Zentralabitur in NRW:"Oktaeder des Grauens"

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Freudsche Versprecher und Mathematik der Verzweiflung: Seit Tagen beschweren sich nordrhein-westfälische Schüler und Lehrer über Ungereimtheiten im diesjährigen Zentralabitur. Laut Ministerium dürfen Schüler die Arbeiten nun nachschreiben.

Tanjev Schultz

Die Beschwerden über Pannen im nordrhein-westfälischen Zentralabitur reißen nicht ab. Schulministerin Barbara Sommer (CDU) wies die Schüler auf die Möglichkeit hin, Prüfungen zu wiederholen. Werde belegt, dass der Stoff einer Aufgabe nicht im Unterricht behandelt wurde, könnten Schüler Arbeiten nachschreiben, sagte Sommer. Voraussetzung sei, dass die Abiturienten Widerspruch gegen die erste Prüfung einlegten und die Beschwerde Substanz habe. Dies sehe das Prüfungsrecht so vor, es handle sich nicht um neugeschaffene Regeln, um auf die Proteste zu reagieren, betonte das Ministerium in Düsseldorf.

Verkorkste Abiturprüfung: Abiturienten klagen über zu große Stoffmengen und Fehler in den Klausuren. (Foto: Foto: dpa)

Seit Tagen beschweren sich Schüler und Lehrer über Ungereimtheiten im diesjährigen Zentralabitur. Der Philologenverband warf dem Ministerium grobe "handwerkliche Mängel" und schlechtes Krisenmanagement vor. Schülervertreter verlangten, die in Nordrhein-Westfalen vor einem Jahr eingeführten Zentralprüfungen wieder abzuschaffen. Abiturienten klagten über zu große Stoffmengen in den Klausuren, vor allem in den Naturwissenschaften und in Mathematik. Verwirrung hätten zudem Druckfehler gestiftet. So stand in einer Pädagogik-Aufgabe zu Sigmund Freud versehentlich der Satz: "Man kann die Gefühle, die uns unbewusst sind, mit der Spitze eines Eisbergs vergleichen, während unsere unbewussten Gefühle genau wie die Masse des Eisbergs unsichtbar bleiben." Am Beginn hätte es heißen müssen: "Gefühle, die uns bewusst sind ..."

Abschreckender Rechtsweg

Ein Gutachten des Bonner Mathematik-Professors Peter Koepke bemängelt, eine Aufgabe zur Wahrscheinlichkeitsrechnung sei unvollständig formuliert und nicht eindeutig lösbar gewesen. Unmut löste außerdem eine Aufgabe mit einem Oktaeder aus, einem Vieleck mit acht gleichseitigen Dreiecken als Flächen. Schüler und Lehrer nennen es das "Oktaeder des Grauens" - die Aufgabe zur Flächenberechnung soll Prüflinge reihenweise zur Verzweiflung gebracht haben.

"So was wurde bei den meisten im Unterricht nie gemacht", sagt Landesschülersprecher Horst Wenzel. Der Gymnasiast fordert, die Bewertung der Klausuren nachträglich zu korrigieren und den Notenschnitt anzuheben. Der von Ministerin Sommer vorgeschlagene Weg, eine Wiederholung der Klausuren auf dem Rechtsweg zu erstreiten, sei abschreckend und zeuge von "unglaublicher bürokratischer Phantasie".

Nachprüfungen für die Hälfte aller Schüler

Unabhängig von einer möglichen Wiederholung der Klausur gibt es in Nordrhein-Westfalen sogenannte Abweichungsprüfungen. Sie betreffen Abiturienten, deren Noten im schriftlichen Abitur um mehr als drei Punkte von den Vornoten abweichen. Nach einer nicht repräsentativen Umfrage des Internet-Portals spickmich.de gibt es mehrere Schulen, in denen mehr als die Hälfte der Schüler in solche Nachprüfungen gehen.

Auch Lehrerverbände erwarten eine große Zahl von Nachprüfungen, das Ministerium spricht dagegen von "Spekulationen". Bisher gebe es keinen flächendeckenden Überblick über die Differenz zwischen Vornoten und Noten im Zentralabitur. Pannen würden politisch aufgebauscht, angeblich unlösbare Aufgaben seien durchaus lösbar gewesen. In der Öffentlichkeit würden sich nur die Unzufriedenen melden. Bei insgesamt 750 Aufgaben und 3500 Seiten Material für die Prüfungen sei die Zahl der Druckfehler überschaubar geblieben.

© SZ vom 7.6.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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