Wettbewerb "Erfolgsfaktor Familie":Der Familienfreund

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Kein Betriebsrat, kein Tarifvertrag, 40-Stunden-Woche, stattdessen familienfreundliche Personlapolitik: Ein Schwede in Chemnitz beweist, dass eine Firma gleichzeitig profitabel und menschlich sein kann.

Von Felix Berth

Gunnar duzt sie alle. Die beiden Frauen, die in der Kantine die Putenschnitzel auf die Teller schieben. Die Männer, die im Labor Handys reparieren. Die EDV-Experten und Empfangsdamen, die Personalentwickler und Programmierer. Was anderswo für den Angesprochenen vielleicht Anerkennung wäre ("Der Chef will nett sein zu mir") oder ein Alarmzeichen ("Will der mich runtermachen?"), ist hier so alltäglich wie in Skandinavien: Der Firmengründer nennt seine 500 Mitarbeiter beim Vornamen, und alle duzen zurück.

Gute Stimmung im Komsa-Kindergarten (Foto: Foto: Bundesministerium für Familie, Soziales, Frauen und Jugend (BMFSFJ))

Selbst Familienministerin Renate Schmidt, die wie viele Politiker ein feines Gehör hat, ob sich in einer Anrede eine hierarchische Zumutung verbirgt, hat sich kürzlich das "Du" anbieten lassen.

Der Schwede Gunnar Grosse hat in der sächsischen Provinz ein erstaunliches Unternehmen aufgebaut. Grosses Komsa AG macht mehr als 300 Millionen Euro Umsatz im rauen Markt der Handy-Großhändler. Sie hat keinen Betriebsrat, keinen Tarifvertrag, und für alle Beschäftigten gilt die 40-Stunden-Woche. Der Wettbewerb mit den Konkurrenten ist hart: "Da draußen herrscht Krieg", sagt der 66-jährige Grosse, und man glaubt dem bulligen Manager mit den Stahlbürsten-Augenbrauen, dass er die Kriegslisten beherrscht.

Nach innen jedoch sorgt Grosse für eine Personalpolitik, die familienfreundlicher nicht sein könnte: flexible Arbeitszeiten ohne Stechuhr, zweisprachiger Betriebskindergarten, beliebige Varianten von Teil- und Elternzeit. Irgendwo im Bürogebäude soll sogar eine Sauna stehen.

Härte nach außen, Wärme nach innen - der schwedische Unternehmer demonstriert, dass sich ein sorgsamer Umgang mit Mitarbeitern und ihren Familien lohnen kann. Folgerichtig bekam Grosse einen Preis überreicht: Die Komsa AG wurde Sieger im Wettbewerb "Erfolgsfaktor Familie"; Kanzler Gerhard Schröder lobte, übergab eine Urkunde sowie einen Scheck über 10.000 Euro - viel Ehre für den Mittelständler, der sich mit mehr als 300 Konkurrenten um die Auszeichnung beworben hatte.

Der Chef Gunnar Grosse und seine jüngsten Firmen-Mitglieder. (Foto: Foto: BMFSFJ)

Gunnars Geschichte. Geboren im März 1939 in Stockholm. Seine Eltern waren Deutsche, die in den dreißiger Jahren nach Schweden kamen und sich kurz vor dem Zweiten Weltkrieg einbürgern ließen. Der Vater verkaufte damals deutsches Werkzeug an die Skandinavier, die Mutter kochte auch im fremden Schweden noch deutschen Sauerbraten, buk Stollen und legte Zwiebeln mit Senfkörnern ein. Gunnar machte Abitur, studierte in Stockholm. Seine schwedische Karriere führte ihn in den achtziger Jahren in den Vorstand einer großen Versicherung. Doch 1989 lockte der Osten.

Gunnar reiste nach Hartmannsdorf bei Chemnitz. Ein unbekanntes, doch heimatliches Land: Hier hatte der Vater um 1900 seine Kindheit verbracht, hier hatte der Sohn sogar einen Bauernhof geerbt, der ihm bis zum Mauerfall nur bürokratische Scherereien gebracht hatte.

