Was arbeiten Sie denn so?:"Was, da gehst du rein?"

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Wie riecht es in einem Abwasserkanal? Und wie fühlt man sich, wenn man drin steht? Benjamin Tax arbeitet als Ingenieur bei der Münchner Stadtentwässerung - und mag die Welt unterm Gullydeckel. Mit einem Video von Marcel Kammermayer.

Sarina Märschel

"Ich wollte da nicht hin. Wer will schon zum Abwasser? Aber dann kam ein Anruf von der Stadtentwässerung. Erst hab ich gesagt: Nein, dazu hab ich wirklich keine Lust. Aber dann hat einer gemeint: Probier's doch mal. Also bin ich zum Vorstellungsgespräch. Dann hat man mir erklärt, was meine Aufgaben sind: planen, zeichnen, abrechnen - kann man alles selbst machen. Das hat mich überzeugt, dass ich hier selbständig arbeiten kann, da redet mir keiner rein. In dem Jahr, in dem ich geheiratet habe, bin ich dann auch zur Stadt. Das war 1978.

Ich kann mich noch an meinen ersten Kanalgang erinnern: Der Kanal war 1,10 Meter hoch. Ich war damals noch schlanker und sportlicher - aber diese Platzangst! Man kann sich nicht aufrichten da drin, und man sieht permanent ins Abwasser. Ich hab mir aber natürlich nichts anmerken lassen. Es war auch nur die ersten zwei oder drei Mal so.

"Sag niemand, wo du arbeitest!"

Dann hast du dich stark gefühlt, weil du dich in einem Medium bewegst, wo jeder die Nase rümpft. Als ich angefangen habe zu arbeiten, hat meine Frau gesagt: Sag fei ja niemand, wo du arbeitest! Heute denkt sie anders. Ich hatte damals auch Hemmungen, zuzugeben, wo ich arbeite. Wenn mich jemand gefragt hat, habe ich nur gesagt: Ich bin Bauingenieur.

Heute hat keiner mehr Probleme zu sagen: Ich arbeite im Abwasserkanal. Da hat sich viel geändert in der öffentlichen Wahrnehmung. Weil jeder weiß, dass es das auch geben muss. Man hofft sogar auf eine gewisse Bewunderung: 'Was, da gehst du rein?'

Ob man den Geruch nach der Arbeit wieder wegbekommt? Ich sage nein. Aber wenn ich nach Hause komme und meiner Frau sage: 'Heute rieche ich wieder nach Kanal', dann riecht sie nichts. Und die Kanalerfrauen sagen immer: 'Unsere Männer sind die Saubersten, die kommen immer geduscht von der Arbeit'.

Frauen gibt es bis jetzt noch keine bei den Kanalern. Nur ab und zu Praktikantinnen, aber die sind später immer im Klärwerk gelandet. Vielleicht, weil es da noch etwas appetitlicher zugeht.

Drei Schlucke

Mich hat es natürlich schon mal hingehauen in die Soße. Das bleibt aber keinem erspart - ich kenne keinen Kanaler, dem das noch nicht passiert ist. Jeder Neue wird in einen besonders rutschigen Kanal geführt und bekommt Gummistiefel ohne Spikes - und dann warten alle, dass er ausrutscht. Natürlich wissen die Neuen nichts von diesem Brauch. Bei mir hat das damals nicht geklappt, da waren die Kanaler sauer, wie ich hinterher rausgefunden habe. Mich hat es erst 25 Jahre später hingelegt, das war vor sechs oder sieben Jahren.

Einmal, da war ich dabei, da hat einer drei Schlucke erwischt. Wir haben ihn sofort in die Klinik gefahren, und er war bei allen möglichen Ärzten - aber es hat ihm dann nichts gefehlt. Da hätte er sich natürlich alles Mögliche holen können, ist ja nicht nur das drin, was die Leute die Toilette runterspülen, sondern auch alle möglichen Chemikalien.

Ich fange meist um halb sieben in der Früh an, dann höre ich erstmal meinen Anrufbeantworter ab. Oft sind Baustellen dran, die irgendwelche Auskünfte haben wollen. Danach habe ich selten ein festes Programm vor mir.

"Ich lebe von meiner Erfahrung"

Ich bin täglich unterwegs und arbeite draußen mit den Kanalarbeitern und Meistern zusammen. Die Hälfte der Zeit bin ich draußen, die andere Hälfte verbringe ich im Büro. Ich behaupte, dass ich mich jetzt im Kanalnetz sehr gut auskenne - ich muss mich nicht nachinformieren, sondern ich lebe von meiner Erfahrung. In der Abteilung bin ich der, der schon am längsten da ist.

Ich betreue einen Teil des Münchner Kanalnetzes, kümmere mich also um die notwendige Reinigung, um Reparaturen und Verbesserungen am Kanalnetz. Ich bin zuständig für den Beschwerde-Service - in erster Linie rufen Leute wegen Überschwemmungen an, wenn zum Beispiel Tiefgaragen voll laufen, oder ein See auf der Straße entsteht. Oder bei Geruchsproblemen, wenn es extrem stinkt aus einem Kanal.

