Tod im Büro:Tatort Arbeitsplatz

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Gewalt im Betrieb wird gerne verschwiegen. Das macht vorbeugende Maßnahmen schwierig.

Chris Löwer

Der 19. Februar 2002 ist der Tag, an dem aus dem jungen Kollegen ein Mörder wird. Der 22-Jährige hat seinen Job in einer Echinger Dekorationsfirma verloren. Um acht Uhr morgens erscheint er noch einmal am Arbeitsplatz - mit einer großkalibrigen Pistole. Es fallen Schüsse, der Betriebsleiter und ein Vorarbeiter sterben. Mit dem Taxi fährt der Amokschütze zu seiner ehemaligen Schule in Freising und erschießt den Direktor. Dann tötet er sich selbst.

Jede Woche werden etwa 20 Menschen wegen Streitigkeiten am Arbeitsplatz getötet. (Foto: Foto: iStockphoto)

Ähnlich geht die Geschichte von Stefan A., der es zum stellvertretenden Abteilungsleiter eines Möbelhauses gebracht hat. Sein Auftreten ist stets korrekt. Bis zu dem Tag, an dem er ganz in Weiß zur Arbeit erscheint - mit einem 80 Zentimeter langen Samuraischwert. Mit ihm trennt er einer Kollegin ungerührt den rechten Arm ab, verletzt drei weitere schwer und ersticht eine Frau - erst dann kann der 24-Jährige gestoppt werden. Später, im Prozess, wird er aussagen, dass er Rache nehmen wollte - dafür, dass er stets benachteiligt wurde.

Erhöhter Druck, rigoroses Heuern und Feuern

Es wäre übertrieben, aus solchen Fällen zu schließen, dass unter deutschen Firmendächern das große Hauen und Stechen herrscht. Doch körperliche Gewalt nimmt zu. Jedes zweite Unternehmen ist von offener oder versteckter Gewalt betroffen, schätzt der Wiener Profiler und Kriminalpsychologe Thomas Müller.

In den USA hat das Problem bereits einen Namen: "Workplace violence". Das liegt wahrscheinlich daran, dass körperliche Gewalt am Arbeitsplatz in Amerika schon länger ein Thema ist. Dort hat das National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) herausgefunden, dass jede Woche etwa 20 Menschen wegen Streitigkeiten am Arbeitsplatz getötet werden und mindestens 18.000 körperlich wie seelisch Schaden nehmen.

Zwar sei das Phänomen alles andere als neu, doch die Qualität der Wutausbrüche habe sich verändert, erklärt Kriminalpsychologe Müller: "Während früher Betroffene, die Probleme mit ihren Nachbarn oder innerhalb der Familie hatten, im schlimmsten Fall depressiv geworden sind oder sich selbst getötet haben, rotten sie heute gleich die ganze Familie aus. Diese Änderung der Gewalt hat auch am Arbeitsplatz Einzug gehalten."

Klaps auf den Hinterkopf

Aber schon bei den Ursachen für den tödlichen Kontrollverlust sind sich die Experten uneins. Erhöhter Druck, rigoroses Heuern und Feuern sowie fiese Vorgesetzte werden ins Feld geführt. Schuld an allem sei jedoch letztlich die Arbeitsmarktsituation, die für Angst vor Jobverlust sorge.

Dirk Windemuth sieht das anders: "Ein angespannter oder flexibilisierter Arbeitsmarkt ist der typische Auslöser für Mobbing, nicht aber für Gewalt", sagt der Leiter der Abteilung Forschung und Beratung bei dem Berufsgenossenschaftlichen Institut Arbeit und Gesundheit (BGAG) in Dresden, das Präventionsprogramme und Deeskalationsseminare anbietet. "Vieles ist auf ungenügende Führungsqualitäten Vorgesetzter zurückzuführen. Ein althergebrachter autoritärer Führungsstil führt unter den Mitarbeitern zu Konkurrenz und massiv antisozialem Verhalten", erklärt Windemuth.

