Umfrage:Der Deutschen größte Angst

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Wo ist der Mut, wo die Risikofreude? Achtzig Prozent der Menschen fürchten sich vor Jobverlust. Das zu ändern, sei mindestens so schwer wie für einen Raucher seine Sucht aufzugeben, meint ein Psychologe.

Von Nina Bovensiepen

Sie behaupten von sich, sie seien Millionen, aber in Wahrheit sind sie wohl eine Randgruppe. Sie nennen sich die "glücklichen Arbeitslosen", und auf ihrer Homepage fordern sie ein "artgerechtes Biotop" für ihresgleichen, um sich Besinnung, Muße und sozialem Miteinander zu widmen.

Idee und Wirklichkeit: "In Deutschland herrscht immer noch die Geisteshaltung, dass man eine Ausbildung macht, eine Stelle findet und die bis ans Lebensende behält." (Foto: Foto: dpa)

Es ist ein ungewöhnlicher Umgang mit der Arbeitslosigkeit, den die selbst ernannten "Müßiggangster" üben - und ein wenig verbreiteter. Denn die meisten Deutschen sehen im Job-Verlust kein Glück, sondern haben Angst davor; deutlich mehr als die Bürger im übrigen Europa. Eine Studie des Marktforschungsinstituts GfK hat jetzt ergeben, dass 81 Prozent der Deutschen die Arbeitslosigkeit als drängendstes Problem empfinden. In Polen sind es immerhin 63 Prozent, in Großbritannien dagegen nur vier Prozent.

Bernd Bohn, Arbeitspsychologe an der Universität Bremen, findet das Ergebnis erschreckend. "Wir wissen zwar, dass die Angst der Deutschen vor Arbeitslosigkeit groß ist, aber dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht", sagt er. Zu einem Teil lässt sich die unter Europas Bürgern so verschieden ausgeprägte Angst mit der Statistik erklären. Die Arbeitslosenquote in Deutschland ist laut europäischem Statistikamt von 7,9 Prozent im Jahr 1999 auf 9,5 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. In Polen kletterte sie gar von 13,4 auf 18,8 Prozent. In Großbritannien sank sie dagegen von 5,9 auf 4,7 Prozent.

Doch Zahlen reichen als Begründung nicht aus. "In Deutschland herrscht immer noch die Geisteshaltung, dass man eine Ausbildung macht, eine Stelle findet und die bis ans Lebensende behält", sagt Psychologe Bohn. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien die Deutschen mit dieser Haltung 50 Jahre gut gefahren, weil es Wachstum und Jobs gegeben habe.

In Großbritannien hätten die Bürger durch die harten Reformen von Premierministerin Margaret Thatcher längst gelernt, dass eine Stelle nicht auf Lebenszeit sicher sei. "Hier bekommen die Menschen dagegen den Horror, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren", sagt Bohn. Es werde dauern, bis sich das ändere. Jobwechsel seien die schwierigsten psychologischen Prozesse. Weniger Angst und mehr Risikofreude zu empfinden, falle mindestens so schwerwie es einem Raucher schwer falle seine Sucht aufzugeben, meint der Psychologe.

Dirk Mörsdorf, Mitautor der GfK-Studie, führt die große deutsche Angst auch darauf zurück, dass jeder hierzulande von der Arbeitslosigkeit "eingekesselt" sei. "Jeder hat Bekannte, die arbeitslos sind, und erlebt, wie schwer es ist, einen neuen Job zu finden", sagt er. Zudem sei das Thema in den Medien "erdrückend präsent": Wer immer wieder liest, dass fast fünf Millionen Menschen keine Arbeit haben, geht in ein Bewerbungsgespräch schon hoffnungslos hinein.

Auch Bohn glaubt, dass Fernsehen und Zeitungen die Stimmung schlechter machen, als sie ist. Statt über Warteschlangen in Arbeitsagenturen solle lieber über die geglückte Jobsuche von Erwerbslosen berichtet werden.

Das Rezept der "glücklichen Arbeitslosen" gegen die Misere mag der Psychologe indes nicht teilen. In ihrem Manifest "... und was machen Sie so im Leben" fordern diese die Schließung aller "Statistik- und Propaganda-Büros" und ein Ende der Kontrollen von Arbeitslosen - und stattdessen die automatische, unbefristete Zahlung von staatlicher Unterstützung.

© SZ vom 27.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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