Manchmal passieren auch skurrile Sachen: Ein Hund hat sich mal im Englischen Garten an einem unserer Entlüftungsrohre im Gebüsch verletzt, und die Besitzerin wollte, dass die Stadt die Tierarztkosten übernimmt. Es herrscht aber Leinenpflicht im Englischen Garten - und hätte sie ihren Hund an der Leine gehabt, hätte er sich nicht im Gebüsch verletzt. Außerdem entsprach das Rohr den Vorschriften. Aber bring das mal der Hundebesitzerin bei!

Wir sind angewiesen auf die Nachricht von Bürgern. Viele ärgern sich halt, aber tragen es dann nicht zu uns. Wir wissen aber natürlich nicht, was an jeder Straßenecke los ist. Meistens finden wir die Ursache, und in 95 Prozent der Fälle können wir Abhilfe schaffen. Manchmal kann man aber leider nichts machen. Wenn es außergewöhnlich stark regnet, werden manche Ecken einfach immer wieder überschwemmt - aber so groß kann das Kanalnetz nicht bemessen werden, dass es solche Stellen nicht mehr gibt, das wäre nicht wirtschaftlich. Ich hab mich aber schon oft für die Leute eingesetzt.

Auf der zweiten Seite lesen Sie, wie's im Kanal riecht - und wer dort unten zu Besuch kommt.

Ich habe nämlich ein Ziel: Wenn ich Beschwerden von Bürgern da habe, möchte ich den Fall zu 100 Prozent lösen. So, dass die Bürger denken: Wunderbar! Und wenn es keine Lösung gibt, bin ich ehrlich und möchte, dass die Leute zumindest sagen können: Naja, so ist es halt und hoffen wir, dass es nicht mehr so stark regnet. Wenn ich einen Fall gelöst habe, rutscht das gut runter, den ordne ich dann ein. Wenn ich ihn nicht lösen kann, dann drückt das schon.

"Wo jeder die Nase rümpft" - Das Münchner Kanalnetz misst rund 2400 Kilometer. (Foto: Foto: Jens Weber)

Eines meiner Arbeitsfelder ist, dass ich Kanalführungen mache. Erst hab ich das äußerst ungern gemacht, weil ich nicht so gerne rede - da können Sie meine Frau fragen, die sagt das auch. Ich wurde da aber einfach ins kalte Wasser geschmissen, mein Chef musste auf eine Beerdigung und hat gesagt: Du musst die Führung machen, sonst macht es keiner! Dann konnte ich eine Nacht nicht schlafen. Inzwischen macht es mir Spaß - spannend daran ist immer, ob man die Leute für dieses widerliche Thema interessieren kann. Wer redet schon gerne da drüber?

Ich hab mich ganz gut informiert und erzähle inzwischen gerne. Über Max von Pettenkofer zum Beispiel, dem wir das Münchner Kanalnetz zu verdanken haben. Was hat der Mann da auf die Beine gestellt? Die hohe Qualität und die Berechnung der Dimensionen! Er hat so weit voraus geplant!

Es riecht nicht nach Fäkalien

Die Kanäle wurden vor 150 Jahren angelegt, und wir leben heute noch wunderbar damit. Der Mann hat alles gegen den Willen der Bevölkerung gemacht - die haben vorher nie was für ihr Abwasser bezahlt und waren natürlich dagegen, weil sie zur Finanzierung der Kanäle Gebühren zahlen sollten. Durch die Maßnahmen ist die Zahl der Cholera- und Typhus-Toten aber dann erheblich zurück gegangen, und Pettenkofer wurde zu Lebzeiten noch mit vielen Ehrungen ausgezeichnet, das wurde dann schon registriert.

Ich hatte schon mal die Ehre, das Pettenkofer Institut durch die Kanäle zu führen - da hab ich dann schon versucht, die auszufragen, wie's nur geht.

Es riecht übrigens nicht nach Fäkalien im Abwasserkanal, sondern es ist eher ein feuchter Modergeruch, wie in einem alten Keller. Ich glaube, wenn sie die Augen zu machen, würden die meisten nicht erraten, wo sie gerade stehen. Bei Führungen war zwei, drei Mal jemand dabei, der gesagt hat: Ich halt's nicht aus, ich muss mich übergeben. Manche können nicht drin bleiben - aber ich zwinge ja keinen. Ich wundere mich eher, dass die Leute so was interessiert.

Es kommen Volkshochschulen, Delegationen aus anderen Städten, Betriebsausflüge und Schulklassen. Und die Schüler lasse ich am Ende, wenn es die Situation erlaubt, direkt in den Kanal pieseln. Dann müssen die Mädchen raus, und die Jungs freuen sich riesig."

Benjamin Tax, 54 Jahre, ist Bauingenieur bei der Münchner Stadtentwässerung

(sueddeutsche.de, Video: Marcel Kammermayer)

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