Von wegen Drückeberger:Wer zwei Jahre draußen ist, hat den Anschluss verloren

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In der deutschen Bauwirtschaft finden schon viele Menschen, die arbeiten wollen, kaum mehr einen Job.

Elisabeth Dostert

(SZ vom 22.5.2001) Thomas Bauer tut sich schwer. "Jemand, der zugeben muss, dass in seiner Branche jedes Jahr zwischen zwei und fünf Prozent der Arbeitsplätze abgebaut wurden, kann schlecht über Drückeberger diskutieren", sagt der Präsident des Bayerischen Bauindustrieverbandes. Als Privatmann fällt Bauer das Urteil leichter. "Unser Sozialsystem hat einige gewaltige Mängel", kritisiert er. Vielen biete es eine schöne Chance, mit sehr wenig Aufwand doch noch zu einem vernünftigen Lebensstandard zu kommen, nicht zuletzt dank einer florierenden Schwarzarbeit. "Das Sozialsystem findet über Schwarzarbeit zum großen Teil Ergänzung", beklagt Bauer.

Drückeberger ausfindig zu machen, hält er für schwer, aber unumgänglich, schon um Nachahmereffekte zu verhindern. "Jene, die arbeiten, sollten nicht da stehen wie Deppen, die sich nicht holen, was die Gesellschaft ihnen zur Verfügung stellt." Allerdings bezweifelt er, dass das Gros der Arbeitslosen aus Drückebergern bestehe. In der Baubranche gebe es ohnehin nur wenige davon, sagt Bauer. Da spricht nun wieder der Präsident, aber auch der Landkreisrat aus Neuburg/Schrobenhausen, der sich wundert, wann und warum solche Themen Konjunktur haben. "Jetzt ist das gerade en vogue. Im Kreistag reden wir über sozialen Missbrauch seit Jahrzehnten", sagt Bauer. Im bayerischen Schrobenhausen sitzt auch seine eigene Firma, das Spezialtiefbauunternehmen Bauer mit bundesweit rund 3800 Beschäftigten.

Berufsspezifisches Risiko

Seit Beginn der Baurezession 1995 haben die Unternehmen des deutschen Bauhauptgewerbes, dazu zählen vor allem große Konzerne wie Bilfinger + Berger, Holzmann, Hochtief oder die Walter-Gruppe, rund 362 000 Stellen gestrichen. Ein Viertel aller Arbeitsplätze fiel weg. An eine rasche Wende glaubt niemand. Besonders hart traf es die neuen Bundesländer. Nach Angaben von Gewerkschaftern ist dort die Arbeitslosenquote am Bau mit knapp 37 Prozent fast doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Die Zahl der offenen Stellen sinkt seit Jahren. Im März etwa waren bei den Arbeitsämtern gerade mal knapp 14000 offene Stellen gemeldet. Im Jahr 2000 überschritt die Zahl der Arbeitslosen in den neuen mit 129000 erstmals die in den alten Bundesländern, wo 118000 Personen ohne Arbeit waren. Fast 60000 Erwerbstätige am Bau waren länger als ein Jahr arbeitslos, davon fast die Hälfte länger als zwei Jahre, meldet das Landesarbeitsamt Bayern. "Viele sind so lange draußen, dass sie sich schwer tun, eine andere Stelle zu finden", sagt Bauer: "Wenn Du zwei Jahre arbeitslos bist, ist sehr viel Substanz verloren gegangen, an Fähigkeiten, an Können und Selbstvertrauen. Viele finden den Anschluss nicht mehr. Das sind keine Drückeberger."

Für Beschäftigte im Bauhauptgewerbe gehören Phasen der Arbeitslosigkeit schon zum "berufsspezifischen Risiko", meint Michael Knoche, Sprecher der Gewerkschaft IG Bau in Frankfurt. Betriebswechsel kommen weitaus häufiger vor als in anderen Branchen. Zwar sollte das im Jahr 1999 neugeregelte Schlechtwettergeld witterungsbedingte Kündigungen in der Bauwirtschaft verhindern. "Aber immer noch steigt die Arbeitslosigkeit im Winter regelmäßig an", konstatiert Knoche. "Ausgezehrt von der schweren körperlichen Arbeit", gingen Baubeschäftigte im Schnitt bereits mit 55 Jahren in Rente. In anderen Branchen fände mancher vielleicht noch leichtere Arbeit in anderen Betriebsteilen - als Pförtner oder Lagerarbeiter. In der Bauwirtschaft sind die Dinge komplizierter. Mit den Baustellen ändert sich auch die Arbeitsstelle alle paar Monate. Deshalb tut sich der Bau auch als aufnehmende Branche so schwer. "Leute, die gelernt haben, in der Werkhalle zu arbeiten, in strukturierten Arbeitsverhältnisse mit festen Arbeitszeiten, sind hier nur schwer einzusetzen. Im Bau muss man jung anfangen", so Bauer.

