Unternehmensberater:Der Wunsch-Kandidat

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Uni-Absolventen: Nein, danke! Gesucht werden in der Beratungsbranche Praktiker mit Top-Examen und exzellenten Kenntnissen.

Von Christine Demmer

Nach Jahren des Minuswachstums zeichnet sich ein Lichtstreif am Consultinghorizont ab: Personal- und Unternehmensberatungen stellen wieder ein. Zögerlich zwar und fast nur dann, wenn besonderes Know-how gefragt ist, aber die Anzeichen für eine Aufhellung des Arbeitsmarktes mehren sich. Das ist die gute Nachricht.

Praktikum in China, zwei Examen: Die Anforderungen an den Nachwuchs sind gestiegen. (Foto: Foto: photodisc)

Die schlechte Nachricht: Kaum einen Anteil daran haben Berufseinsteiger. Diplomanden und Magister, Master und junge Doktoren frisch von der Hochschule müssen oft 20, 30 Bewerbungen schreiben, bevor sie - wenn überhaupt - eine Einladung zum Vorstellungsgespräch bekommen. Denn die Beratungsfirmen legen zunehmenden Wert auf ein paar Jahre Berufserfahrung in der Linie oder in einem Stab. Eher Nebensache ist dabei, was der Bewerber früher studiert hat und ob die Praxis als Spezialist in einem zukunftsorientierten Fachgebiet oder als Leiter eines Teams gewonnen wurde. Hauptsache, der Betreffende hat sich schon einmal in der Umsetzung getroffener Beschlüsse bewährt. Das können nämlich auch Physiker, Theologen, Germanisten und Mediziner. Und genau das verlangen heute die Kunden von ihren Unternehmensberatern.

Bis vor einigen Jahren sah die Besetzungsliste eines mittelgroßen Beratungsprojektes etwa so aus: ein Partner (normalerweise der Akquisiteur des Auftrages), ein bis zwei Senior Consultants in der Verantwortung und fünf bis zehn Junior Berater oder Associates, die mit dem Sammeln und Auswerten von Analysedaten alle Hände voll zu tun hatten.

Weil mit den Youngsters aktuelles Hochschulwissen, hohe Motivation und Ehrgeiz eingekauft wurde, weil sie zu geringeren Tagessätzen berechnet wurden, weil der Nachwuchs schließlich auch seine Chance erhalten sollte und weil das nicht zuletzt die ganz normale Beratungspraxis war, machten die Kunden meist stillschweigend mit. Doch damit ist es vorbei. Seitdem die Controller in den Unternehmen das Zepter schwingen, wird streng auf den Kostenvoranschlag geschaut und am Trinkgeld geknausert. Das gleiche Projekt könnte doch auch mit vier Mitarbeitern erledigt werden, wenn es erfahrene Consultants sind. Die Folge ist, dass die Kunden nachbohren: "Und an wen hatten Sie gedacht? Welche Erfahrungen, welches Können?"

Trotzdem bekommen auch junge Hochschulabsolventen ihre Chance. Nur liegen die Hürden heute höher. Seit jeher legen McKinsey & Co., Roland Berger, Accenture, die Boston Consulting Group und die anderen Großen im Markt viel Wert auf ausgezeichnete Examina, fachbezogene Praktika, Auslandserfahrung und Sozialkompetenz. "Das waren immer sehr attraktive Arbeitgeber für Hochschulabgänger", sagt Klaus Reiners, Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater.

Zweites Examen erwünscht

Weil die Ratgeber und Berater von Vorständen und Aufsichtsräten Jahr für Jahr unter Hunderten von Blindbewerbungen auswählen können und ihren Klienten die Crème de la Crème jedes Absolventenjahres versprechen, liegen die fachlichen und persönlichen Anforderungen an die Bewerber überdurchschnittlich hoch. Mittlerweile, so verraten Brancheninsider, reicht aber ein Studienabschluss kaum mehr aus, um bei einem dieser begehrten Arbeitgeber unterzukommen.

Ein zweites Examen, ebenfalls mit Bravour bestanden und möglichst im Ausland erworben, ist fast schon Pflicht. Und in Zeiten, da immer mehr Studierende ein oder mehrere Semester in Übersee verbringen, ist das Halbjahrespraktikum in China oder Mittelamerika auch kein besonderes Highlight mehr. Dass neben Englisch mindestens eine weitere Fremdsprache verhandlungssicher gesprochen werden muss, ist sowieso klar. Wer diese Boni im Bewerbungsrucksack hat, kann sich glücklich schätzen. Selbst wenn er oder sie bis dato noch keine einzige Verhandlung geführt hat.

Gleichwertige, wenn nicht sogar noch bessere Chancen haben die "industrial hires". Wer noch unter 35 Jahren ist und ein paar Jahre Industrie- oder Dienstleistungserfahrung auf dem Buckel hat - aber nur in Verbindung mit schnellen Karriere- und Einkommenssprüngen -, ist ein gern gesehener Kandidat bei Unternehmens- und bei Personalberatungen. Allergrößten Wert legen beide Beratungszweige auf ein großes und stabiles Kontaktnetzwerk. Von irgendwoher müssen die neuen Aufträge schließlich kommen.

Denn was von Hochschulabsolventen in den ersten Berufsjahren noch nicht erwartet werden kann, wird für praxiserfahrene Seiteneinsteiger nach kurzer Zeit zur Pflicht: Das Hereinholen neuer oder Folgeaufträge für die Company. Selbstbewusstsein und ein extrovertiertes Wesen, Freude an der Kontaktpflege und ein ausgeprägtes Gespür für den Vertrieb sichern den Aufstieg auf der Karriereleiter mehr als jedes wissenschaftliche Renommee.

Wer sich lieber in seinem Fachgebiet zum Experten heranbilden möchte und keine Lust hat auf Small Talk und Smart Sales, wird höchstwahrscheinlich niemals Partner einer Beratungsgesellschaft. Aber er kann ziemlich sicher sein, immer dann herangezogen zu werden, wenn der Kunde einen entsprechenden Auftrag avisiert. Und in der Expertennische lebt es sich gar nicht mal so schlecht.

© SZ vom 9.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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