Im Januar 1990 inspizierte Gunnar Grosse die verfallenen Gebäude - und überlegte, ob er hier im Alter von 50 Jahren noch mal neu beginnen sollte: "Die Leute wussten wenig von modernem Marketing, und ich habe den großen Markt gesehen, der sich hier öffnete." Zunächst importierte Grosse schwedische Ericsson-Handys, später baute er den Betrieb zu einem Zwischenhändler für alle großen Mobilfunk-Hersteller aus: Komsa ("Kommunikation Sachsen") war entstanden.

Der Westen Deutschlands hat Grosse nie interessiert, der Osten faszinierte ihn. Er freute sich über den sächsischen Dialekt. Er entdeckte in Wirtshäusern die Speisen seiner Kindheit. Er verliebte sich in eine Assistentin und heiratete sie. Und er begriff seine Firma als Fortsetzung der Familie mit anderen Mitteln, was auch sein schwedischer Führungsstil vermitteln sollte: "Man ist in einer schwedischen Firma nicht hinterhältig, und dass ein Chef die Familiensituation seiner Mitarbeiter kennt, ist selbstverständlich", sagt Grosse. Ein wohlwollender Patriarch wollte er sein.

Nancy Mendel, 34, arbeitet seit 1997 bei der Komsa AG. Vor zweieinhalb Jahren bekam sie eine Tochter und konnte trotzdem ihren Führungsjob in der Firma behalten. "Es ist ein Kraftakt", sagt sie und seufzt wie viele jener jungen Eltern, die trotz Kind berufstätig bleiben wollen: Der Tag hat nur 24 Stunden - dabei bräuchte man mindestens fünf Stunden zusätzlich. D

ie Karriere fordert Präsenz, die Kinderbetreuung muss funktionieren, die Großeltern sind nicht immer greifbar, der Partner hat ebenfalls Pflichten im Job - und von ein paar Minuten zu zweit träumt ein Paar auch noch. Das Leben solcher Eltern folgt strengen Stundenplänen. Dass ihrer einigermaßen funktioniert, verdankt Nancy Mendel zu einem großen Teil dem Arbeitgeber.

Hilfreich ist zum Beispiel der Betriebskindergarten, den die Komsa AG seit zwei Jahren betreibt: Jeden Morgen liefert Nancy Mendel dort ihre Tochter ab und setzt sich dann an den Schreibtisch. Nachmittags wird die Tochter in der einen Woche vom Vater geholt, der seine Schicht früh beendet, in der anderen von der Mutter, die dann ebenfalls um 15 Uhr die Firma verlässt. Eine Kontrolle der Arbeitszeit, etwa mit Stechuhr, findet bei der Komsa AG nicht statt: "Ich habe meinen Chef nur informiert - er war einverstanden und sieht jetzt, dass es klappt."

Natürlich, sagt Nancy Mendel, nimmt sie regelmäßig ein Paket Arbeit mit nach Hause und ackert weiter, sobald das Kind schläft. Doch trotz dieser Last ist sie zufrieden: Sie und ihr Mann können Vollzeit arbeiten, und ihr Engagement im Beruf leidet nicht: "Ich habe immer noch eine Vision davon, was ich leisten will." Die zehn Mitarbeiter ihres Teams haben sich jedenfalls noch nicht beschwert, dass die Chefin keine Ideen mehr hätte.

Acht Uhr morgens, Bringzeit im Kindergarten. Dennis Dobrig hat gerade seinen Sohn abgeliefert. "Mit seinen vierzehn Monaten ist William der Jüngste hier." Der Vater wirkt zufrieden; auch er hat zurzeit keinen klassischen Acht-Stunden-Tag: "Ich habe ein halbes Jahr Elternzeit genommen und arbeite nur dreißig Stunden pro Woche." Morgens kommt er ein bisschen später ins Büro, dafür geht er nachmittags früher, um seinen Sohn abzuholen. "Super Sache", sagt Dobrig, grinst und winkt William zum Abschied zu.