Dass in manchen Jahren nicht nur die Zahl der Beschäftigten, sondern auch die der Arbeitslosen sank, hat vielerlei Gründe. Josef Wallner, Leiter der Abteilung für Wirtschaftspolitik der Bayerischen Bauindustrie, sieht darin auch einen Beleg für die Flexibilität der Baubeschäftigten. "Viele Jüngere haben längst die Branche gewechselt, von Drückebergern kann also mitnichten die Rede sein." Wallner hält die ganze Debatte für "Stammtischgeschwätz". Ältere Arbeitslose werden mittlerweile mit Erreichen der Altersgrenze in der Rentenstatistik erfasst, und sei es durch vorgezogenen Ruhestand. "Wer über 50 ist, kommt aus der Arbeitslosigkeit ohnehin nicht mehr raus. Da hilft auch keine noch so gute Weiterbildung", urteilt Knoche.

Von armen Teufeln und Hintermännern

In einer Branche, die einen so tief greifenden Strukturwandel wie der Bau durchläuft, macht der Stellenabbau zwar auch nicht vor Facharbeitern und Büroangestellten halt. Besonders hart traf und trifft er aber niedrig qualifizierte Beschäftigte. "Sie sind nur mehr schwer zu vermitteln", sagen Bauer und Knoche. Ihre Arbeit auf deutschen Baustellen übernehmen Subunternehmer aus Polen, Portugal oder Tschechien, die ihren Mitarbeitern offiziell meist nur den Mindestlohn zahlen. Der liegt in Westdeutschland bei 18,87 Mark je Stunde und damit nicht weit weg vom Lohn für angelernte Arbeitskräfte von 20,36 Mark. Aber den Mindestlohn bekommen auch Fachkräfte aus Ost- oder Mitteleuropa - hier ist die Lohndifferenz zu den deutschen Kollegen schon erheblich größer.

Damit nicht genug. Viele Ausländer, die auf deutschen Baustellen arbeiten, erhalten noch nicht einmal den Mindestlohn. Und das sei noch einer der harmlosen Verstöße gegen das Entsendegesetz, die bis zum organisierten Menschenhandel über lange Ketten von Subunternehmern reichen, sagt Knoche. "Es gibt Polen, die arbeiten drei Monate auf einer deutschen Baustelle und haften für ihre Arbeit drei Jahre lang persönlich. Und das Werkzeug müssen sie selbst bezahlen." Knoche schätzt, dass in Deutschland "mindestens 300.000 Illegale" am Werk sind. Diesen Missbrauch zu bekämpfen, wäre ihm ein weitaus lohnenderes Ziel als die Jagd nach Drückebergern. Für manchen Politiker und Unternehmer freilich könnte es sich um ein unangenehmes Thema handeln, "denn illegale Beschäftigung besteht ja deshalb, weil sie von deutschen Firmen und Auftraggebern nachgefragt wird". Die Razzien träfen meist "arme Teufel, selten die Hintermänner". Um die aufzuspüren, müssten Koordination und Datenaustausch der Verfolgungsbehörden - Zoll, Steuerfahnder, Arbeitsämter, Berufsgenossenschaften - verbessert werden. Ein großer Teil der Bauleistung werde illegal erbracht, kritisiert auch Bauer und verweist auf die als Nachbarschaftshilfe getarnte Schwarzarbeit am Samstag. Vor diesem Thema schrecke die Politik aber zurück, "weil jeder beteiligt ist".

Falsche Signale

Die entscheidene Frage ist für Baupräsident Bauer jene, wie Arbeitslosigkeit in solcher Masse in Deutschland entstehen konnte. Nach seiner Auffassung liegt das auch daran, dass "Börse und Banken signalisieren, unternehmerischer Erfolg hat etwas mit Entlassungen zu tun und so eine stetigere Personalpolitik verhindern. Da ist etwas krank in unserer Gesellschaft."

Auch Bauer selbst hat in den vergangenen fünf Jahren rund 200 Beschäftigte entlassen, vor allem bei der ostdeutschen Tochter Schachtbau Nordhausen, die der Konzern Anfang der 90-er Jahr übernommen hat. 700 Stellen wurden "unter großer Kraftanstrengung" erhalten. In Schrobenhausen habe es keine einzige betriebsbedingte Kündigung gegeben, beteuert Bauer, der überzeugt ist, dass über alle Branchen hinweg in ganz Deutschland "etliche 100000 Arbeitsplätze" hätten erhalten werden können, wenn der wirkliche Wille zur Sanierung da gewesen wäre. "Dann wäre die Stimmung im Lande eine andere. Diese Stimmung täte gut."

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