten Software-Agenten wollen die Fraunhofer-Institute der Informationsflut Herr werden und Suchzeiten reduzieren. "Wenn man im Internet Hunderte von verschiedenen Quellen findet, aber nicht weiß, welcher man vertrauen kann, hat man eine Informationsarmut bei gleichzeitiger Überflutung", konstatiert Projektmanager Carsten Lienemann vom Fraunhofer-Institut für Software und Systemtechnik (ISST) in Dortmund. Seine Kollegen haben schon Prototypen solcher Software-Agenten entwickelt, mit deren Hilfe man Informationen nach persönlichen Prioritäten auswählen und sie sich an jeden Ort zuleiten lassen kann. "Informationslogistik" nennt sich die junge Forschungsdisziplin.

Wird die Informationsüberflutung zur gängigen Berufskrankheit von Angestellten? Andreas Seeber sagt: Nein. "Wie Menschen mit auf sie einströmenden Reizen umgehen, ist sehr unterschiedlich - der eine verkraftet lächelnd, was für den anderen zu viel ist", erklärt er. "Krankschreiben könnte man jemanden höchstens auf der Basis einer Überforderungssituation. Und dass Informationsüberflutung als Berufskrankheit anerkannt würde, ist äußerst unwahrscheinlich - starke psychische Belastungen wurden bisher noch nie berücksichtigt."

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