Ungerade Karrieren:Artisten der Arbeit

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Von der Sekretärin zur Immobilien-Maklerin, vom Juwelenverkäufer zum Manager: Vier Porträts moderner Arbeitsnomaden.

Die eine war in ihrem früheren Leben Sekretärin und makelt heute Häuser, der andere verkaufte Juwelen und ist jetzt Manager. Sie hatten ihre Tiefs - vorbei, durchgestanden, abgehakt. Sie sagen, heute seien sie zufrieden oder sogar ziemlich glücklich. Sie arbeiten vier Stunden am Tag oder zwölf oder auch mal gar nicht, sind ihr eigener Chef oder haben deren gleich mehrere, und beides empfinden sie als Privileg. Mit Begriffen wie Erfolg und Karriere haben sie abgeschlossen. Dabei verfügen sie über wichtige Schlüsselqualifikationen. Sie haben bewiesen, dass sie flexibel, mobil und weltgewandt sind. Extrem belastbar ohnehin.

Der Berufsweg, ein Balanceakt: Karrieren verlaufen heute häufig nicht mehr kontinuierlich und steil bergauf. (Foto: Foto: Reuters)

Früher hätte man solche Leute ein wenig abfällig Lebenskünstler genannt. Heute ist klar: Diese Menschen sind ihrer Zeit voraus. Denn im Ernstfall wissen sie, was zu tun ist, wenn die Volatilität des Arbeitsmarktes mal wieder zuschlägt: Diese Artisten der Arbeit stecken nicht auf. Sie orientieren sich um und starten durch. Vier gut gelaunte Beispiele von Christine Demmer

"Ich bin doch ein Glückskind"

Barbara Bruhn: Schuhindustriemeisterin, Taxifahrerin, Sekretärin und Maklerin. (Foto: Foto: oh)

1968 ist sie die erste Schuhindustriemeisterin in Deutschland. Sie heiratet, bekommt zwei Söhne, wird geschieden und dann Bedienung im Café. Ein Abstieg? "Das seh' ich nicht so", sagt Barbara Bruhn. "Ist doch egal, womit man sein Geld verdient. Wir mussten schließlich von irgendwas leben."

Als die Schuhindustrie vor 30 Jahren nach Fernost abwandert, zuckt Bruhn mit den Schultern und wirft sich beherzt in den Arbeitsmarkt. Sie serviert Kaffee und Kuchen, fährt abends Taxi, sitzt stundenweise bei einem Zahnarzt am Empfang und bei den Bremischen Spannbetonwerken im Büro.

Über drei Ecken kommt sie zum Hamburger Presseball und erweist sich dort als tatkräftige Organisatorin. Nach dem letzten Tusch frischt sie ihre Steno- und Schreibmaschinenkenntnisse auf und findet einen Sekretärinnenjob in einer PR-Agentur. Nicht nur das: In das Leben der 46-jährigen Alleinerziehenden tritt ein neuer Ehemann. Ein Architekt, leider ziemlich pleite, weshalb ihm Barbara Bruhn ein paar Jahre lang freundschaftlich die Bürokraft ersetzt. Zwischendurch erlernt sie den Maklerberuf und macht sich mit knapp 50 Jahren selbständig.

Das erweist sich als klug, denn der mittlerweile arrivierte Gatte setzt sich 1996 mit einer deutlich jüngeren Dame nach Sylt ab. Erneut Scheidung. Die Maklerei gibt Halt, aber kein auskömmliches Einkommen. Also Jobsuche, die zweite, Urlaubsvertretungen, neue Kollegen, neue Büros. "Natürlich hatte ich Depressionen", sagt Bruhn, "es gab Tage, an denen ich morgens heulend aus dem Haus ging und abends heulend heimkam. Aber es musste ja weitergehen." Ein attraktiver Dauerauftrag im Bereich der Liegenschaftsverwaltung - Bruhn: "Quatsch, ich bin da eine Art Hausmeisterin" - macht die Wiederaufnahme der Ein-Frau-Firma möglich. Da ist sie 56 und die Söhne sind aus dem Haus.

