UN-Tagebuch:Der Duft der Diplomaten

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Aus dem Innenleben einer Weltorganisation: Die Vereinten Nationen aus der Perspektive einer Praktikantin.

Annemarie Fischer arbeitet als Praktikantin bei den Vereinten Nationen in New York. Für sueddeutsche.de führt sie Tagebuch.

(Foto: Foto: Vanessa Vermaak)

Es wird Herbst in New York. Morgens, wenn ich aufstehe, ist es jetzt noch dunkel, und es wird langsam kälter. Dennoch liebe ich meinen Arbeitsweg quer durch Manhattan. Ab und zu gibt es ein kleines Highlight - wie den Busfahrer auf der 42. Straße, der neben einer melodischen Ankündigung der nächsten Haltestelle auch noch einen elaborierten Wetterbericht inklusive Uhrzeitansage liefert. Das zaubert selbst auf das Gesicht der hartgesottenen New Yorker ein morgendliches Lächeln.

Rote Ampel Die Bewohner des Big Apple sind Meister im Multi-Tasking. Manchmal widersprechen die merkwürdigen New Yorker Verhaltensweisen den Überlebensprinzipien im Rest der Welt. New Yorker lesen morgens Zeitung - während sie die Straße überqueren, und während die Ampel rot anzeigt. Gerne wird die rote Ampel auch mit demonstrativ-leidenschaftlicher, küssender Tätigkeit kombiniert. Dass es die New Yorker dann und wann doch bis zur Fortpflanzung schaffen, belegen die "busy moms", die hyperbeschäftigten Mütter, die wochenends im Central Park zu sehen sind: Sie joggen, während sie telefonieren, ihr Kind spazierenfahren, den Hund ausführen - und in der anderen Hand den unvermeidlichen Kaffee jonglieren.

Beweisfotos Ich klicke mich für eine Photo-Reportage der 59. Generalversammlung durch das Archiv. Es ist faszinierend - ich bin wirklich live dabei.

Frau voran Innerhalb der UN genieße ich ganz besondere Privilegien: Als Frau hat man hier grundsätzlich Vortritt, bekommt stets die Tür aufgehalten und darf als erste den Fahrstuhl betreten und wieder verlassen - jenseits aller Hierarchien.

Besuch von ai Der kleine Raum ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Praktikanten drängen sich ehrfürchtig an der Wand - die Öffentlichkeitsabteilung hat zur Mittagsdiskussion geladen. Irene Khan, Generalsekretärin von Amnesty International, referiert über das Thema "Menschenrechte - das gefährlichste Gedankengut der Welt?". Ihr Lebensweg ist beeindruckend: Harvard Law School, auch die UN war eine ihrer Stationen: Sie fühle sich hier immer noch zu Hause, lässt sie uns wissen. Irene Khan ist die erste Frau aus einem asiatischen Land an der Spitze der Menschenrechtsorganisation. Sie ist gerade aus Darfur zurückgekehrt und gibt uns einen Augenzeugenbericht.

UN-Sprech, übersetzt Die Praktikanten werden durch die "Dag Hammarskjöld Library", die Bibliothek der Vereinten Nationen, geführt. Hier haben die Bediensteten Zugang zu Datenbanken, es gibt Kartensammlungen und spezielle Computerschulungen.

Ich belege einen Internetkurs über iSeek, das Intranet der UN. Neben den üblichen Funktionen eines Intranets - Job-Angebote, abrufbare Dokumente, Terminkalender, Video-Aufnahmen der wichtigsten Reden - lerne ich auch das Highlight kennen: eine Terminologie-Funktion, die alle gängigen Begriffe und Wendungen der "UN-Sprache" übersetzt.

Die Welt in einem Raum In dieser Woche nehme ich zum ersten Mal an einer UN-Sitzung teil. Es geht um Kommunikationsstrategien und um den derzeitigen Rationalisierungsprozess der weltweiten UN-Informationszentren angesichts eines immer knapper werdenden Budgets. Der Konferenzraum Nummer 4 sieht aus wie eine Miniaturversion der Generalversammlung. Auch hier wurde die Sitzordnung der Länder nach alphabetischem Prinzip erstellt, auch hier sind die Ländernamen in weißer Schrift auf Holzschildern eingraviert, auch hier verrichten Simultanübersetzer ihre Arbeit.

Diplomaten bilden, obwohl sie aus aller Herren Länder kommen, eine Klasse für sich. Sie sehen immer intelligent und gepflegt aus, sind mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit kosmopolitisch, beherrschen meisterhaft das code-switching von einer Sprache in die andere - und sie riechen immer gut.

Die Redebeiträge sind sehr formalisiert, jedoch nicht frei von nationalen Färbungen und Antagonismen. Die ganze Welt ist in diesem kleinen Raum versammelt, und die Meinungen driften auseinander. Kuba erklärt, die USA führten einen propagandistischen "Radio-Krieg" gegen sie, viele Länder setzen sich für eine stärkere Fokussierung Palästinas ein. Erst in einer "reply", einer kurzen Antwort am Ende der Sitzung, dürfen sich die Vereinigten Staaten und Israel dazu äußern. Ist "das Protokoll" vielleicht das notwendige Korsett, das eine Kommunikation und Kooperation jenseits ethnischer und nationaler Grenzen überhaupt erst ermöglicht?

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