Titelhandel:Zwei Buchstaben auf Bestellung

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Das Geschäft mit falschen Doktortiteln blüht vor allem im Internet - und könnte künftig noch einfacher werden.

Von Christine Demmer

(SZ vom 20.9.2003) Das Internet ist ein Dorado für Käufer. Fast alles kann man online ordern. Zwar ist der Handel mit manchen Dingen - wie etwa Organen oder Drogen - in den meisten Ländern verboten. Doch dem Server ist es egal, in welchen Winkel der Welt ihn der Händler platziert. Beinahe jede Lieferung findet, neutral verpackt, ihren Weg zum Kunden. Woher die Ware stammt und ob sie überhaupt echt ist, interessiert den Käufer in der Regel wenig. Schon gar nicht, wenn es sich um Prestigeobjekte handelt, deren Erwerb normalerweise viel Zeit, Mühe und Gehirnschmalz fordert. Wie beispielsweise ein Doktortitel. Wer die Abkürzung "Dr." vor seinen Namen setzen will, der kann für einen Uni-Abschluss pauken und anschließend promovieren. Einfacher, schneller und manchmal sogar billiger bekommt er den Titel per Online-Order. Natürlich ist auch das verboten. Doch in der juristischen Grauzone des E-Commerce blüht der Handel mit Universitätsdiplomen, Doktortiteln und Professorenwürden.

"Doctor of Immortality"

Erst kürzlich verhandelte das Berliner Landgericht über den Fall der "Akademus Wissenschaftsberatung", die über eine britische Internet-Adresse und eine Kanzlei am Kurfürstendamm mehr als 70 falsche Doktorhüte für bis zu 44.000 Euro pro Stück vertrieben haben soll. Den meisten Kunden reichte es, mit dem Titel Briefpapier und Visitenkarten zu schmücken. Einer allerdings wollte sich die beiden Buchstaben im Personalausweis eintragen lassen, und weil ein Sachbearbeiter amtsgemäß nachprüfte, flog das florierende Geschäft auf.

Während sich die "Akademus Wissenschaftsberatung" inzwischen aus dem Internet verabschiedet hat, ist Namensvetter "Academus" - die deutsche Vertriebstochter der amerikanischen "Degree Consulting Inc." - unter www.academus.com immer noch gut im Online-Geschäft. Dort kann man sich für 200 Dollar den klingenden Titel eines "Doctor of Metaphysics" in den Warenkorb legen. Ebenso wohlfeil sind neben verschiedenen Bachelor- und Master-Graden der "Doctor of Motivation" und der "Doctor of Immortality". Für ein paar Tausend Dollar kommt die von einer nicht näher genannten US-Universität "anerkannte Dissertation, in dreifacher Kopie beglaubigt" samt Doktorhut ("graduation cap, black") ins Haus.

Im Doppelpack günstiger sind die akademischen Weihen bei der Mave University mit Sitz auf den britischen Virgin Islands (www.maveuniversity.org). Master- und Doktorgrad kosten zusammen 1200 Dollar, für 100 Dollar mehr sind Doktor- und Professorentitel im Angebot. Noch billiger, meist nur für eine Mitgliedsgebühr, liefern pseudoreligiöse Organisationen in den USA (www.academy-online.com), die mit den Amtskirchen nur die stetig sprudelnden Einnahmequellen gemein haben.

Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs stammte die Mehrzahl der käuflichen Titel aus Nord- und Südamerika sowie aus der Schweiz, weil die staatliche Aufsicht dort mit dem Hochschulwesen vergleichsweise lax umging. "Seither tut sich viel in Osteuropa und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion", sagt Peter Oberschelp. Als stellvertretender Leiter der Zentralstelle für das ausländische Bildungswesen bei der Kultusministerkonferenz (KMK) weiß er um die Geldnöte der Universitäten im Osten und um die verführerischen Angebote obskurer, zuweilen auch deutscher Vermittler, die kräftig im Titelhandel mitmischen. "Für die Hochschulen haben sich da vielfältige Möglichkeiten aufgetan", sagt Oberschelp. "Zuerst glaubten die den Agenturen ganz naiv, das gehöre nun mal zum Kapitalismus. Heute gehört es zur Globalisierung."