In einer Zimmerecke greift sich der vierjährige Hakon einen goldenen Roboter, dessen Extremitäten verstreut herumliegen. Peter, ein Englisch sprechender Betreuer, setzt sich dazu: "Can you give me his leg?" Hakon schaut ihn an, reicht ihm wortlos ein Roboterbein. "I only have one. Where is the other one?", fragt Peter langsam. Der Vierjährige schaut sich um, zuckt die Schultern: Wo das zweite Bein ist, weiß er auch nicht.

Die Leiterin des Kindergartens wundert sich über das Sprachverständnis Hakons längst nicht mehr: "Kinder können erstaunlich viel lernen", sagt Carola Trenkmann, "und was Peter auf Englisch erzählt, verstehen sie nach kurzer Zeit." Trenkmann hat jahrelang in einem großen Wohlfahrtsverband gearbeitet und wollte hier noch mal starten: Mit einem ambitionierten pädagogischen Konzept, mit einem besseren Personalschlüssel, mit zweisprachiger Betreuung.

Die Komsa AG fordert ihr freilich auch einiges ab: Sie muss flexibler sein als die Angestellten eines normalen Kindergartens, denn immer wieder rufen Mitarbeiter an und erklären, dass sie ihr Kind heute ausnahmsweise nur mit Verspätung abholen können. Gleichzeitig signalisiert das Unternehmen aber großzügige Unterstützung: 330.000 Euro investierte die Komsa AG allein in die Kindergarten-Gebäude, die direkt hinter dem Bauernhof von Gunnar Grosses Vater stehen. Und wenn die Nachfrage steigt, wächst eben der Betrieb für die Minis: Schon heute weiß Carola Trenkmann, dass sie im Januar 2006 nicht mehr nur 25, sondern 35 Kinder betreuen muss.

Mehr als 500 Menschen haben bei der Komsa AG einen Job gefunden. Und die wenigsten zieht es wieder weg: "Unsere Fluktuation ist fast zu gering", sagt Gunnar Grosse und lacht. So spart er Geld für die Suche nach Personal, vermeidet Kosten für die Einarbeitung von neuen Mitarbeitern und hält die Kompetenz der Alten im Betrieb.

Überdies verzichtet die Komsa AG darauf, Führungskräfte anzuwerben: "Es hat selten funktioniert, einen Leiter von außen zu holen. Offensichtlich läuft es besser, wenn jemand in unserer Kultur groß geworden ist", sagt die Personalchefin Kerstin Naumann. Zur "Kultur" gehört neben der Familienfreundlichkeit eine flache Hierarchie und der Mangel an Statussymbolen. Sekretärinnen gibt es nicht, und selbst der zweite Mann des Vorstands sitzt im Großraumbüro. "Wenn jemand sehr auf sein Prestige achtet und sich vielleicht jeden Tag aufs Neue bestätigen muss, hat er bei uns tendenziell Schwierigkeiten", sagt Grosse.

In ein paar Wochen wird der Bundeskanzler hier vorbeischauen und sich das alles erklären lassen. Gerhard Schröder hatte - noch ehe er den Wahlkampf in Berlin lostrat - entschieden, alle Gewinner des Wettbewerbs "Erfolgsfaktor Familie" zu besuchen. Dass der Kanzler das mit den flachen Hierarchien und den fehlenden Statussymbolen als Vorbild sehen wird, darf zwar bezweifelt werden. Doch wenn Gunnar Grosse auch ihm das "Du" anbietet, wird Schröder vermutlich nicken: Erstens bringt es bestimmt ein paar Wählerstimmen. Und zweitens muten ihm das seine Sozialdemokraten auch manchmal noch zu.

© SZ vom 25.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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