Unikliniken:Was der Chefarzt wirklich verdient

Lesezeit: 3 min

Die Einschränkung der Privathonorare für Klinikdirektoren sorgt für Kontroversen unter Medizinern.

Klaus Koch

(SZ vom 11.6.2002) Wenn das Einkommen von Chefärzten in die Schlagzeilen gerät, provoziert das oft einen Reflex: Sie werden als Absahner gebrandmarkt, die sich mehr um ihre Yacht sorgen als um ihre Patienten. Doch was den Chefärzten der Universitätskliniken bei einem Forum der Deutschen Akademie für Neurochirurgie bei Wesel Sorgen machte, ist nicht das eigene Einkommen, sondern eine Weichenstellung: "Wir befürchten, dass die Unikliniken für erstklassige junge Ärzte uninteressant werden", sagt Johannes Schramm von der Universität Bonn.

Der Grund für die Sorge: Seit Anfang des Jahres bieten deutsche Unikliniken neuen Chefärzten nicht mehr ein Gehalt nach starren Beamtentarifen an, sondern Einzelverträge. Das Gehalt kann deutlich über dem Beamtensold liegen. Doch für den Aufschlag müssen die neu berufenen Ärzte auf die "Privatliquidation" verzichten - das Privileg, die Honorare von Privatpatienten selbst zu kassieren.

Manager, Chef, Arzt und Forscher

Das könnte die Unikliniken nachhaltig verändern. Betroffen ist eine kleine, aber für Medizin und Forschung wichtige Elite: Etwa 1200 Chefärzte an der Spitze der Fachabteilungen der deutschen Universitätskliniken.

Die Direktoren, bislang meist auf Lebenszeit beamtete Professoren, müssen eigentlich Übermenschliches leisten. Sie sind Manager und Chef von oft gut 200 Angestellten; sie sind Ärzte, die Patienten behandeln und Verantwortung tragen. Und sie sollen als Lehrstuhlinhaber gute Forschung betreiben und Studenten ausbilden. "Die Dreifachbelastung ist der Grund, weshalb für Uni-Chefärzte Gehälter angemessen sind, die über dem normalen Beamtengehalt liegen", sagt Helmut Meinhold vom Stuttgarter Wissenschaftsministerium, einer der Architekten des neuen Vertragsrechts. Bisher liegt das Gehalt eines C4-Professors zwischen etwa 43.000 und 71.000 Euro pro Jahr - allerdings ohne Zuschläge.

Am Rande der Legalität

Die Idee, die Gehälter per Privatliquidation aufzubessern, stammt aus dem 19. Jahrhundert. Um gute Ärzte an die Universitäten zu locken, bekamen Chefärzte das Recht, in den Kliniken Privatstationen einzurichten und Honorare zu kassieren. Der Zusatzverdienst ist ein Grund dafür, dass die deutsche Hochschulmedizin am Anfang des 20. Jahrhunderts weltweit einen exzellenten Ruf hatte. "Die alten Argumente für die Einführung der Privatliquidation gelten heute aber nicht mehr", so Meinhold.

Der erste Grund sei die Tatsache, dass die dreifach belasteten Chefs vor allem an Privatpatienten verdienen. Das führe dazu, dass sie "mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit auf die Privatstation verwenden", sagt Meinhold. Die Folge: Zwar gelten einige deutsche Klinikchefs als exzellente Ärzte, deren Ruf auch den Kliniken Einnahmen bringt. "Doch die Qualität der deutschen Medizinforschung ist international zweitklassig", weiß Karl Max Einhäupl, Chefarzt und Vorsitzender des Wissenschaftsrats. Viele Ordinarien vernachlässigen die Wissenschaft.

Gegen das alte Liquidationssystem spricht zweitens ein simpler Grund: Es ist nicht mehr gerecht. Meinhold schätzt, dass die Privathonorare der etwa 200 Direktoren an den vier Unikliniken in Baden-Württemberg im Durchschnitt bei etwa 150.000 Euro liegen, netto wohlgemerkt.

Doch es gebe allein in diesem Bundesland eine Gruppe "von weniger als zehn" Ärzten - Chirurgen, Radiologen und Anästhesisten etwa - die auch nach Abzug von Abgaben an die Universitäten in jedem Jahr weit über 500.000 Euro Privathonorar dazuverdienen.

Kinderärzte, oft am untersten Ende des Spektrums, erreichen nicht einmal 50000 Euro Privateinkünfte. "Solche Differenzen spiegeln nicht unterschiedliche Leistungen wider, sondern beruhen auf dem Einfluss von Standesvertretungen, die mehr oder weniger mächtig sind", so Einhäupl. Hinzu kommt, dass sich viele Chefärzte bei ihren Privat-Abrechungen am Rande der Legalität bewegen, da sie oft nicht selbst behandeln, sondern Oberärzte die eigentliche Arbeit erledigen.

Angst um Honorare

Da Privateinkünfte von der Zahl der Patienten abhängen, neigen Ordinarien auch dazu, ihr Hoheitsgebiet groß zu halten. Die Folgen sieht Ludwig Wildt von der Universität Erlangen: "Die Gynäkologie hat sich in drei Fächer aufgespalten - Chirurgie/Onkologie, Geburtshilfe und Fortpflanzungsmedizin. Kein Chef ist heute mehr in der Lage, über alle drei Bereiche den fachlichen Überblick zu behalten." Dennoch verhindere so mancher Inhaber eines Gynäkologie-Lehrstuhls, dass das Fach in Abteilungen aufgeteilt werde, weil er dann viele Honorare verlieren würde. "Das behindert die Qualität der Forschung", so Wildt.

Die Einkünfte aus der Privatliquidation seien jedenfalls kein Maß mehr dafür, "was ein Chefarzt wirklich für seinen Arbeitgeber leistet", sagt Meinhold.

Die Kultusminister haben daher ein Prämiensystem vorgeschlagen: Als Ausgleich sollen die Chefärzte ein höheres Grundgehalt bekommen, von dem ein Teil als fester Betrag ausgezahlt wird. 20 bis 30 Prozent sollen als variable Prämie vom "Erfolg" der Abteilung abhängig sein. Wovon sie die Prämie abhängig machen, sollen die Kliniken entscheiden. "Sinnvoll wäre es, bei der Höhe der Prämien die Qualität von Forschung und Lehre zu berücksichtigen", schlägt Einhäupl vor.

Nachwuchssorgen

Doch die Flexibilität findet keineswegs nur Zustimmung. "Ich kenne Beispiele, wo die besten Bewerber den Unikliniken einen Korb gegeben haben", sagt Peter Schmiedek vom Universitätsklinikum Mannheim.

In einem Fall biete eine städtische Klinik dank Privatliquidation ein dreifach besseres Gehalt als eine Universität. "Wenn für die Universitäten nur noch zweitklassige Bewerber übrig bleiben, wird das die Qualität der Ausbildung verschlechtern", so Schmiedek.

Meinhold sieht das anders: "Das neue Vertragsrecht enthält große Freiräume. Die kann man gut oder schlecht nutzen." Doch den Kliniken müsse klar sein, "dass der Sinn der neuen Regelung nicht darin besteht, einen erstklassigen Chefarzt billiger zu haben, sondern vor allem darin, ihn besser einzubinden."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: