Weiterbildung:Modularisiert, zentralisiert, nivelliert

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Die neuen Einkaufsprozesse der Bundesagentur für Arbeit gefährden Arbeitslose und Bildungsanbieter.

Von Hans-Herbert Holzamer

Das Wirken der Bundesagentur für Arbeit, wie die Bundesanstalt jetzt heißt, vollzieht sich für die Öffentlichkeit im Publizieren von statistischen Daten, hinter denen sich millionenfach das schreckliche Schicksal der Arbeitslosigkeit verbirgt. Von den alltäglichen Skandalen einmal abgesehen, kriegt man wenig mit, wenn man nicht selbst auf der Suche nach einer neuen Aufgabe ist. Der Arbeitsalltag bleibt unsichtbar. Und da, im Verborgenen, vollzog sich nach Florian Gersters Abgang ein bezeichnender Wandel: Maßnahmen, die Arbeitslose befähigen sollen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, werden nicht mehr in der gewohnten Form gefördert. Anbieter von Trainings, die das Gründen einer Firma oder die Selbstständigkeit zum Ziel haben, können kaum noch mit Unterstützung der Bundesagentur rechnen.

Viele Anbieter mussten entsprechende Kurse absagen, obwohl mehr als 70 Prozent der Teilnehmer erfolgreich in die Selbstständigkeit starteten. Aus Kostengründen werden jetzt auch derartige Leistungen zu 75 Prozent zentral nach einem bürokratischen Verfahren ausgeschrieben, "von Flensburg bis nach Berchtesgaden, was natürlich eine Nivellierung bedeutet", sagt Ottmar Schader, Sprecher des Arbeitsamtes in München. Wegen der großen Nachfrage habe man das Büro für Existenzgründer im Arbeitsamt bereits aufgestockt.

Die Ich-AG, gestern noch gefeiert als Zaubermittel, um die Arbeitslosenzahl zu reduzieren, wurde ihrer wichtigsten Voraussetzung beraubt. Natürlich gibt es noch den Rechtsanspruch auf Überbrückungsgeld und weitere Finanzhilfe, aber ohne eine gute Qualifikation wird der Gang in die Eigenverantwortung ein riskanter Ritt. Viele Anbieter, die sich erinnern können, sehen dahinter Methode: Früher war es erklärte Politik der Gewerkschaften, aus Arbeitslosen keine Unternehmer machen zu wollen, denn sie sollten Arbeitnehmer und damit potentielle Gewerkschaftsmitglieder bleiben. Dies schien in den letzten Jahren ad acta gelegt worden zu sein.

Kompliziertes Kompendium

Es geht um die Milliarden, die von der Bundesagentur für so genannte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ausgegeben werden, nicht nur für Ich-AG-Seminare. Summenmäßig ist das ebenso viel, wie an Arbeitslosengeld gezahlt wird. Über die Vergabe wachen regionale Gremien, darüber eine Kontrollinstanz, von deren Entscheidungen vor allem die Bildungseinrichtungen der Gewerkschaften profitieren. Sind die Gewerkschaften auch klamm, ihre Bildungsinstitute sind es nicht. Auch die Weiterbildungsträger der Arbeitgeber haben Vorteile davon, dass ihre Vertreter die Vergabe der Mittel steuern.

Nun ist es nicht einfach so, dass die Bundesagentur die Milliarden an die Gewerkschaft und auch an die Bildungswerke der Arbeitgeber überweisen würde. Das würde auffallen. Also wurde ein kompliziertes System entwickelt. Das, was die Agentur meint, den Arbeitslosen zukommen lassen zu müssen, wird öffentlich ausgeschrieben. Das klingt nach Transparenz.Man kann auch unterstellen, dass die Bildungseinrichtungen der Verbände das Interesse der Arbeitslosen und nicht nur ihr eigenes im Sinn haben. In dubio pro reo. Das Verfahren ist so, wie es ist, und es ist fragwürdig.

Auf dem Rücken der Anbieter und der Arbeitslosen soll ausprobiert werden, ob die neuen "Einkaufsprozesse", die standardisierte, billigste Weiterbildungsprodukte vom Markt abgreifen und den Arbeitslosen andienen wollen, auch zu dem Ergebnis "Markteingliederung" führen, wie das in der Vergangenheit bei guter Qualität und marktgängigen Preisen der Fall war. Jeder registrierte Bildungsträger kann sich um die jetzt in Module fragmentierten Maßnahmen der Eignungsfeststellung und Trainingsmaßnahmen im Sinne des SGBIII, § 48 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch, bewerben.

Die Module beginnen mit zwei Tagen wie beispielsweise der Bereich "Eignung und Kenntnisvermittlung (sozial pflegerisch)". Die Anforderungen an die Bieter sind allerdings so umfangreich, dass keiner seriös bieten kann, der nicht einen eigenen Apparat dafür einrichten und bereitstellen kann. Die Modularisierung der Maßnahmen scheint also darauf abzuzielen, die kleinen privaten Anbieter vom Markt zu schießen. Jedenfalls ist dies das Ergebnis. Oder es sind Glücksritter am Weiterbildungsmarkt, die es einfach probieren und die keiner kennt. Die Gremien der Bundesagentur sind überfordert, die vorgesehene Prüfung der Bieter nach der Wirtschaftlichkeit ihrer Angebote und nach ihrer Leistungsfähigkeit vorzunehmen, so dass der Willkür Tür und Tor geöffnet sind. Eine private Bietergemeinschaft kämpft daher bereits auf dem Wege einer einstweiligen Anordnung darum, die neuen Ausschreibungen der Bundesagentur zu stoppen. Denn diese führten "nur zu Missbrauch und nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsvermittlung", so die Initiatoren.

Kreativ gestaltete Statistik

Doch selbst wenn das in einem mehrhundertseitigen Kompendium geregelte Verfahren einwandfrei wäre, keiner weiß und keiner überprüft, wie sinnvoll die Tausende von Module sind, die den Arbeitslosen aufgenötigt werden. Das könnten nur die lokalen Arbeitsämter, die den direkten Kontakt zur Lebenswirklichkeit haben. Doch deren Einfluss auf die Gestaltung und Bewilligung von Maßnahmen wurde beschnitten.

Vielleicht geht es auch gar nicht primär darum, mit Maßnahmen die Chancen der Arbeitslosen zu verbessern. Denn abgesehen von den Geldströmen in die Kassen der beglückten Bildungseinrichtungen kann man damit vortrefflich die Statistik gestalten. Früher beendeten nur die langfristigen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik - formal - die Arbeitslosigkeit. Heute werden die Fristen immer kürzer. Auch eine Trainingsmaßnahme, die nur drei Monate dauert, schönt die Statistik.

Auch so ließe sich das 2002 selbst gesteckte Ziel einer Halbierung der Arbeitslosigkeit in zwei Jahren erreichen: Wenn man nur die Statistik entsprechend kreativ gestaltet und gleichzeitig den Bildungsträgern der den Verwaltungsrat der Bundesagentur dominierenden Interessenvertretern viel Gutes tut. Natürlich haben die Arbeitslosen davon nichts. Aber sie haben hierzulande ohnehin keine Lobby.

© SZ vom 13.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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