Heute ist Bruhn 65, sie könnte ihre Maklerfirma aufgeben und in Rente gehen. Nur lebt sich's von angekündigten 550 Euro Rente nicht besonders gut, besonders dann nicht, wenn man gerne in der Weltgeschichte herumreist. Und das tut sie für ihr Leben gern. Sie hofft auf einen großen Verkaufsauftrag für ein Haus in Hamburg, der ihr ordentlich was einbringen würde. Kommt der nicht, dann kommt eben etwas anderes. Für manchen Familienangehörigen ist sie ein schwarzes Schaf. Barbara Bruhn sieht das gelassen. "Ich bin doch ein ausgesprochenes Glückskind."

"Du kannst nicht vom Fußboden fallen"

Christian Uhrig hat das Leben mit beiden Händen angepackt. Dann und wann hat er sich vergriffen - sei's drum: "Alles, was wert ist, getan zu werden, sollte aus ganzem Herzen getan werden." Hinter sich gelassen hat der heute 41-Jährige schon viel: seine Ausbildung zum Hotelfachmann, seine Fallschirmspringerschule in Belgien, seine Erfolge als Berater und, mit 34 Jahren, Deutschland. 1999 wandert der Frankfurter mit Frau und Kindern nach Australien aus: "Die Zukunft gehört dem pazifischen Raum." Seine Heimat heißt jetzt Eumundi, ein 800 Seelen-Dorf bei Brisbane.

Gerade als sich seine neu gegründete IT-Firma erfreulich entwickelt, meldet sich die australische Einwanderungsbehörde: Er müsse binnen sechs Monaten einreisen, anderenfalls sei das Visum weg. Leichten Herzens verkauft er seinen Geschäftsanteil an den Teilhaber, der stirbt wenig später, und Uhrig hat die Firma erneut am Hals. Das bedeutet, zwischen Deutschland und Brisbane hin und her zu pendeln, Stress pur. Am Ende verkauft er.

Diverse Anläufe in Australien scheitern, freie Stellen für Berater gibt es auch nicht. Als Anfang 2001 das Geld ausgeht, kehrt Uhrig nach Deutschland zurück und sucht sich hier einen Vertriebsjob. Die Familie wartet in Australien und bekommt ihn in den nächsten drei Jahren nur selten zu Gesicht. "Erhebliche familiäre Spannungen und Entfremdung waren die Folge", sagt Uhrig lakonisch. War Australien wirklich eine gute Idee?

Die deutsche Wirtschaft ist weiter auf Talfahrt, und im November 2002 bricht der Überlebenskünstler seine Zelte in der alten Welt endgültig ab. Er wird Verkäufer in einem Juweliergeschäft, tödlich langweilig, 17 Dollar pro Stunde. Das bietet keine Perspektive. "Das Land boomte, aber Managementpositionen wurden meist mit Einheimischen besetzt." Anfang 2005 dann der Durchbruch: Zuerst will ihn ein Produktionsbetrieb als General Manager, heute bereitet er Brauchwasser auf. "Wenn die Dinge ganz eng werden, dann musst du nach vorne denken. Irgendwann kommt der Erfolg. Du kannst nicht vom Fußboden fallen, aber alles gewinnen", sagt Uhrig.

"Luxus ist, viel Zeit für mich zu haben"

Cristina Faber-Reineke wächst in Malaga auf. Nach dem Abitur lernt sie einen Fischwirt kennen - das ist ihr Beruf. "Ich wollte sowieso irgendwas mit Landwirtschaft oder Tieren zu tun haben." Bei der Landesanstalt für Fischerei in Nordrhein-Westfalen absolviert sie eine Ausbildung, will aber unbedingt in Spanien arbeiten. Ein halbes Jahr lang hilft sie einem Deutschen bei seiner Fischzucht auf Mallorca. "Leider stellte sich heraus, dass der Mann Schulden hatte und ich keinen Lohn von ihm sehen würde."

Sie zieht zurück zu den Eltern nach Andalusien und sucht sich Arbeit als Rezeptionistin in einem Time-Sharing-Resort. Danach führt sie ein Jahr lang Touristen durch Südspanien und Portugal. Es folgt ein Zweitstudium in Granada und Köln mit dem Ziel, Übersetzerin zu werden. 1994 hat Faber ihr Diplom in der Tasche und will nun nicht mehr fort aus Köln. "Mir war es wichtig, dort endlich einen festen Freundeskreis zu haben."