Hinzu kämen gerade im verarbeitenden Gewerbe vermeintlich harmlose Maßregelungen wie der Klaps des Poliers auf den Hinterkopf des Auszubildenden, weil er meint, ihm selbst habe das früher auch nicht geschadet. Doch das sei die Saat für Frust, Wut, Gewalt.

Lesen Sie, welche Maßnahmen helfen können.

Erst kürzlich suchte bei dem Dresdner Institut ein Betrieb um Hilfe, weil sich Arbeiter in der Fertigung gegenseitig verprügeln. In solchen Fällen werden Führungskräfte und Arbeiter ins Gebet genommen. "Den Chefs legen wir einen transparenten und partizipativen Führungsstil nahe", sagt Windemuth, "und die Mitarbeiter schulen wir darin, wie sich Konflikte im Gespräch statt mit der Faust lösen lassen."

Hilfreich sei es auch, Arbeitsgruppen rotieren zu lassen. "Wenn Teams länger als zwei Jahre zusammenarbeiten, dann richten sich die Leute ein. Sie kennen ihre Macken und schonen sich, was nicht immer gut geht. Jedenfalls wird eine Starrheit erzeugt, die dem sozialen Verhalten nicht unbedingt förderlich ist", sagt Windemuth. Selbst in kleinen Betrieben seien permanente Wechsel möglich, etwa indem nicht immer dieselben beiden Monteure gemeinsam herausgeschickt werden. Außerdem schlägt der Berater ein Patensystem vor, bei dem altgediente Mitarbeiter ein Auge auf Frischlinge haben, damit diese nicht in jedes sich bietende Fettnäpfchen treten und den Ärger auf sich ziehen.

Solche Maßnahmen helfen nicht immer. Vor allem nicht, wenn ein Kollege psychisch gestört ist. "Es gibt auch Mitarbeiter, die mit Brüchen in ihrem Leben einfach nicht zurechtkommen", sagt Claudia Dölitzsch. Die Psychologin hat anhand von polizeilichen Ermittlungsakten und staatsanwaltlichen Urteilen 20 Fälle schwerster körperlicher Gewalt am Arbeitsplatz aus den Jahren 1992 bis 2004 untersucht. Dölitzsch: "Zu den Risikofaktoren zählen unbewältigte private Probleme wie Trennungen, Ausbildungsabbrüche und Jobverlust." Sind dann noch die Arbeitsbedingungen schlecht, kommen Demütigungen durch den Chef und die Kollegen hinzu, braucht es nur noch einen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt

Überraschend seien Ausraster hingegen nie: "Es gibt immer eine Vorgeschichte und einen Prozess der Eskalation. Manchmal sind die Anzeichen deutlich, zum Beispiel Beleidigungen, Sachbeschädigung oder geringfügige Gewalt, manchmal aber auch nicht", sagt Dölitzsch. Gibt es Indizien, ist es ideal, wenn die Firma über eine Vertrauensperson verfügt, die das Gespräch sucht und sich bemüht, die Spannung zu lösen. In den USA gibt es dafür sogar ein sogenanntes Bedrohungsmanagement, psychologisch versierte Mitarbeiterteams, die einem potentiellen Angreifer die Wut nehmen und sich auf Spurensuche in die Vergangenheit begeben. In Deutschland muss man nach Vergleichbarem lange suchen.

Jens Hoffmann, Leiter des Instituts für Psychologie und Sicherheit an der Technischen Universität Darmstadt, der gemeinsam mit Claudia Dölitzsch zu dem Thema geforscht hat, attestiert Amokläufern eine lange verborgene Wut und ein schwaches Selbstwertgefühl. Er weiß: Wer kein Gehör findet, schlägt irgendwann zu. Wenn es dann so weit komme, seien die Täter kaum noch zu stoppen. Sie folgten der Devise: Ich mach' euch fertig, bevor ihr mich fertig macht!

© SZ vom 3.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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