"WorldSkills":Ein Weltmeister ohne Job

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Bei den Berufsweltmeisterschaften in Helsinki räumen die deutschen Auszubildenden zehn Medaillen ab.

Von Jens Gieseler

Im Messezentrum von Helsinki ist es laut: Zwei Dutzend Möbelschreiner sägen, hämmern und hobeln um die Wette. Sie kämpfen um den Weltmeisterschaftstitel der Auszubildenden. Stefan Treude aus Niederdreisbach vertritt Deutschland. Er hat sich einen Hörschutz wie ein Paar Scheuklappen über die Ohren gestülpt und konzentriert sich auf sein Möbelstück: ein Telefonschränkchen aus heller Birke und dunklem Nussbaum.

"Unter Zeitdruck wird man die Arbeit schnell leid", sagt der 20-Jährige. In nur 22 Stunden muss das Schränkchen fertig sein. Doch die Anstrengung lohnt sich: Die Jury hebt seine Arbeit auf den ersten Platz. "Es hat alles gepasst", sagt sein Mentor Walter Langenmair, "die Maße stimmten, die Oberflächen und die Kanten waren sauber ausgeführt". Damit ist Stefan Treude Weltmeister der Azubis im Beruf der Möbelschreiner.

Parallel zu den Schreinern kämpften in Helsinki in der letzten Maiwoche insgesamt 700 Auszubildende in 39 Berufen um den Weltmeisterschaftstitel. "WorldSkills" heißt der internationale Berufswettbewerb, der seit 1950 alle zwei Jahre ausgetragen wird. In diesem Jahr kamen die Teilnehmer - meist begleitet von ihren Lehrern oder Ausbildern - aus 39 Staaten: Industrienationen wie Deutschland, die USA und Japan waren dabei, aber auch Exoten wie Marokko, Brunei oder Jamaika. Organisiert wird der Wettbewerb von Berufsverbänden oder nationalen Institutionen, hierzulande ist es der Deutsche Handwerkskammertag.

Neben den Teilnehmern zieht der Wettbewerb auch Unternehmer, Bildungspolitiker und Schulklassen an. Rund 150.000 Besucher nutzten in Helsinki die Gelegenheit, sich über Berufsbilder und Ausbildungsgänge zu informieren. Firmen präsentierten ihre neuesten Technologien. So brachte das Esslinger Unternehmen Festo 30 Industrieroboter im Wert von 1,5 Millionen Euro mit nach Helsinki und unterstützte damit den Wettbewerb im Bereich Mechatronik, eine zukunftsträchtige Technologie, die Mechanik, Elektronik und Informatik verbindet.

"Wir probieren unsere neuen Lerntechnologien aus", sagt Festo-Produktmanager Eckard von Terzi, "und prüfen, wie sie in anderen Ländern und Kulturen ankommen." Abends sitzt von Terzi mit anderen Jury-Kollegen beim Bier zusammen und diskutiert über Ausbildungsgänge, Problemlösungen und neue Entwicklungen in der Branche. "Bei den WorldSkills stehen natürlich die nationalen Ausbildungssysteme auf dem Prüfstand", sagt der Festo-Manager. Und anders als bei der Pisa-Studie schneiden die deutschen Azubis hier hervorragend ab: Sie belegen knapp hinter der Schweiz und Korea den dritten Platz und heimsen in der Gesamtwertung vier Gold-, vier Silber-, zwei Bronze-Medaillen und elf weitere Auszeichnungen ein.

Mit Leim und Leidenschaft

"Das deutsche Ausbildungssystem mit Berufsschule und Betrieb ist Weltspitze", sagt Walter Langenmair. Das findet auch Hanns-Eberhard Schleyer, Generalsekretär des Zentralverbandes des deutschen Handwerks: "Kennzeichen des dualen Systems ist die Vermittlung hoher fachlicher Fertigkeiten und durch eine starke Praxisorientierung, also Ausbildung in Betrieben, im realen Arbeitsprozess und nah am Kunden."

Schreiner-Weltmeister Stefan Treude bewertet seine Lehrjahre positiv, aber er weiß auch von anderen Erfahrungen. "Der Ausbildungsplan wird von manchen Firmen nicht ernst genommen", sagt er. Auszubildende würden häufig als billige Arbeitskräfte eingesetzt, wenn sie ihren Lehrherren nicht rechtzeitig auf die Füße träten.

Handwerksmeister Walter Langenmair bereitete ihn in seiner Möbelschreinerei vier Wochen auf die Anforderungen der "WorldSkills" vor, vor allem auf Zeitdruck und Umgang mit Leistungstiefs. "Am zweiten Tag hatte ich nach einem Fehler eine Medaille schon abgeschrieben", sagt Treude. In der Hektik war er ohne Konstruktionszeichnung an die Säge geeilt und hatte die Seiten des Telefonschränkchens zwei Zentimeter zu kurz abgeschnitten. Zum Glück fand er die Stücke wieder im Müll und konnte sie anleimen. "Danach habe ich nur noch mein Bestes gegeben."

Einen Misserfolg bei der Programmierung mussten auch Stefan Kostka und Andreas Veil verarbeiten. Die beiden Deutschen traten für die Firma Festo beim Mechatronik-Wettbewerb an und erreichten den zweiten Platz. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil die asiatischen Teams teilweise jahrelang für die "WorldSkills" trainieren, denn eine gute Platzierung gilt dort als prestigeträchtiger Erfolg für das Land und das Unternehmen. "Die Japaner waren auf jeden Fall besser als wir, aber sie konnten sich auch drei Jahre vorbereiten", sagt Kostka. Dagegen musste sich das deutsche Festo-Team mit zwei Monaten Vorbereitungszeit begnügen, doch immerhin wurden sie auch noch vom Münchner Triebwerkhersteller MTU und den Hamburger Elektrizitätswerken unterstützt.

Die beiden Vize-Weltmeister Kostka und Veil müssen sich kaum Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen, denn das Unternehmen Festo übernimmt in aller Regel seine Auszubildenden. Dagegen ist Weltmeister Stefan Treude auf Arbeitssuche. Ideal fände er eine kleine Möbelschreinerei, in der Kreativität, handwerkliches Können und Mitdenken gefordert sind. Doch gerade solche Betriebe kämpften ums Überleben, sagt Treude. Deshalb bewirbt er sich jetzt auch bei größeren Werkstätten.

Der Übergang ins Arbeitsleben ist für Auszubildende oft der entscheidende Schritt. Das hat auch Hanns-Eberhard Schleyer vom Zentralverband des deutschen Handwerks erkannt: "Das Handwerk muss für leistungsstarke und begabte Jugendliche attraktive Bildungs- und Karrierewege bereit halten, die von der Erstausbildung bis in die Hochschulbildung reichen. Das Handwerk darf keine Sackgasse sein."

© SZ vom 18.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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