Eher unlustig wendet sie sich ans Arbeitsamt. Übersetzerin? Keine Chance. Fischwirtin? Was'n das? "Man riet mir, mich zur Steuerberaterin umschulen zu lassen." Cristina Faber schreibt sich zwar erneut an der Uni ein, belegt aber statt der angepriesenen BWL lieber Regionalwissenschaften Lateinamerika und jobbt die meiste Zeit bei der Kölner Messe als Hostess. Bisweilen ergattert sie einen Job als Übersetzerin für zwei, drei Monate. Das bringt zeitweilig Geld in die Kasse, langweilt sie aber schrecklich.

Vor zehn Jahren findet sie endlich eine Arbeit, die zu ihr passt: Sie wird Fahrradkurierin in Köln, rast durch die Stadt und arbeitet bei Auftragsflaute in der Disposition. Die Mischung aus Bewegung und Bürotätigkeit im alternativen Ambiente gefällt ihr. "Mit der Bezahlung konnte ich keine großen Sprünge machen, aber es reichte."

Nach acht Jahren findet Faber, dass es nun genug sei. Sie liebäugelt mit einer Ausbildung zur Physiotherapeutin, wird aber vom Arbeitsvermittler nur schmallippig darauf hingewiesen, dass der Beruf der Altenpflegerin doch viel besser zu ihr passe, schon altersmäßig. Dann schon eher eine Büroausbildung ohne IHK-Prüfung, die ihr von der Arbeitsagentur nahe gelegt und finanziert wird. Im Ergebnis arbeitet sie heute Schicht am Köln-Bonner Flughafen. Was sie auf keinen Fall missen möchte: den Luxus, viel Zeit zu haben. Dafür verzichtet sie gerne auf Sicherheit und ein Einkommen, mit dem sie sich ihre Träume erfüllen kann. Das tut sie ohnehin jeden Tag.

"Ich bin mein eigener Herr"

Sechzehn Semester lang versucht Hanno Reis, Lehrer zu werden. Doch dass er Jugendliche für Differentialrechnung begeistern würde, kann er eines Tages nicht mehr glauben. "Ich hatte das Gefühl, immer weiter in eine Sackgasse zu laufen." Er hält an. "Man sollte sich nicht zum Weitergehen zwingen, nur weil man schon ein Stück gegangen ist", sagt der 54-Jährige.

Nach der Exmatrikulation fühlt er sich erleichtert, hieß es 1979 doch noch: Wer arbeiten will, bekommt auch Arbeit. Reis stellt sich vor, ein oder zwei Jahre irgendeinen Job anzunehmen, in dieser Zeit ein bisschen Geld zurückzulegen und sich ansonsten in Ruhe darüber klar zu werden, wie es weitergehen soll.

Doch das stellt sich schnell als Illusion heraus. Beim Arbeitsamt gilt er als unvermittelbar, und alle Versuche, über Bewerbungen auf Zeitungsanzeigen an einen Job zu kommen, misslingen. Reis fühlt sich als unerwünschtes Mitglied der Gesellschaft. Die Familie übernimmt die Miete, die Kumpels leihen ihm Geld - ohne Gewissheit, es jemals wiederzusehen.

1981 lernt Reis das Kartenspiel Bridge kennen. Als leidenschaftlicher Schachspieler und Mathematiker ist er sofort hin und weg. Er tritt in den Göttinger Bridgeclub ein und steigert durch viel Praxis und theoretische Lektüre seine Spielstärke - Zeit hat er ja genug. Auf Bitten der Seniorengemeinschaft eines Sportclubs baut er in den achtziger Jahren eine Bridgeabteilung auf, unterrichtet Einzelne und Gruppen. Das macht Spaß und reicht fürs Brot, aber nicht für mehr. Daher jobbt er seit 13 Jahren zusätzlich als Keeper in seiner Stammkneipe und fühlt sich pudelwohl.

Reis legt die Karten offen auf den Tisch. "Erfolgreich im landläufigen Sinne bin ich nicht", sagt er, "mein Einkommen ist sehr überschaubar, ich habe keinerlei Rentenansprüche, und Urlaub ist nicht drin." Wenn er nicht arbeitet, bekommt er auch kein Honorar. Gelegentlich wird seine Mutter gefragt, was denn der Sohn in Göttingen so mache. Reis hat sich eine Sprachregelung ausgedacht: Sie solle sagen, er sei in der Freizeitpädagogik tätig, im Seniorenbereich. "Das scheint zu funktionieren."

© SZ vom 9.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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