University of Nowhere

Die Experten in der Bonner KMK-Zentrale haben einen guten Einblick in die internationale Hochschulszene und wissen recht gut, welche Leistungen die einzelnen Wissenschaftsbetriebe mit einem akademischen Grad anerkennen. "Das Problem ist die Anerkennung der Hochschulen bei den nationalen Behörden", sagt Oberschelp. "Wenn die Bildungsgänge und Prüfungen einer Einrichtung nicht von einer offiziellen Stelle akkreditiert werden, dann gründet sie eben eine eigene Akkreditierungsstelle und besorgt sich dort die Anerkennung." Dagegen sind die deutschen Behörden machtlos. Schilda goes global: In immer mehr Ländern gibt es Akkreditierungsstellen für die Anerkennung von Akkreditierungsstellen.

Bisher dürfen akademische Grade von ausländischen Hochschulen im Prinzip nur in der Originalform und mit einem Hinweis auf das Herkunftsland geführt werden. Es sei denn, man beantragt die Umschreibung in einen deutschen Titel. Ein im Ausland erworbener Doktortitel lässt sich so bei Nachweis der Studien und Vorlage der Promotionsurkunde in den deutschen "Dr." umwandeln. Dazu wird jeder Fall einzeln von den Wissenschaftsbehörden der Bundesländer, in denen der Antragssteller wohnt, geprüft. Die Ämter unterliegen dabei dem jeweiligen Landesrecht, und so kann es vorkommen, dass ein und derselbe Doktorgrad in einem Bundesland der deutschen Promotion gleich gestellt, in einem anderen aber nicht anerkannt wird.

Im Zuge der Vereinheitlichung des Länderrechts und der Integration mit dem EU-Recht soll sich das von 2005 an ändern. Für Hochschulgrade aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie der Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen entfällt die Pflicht zur Führung einer Herkunftsbezeichnung. Ob in der Schweiz oder Portugal - jede Promotion führt dann automatisch und legal zum deutschen Doktortitel.

Ebenfalls ohne Prüfung, aber mit dem Herkunftszusatz, dürfen die meisten in Australien, Israel, Kanada, Russland und den USA erworbenen akademischen Grade geführt werden. Doch welcher Laie weiß schon, welche wissenschaftliche Leistung sich dann hinter dem "Dr. (University of Nowhere)" oder eindrucksvoll klingenden Kürzeln wie "Dr. (Nonsens-Institute, Haifa)" verbergen? "Der Titelmissbrauch wird leichter," räumt Peter Oberschelp ein. Schon jetzt ahnt er: "Den Händlern macht das die Arbeit sicher nicht schwerer."

Ein Prozent der Titel ist faul

Wer einen faulen Titel vor seinen Namen setzt, kann wegen Titelmissbrauchs angezeigt und zu einer Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr verurteilt werden. Dazu bedarf es allerdings erst einer Anzeige und der Aufnahme des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft. Wo jedoch kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Deshalb vermutet der Deutsche Hochschulverband (DHV), die Berufsorganisation der deutschen Universitätsprofessoren, eine hohe Zahl von unrechtmäßig geführten Doktortiteln. "Wir registrieren eine Zunahme an diversen Angeboten," beklagt DHV-Sprecher Kristijan Domiter. Dabei geht es nicht nur um das boomende E-Business, sondern auch um ergaunerte Promotionen, die mit Hilfe deutscher Lehrstuhlinhaber zu Stande kommen.

Von den jährlich 25.000 Promotionen in Deutschland wurden nach Schätzungen des Hochschulverbands mindestens 250 nicht durch echte wissenschaftliche Leistungen erworben. Genaueres weiß man nicht, denn nur selten dringen Titelbetrügereien wie die jüngste Berliner Affäre ans Licht. So lange die schwarzen Schafe also ihren Titel unauffällig führen und nicht von einem Neider oder missgünstigen Konkurrenten angezeigt werden, dürfen sie sich in Sicherheit wiegen. Und Personalchefs ist das Gleiche zu raten wie preisbewussten Autokäufern und öko-strengen Eieressern: Immer auf die Herkunft achten.

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