Tagebuch:Meine Reise zu den UN

Lesezeit: 6 min

Tausende bewerben sich, sie hat's geschafft: Annemarie Fischer arbeitet als Praktikantin bei den Vereinten Nationen. Ein Erfahrungsbericht aus New York.

Von Annemarie Fischer

Angekommen Leipzig, Frankfurt, Washington, New York: Endlich da. Erleichtert lasse ich mich auf mein Bett fallen. Die Flugodyssee lehrt mich eines: Ich werde nie wieder einen Flug buchen, bei dem man zweimal umsteigen muss, wenn es auch anders geht. Flug und Visumprozedere hatten einige Überraschungen inne. Der obligatorische Fingerabdruck beim Zwischenstopp in Washington verursachte einen plötzlichen Schweißausbruch: Das Lesegerät verweigerte bei meinem rechten Zeigefingerabdruck standhaft jede Kooperation. Oder war doch etwas mit meinem Finger nicht in Ordnung?

So sehen sie aus: die Büros bei den UN. Annemarie Fischer macht hier Öffentlichkeitsarbeit. (Foto: (Foto: Annemarie Fischer))

Richtig spannend wurde es dann aber erst beim Gerenne zum nächsten Gate, wofür nur noch 20 Minuten Zeit blieben. Zwischen den Gates vom Washington Dulles Airport liegen sinnigerweise Einkaufspassagen. Oder waren die vielen Menschen, die mir den Weg versperrten, nur Schaulustige, die extra kamen um uns zu beobachten: verschwitzte, rot angelaufene und in vielerlei Sprachen schreiende Kreaturen, die verzweifelt versuchten ihren Anschlussflug zu erreichen?

In New York angekommen, werde ich mit einem Kleinbus, ein Express-Taxi, mit anderen Fahrgästen kreuz und quer durch New York kutschiert. Trotz Jetlag genieße ich die Fahrt: Manhattan, Times Square. Wie immer sollte man seinen Kopf nach rechts drehen und auf die Sehenswürdigkeiten achten und nicht darauf, wieviele Fast-Unfälle es wieder gab. Es geht nichts über die New Yorker Fahrweise, die alle Naturgesetze außer Kraft zu setzen scheint.

Am Ende dieses langen Tages geschieht dann noch ein kleines Wunder: Als wir die letzte Route zu meinem zukünftigen Zuhause, den Webster-Apartments, einschlagen, komme ich mit dem Taxifahrer namens Tony ins Plaudern. Er ist halb belustigt, halb mitleidig, als ich ihm erzähle, dass ich ein unpaid intern, ein unbezahlter Praktikant bin. "You gotta work and earn money, girl - this is New York". Und dann geschieht das Wunder von Manhattan: Er besteht darauf, dass ich meine 19 Dollar Fahrgeld stecken lasse. Wohlgemerkt, ein New Yorker Taxifahrer, deren andere Vertreter dieser Spezies unbeholfene Touristen auch schon mal kreuz und quer durch die Stadt fahren, obwohl das Ziel nur ein paar Blocks entfernt liegt. Lieber Tony, dir sei hiermit gedankt.

Das Websters, ein Wohnheim nur für Frauen, entpuppt sich als eine gute Wahl für Studentinnen und Kurzzeit-Praktikantinnen in New York. Das Essen ist in Ordnung - obwohl alle immer noch rätseln, was man mit was beim Frühstück kombinieren darf: Wenn man Eier nimmt, darf man keinen Joghurt zusätzlich nehmen, so viel habe ich immerhin schon raus.

Die Einzelzimmer mit Bett, Kommode, Bücherregal, Schreibtisch plus Stuhl und Sessel und dem genialsten aller amerikanischen Erfindungen, dem begehbaren Wandschrank, sind für New Yorker Verhältnisse fast schon unverschämt sauber. Das Personal ist freundlich (wenn man nicht schon wieder einen Fehler bei der Frühstückskombination gemacht hat - offenbar der schlimmste Fauxpas) und rührend darum besorgt, dass kein männlicher Besuch - gemäß den Verfügungen des Gründers Charles B. Webster - auf unseren Zimmern landet. Im Gang findet sich die höfliche Bitte, beim Umziehen doch die Fenstervorhänge zuzuziehen - die Nachbarn im Haus gegenüber hätten sich schon beschwert. Kost und Logis betragen für Praktikantinnen 213 Dollar pro Woche.

Der Ausblick von der Dachterrasse auf Downtown Manhatten und der erste Blick jeden Morgen beim Arbeitsweg auf das Empire State Building sind unbezahlbar.

Verlaufen Die Einführungsveranstaltung für die neuen Praktikanten bei den United Nations Headquarters in New York wird wegen der anstehenden 59. Generalversammlung vorgezogen. Wir Neulinge finden uns um zehn Uhr am Besuchereingang vor dem Sekretariatsgebäude ein. Anne Favreau, Leiterin des Praktikantenprogrammes, händigt uns die Informationsmaterialien und die UN-Charta in einem blauen Ordner aus.

Großer Besuch am zweiten Tag: Muhammad Ali besucht die UN. (Foto: Annemarie Fischer) (Foto: N/A)

Dann kommt das Sicherheitsprozedere für die Ausgabe des "ground pass" im Gebäude gegenüber - Dokumentencheck, Unterschrift und Foto mit einer Webcam. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es schon am ersten Tag: Den rotbraunen Pass mit glitzernden UN-Headquarters-Hologramm, auf den wir alle so stolz sind, müssen wir am Ende wieder abgeben. Ohne ihn gelangen wir nicht in die Gebäude - der Besucherzugang ist während der Generalversammlung gesperrt.

Auf dem Weg zur Einführungsveranstaltung verläuft sich unsere kleine Gruppe. Als wir endlich ausklamüsert haben, dass nicht jeder Fahrstuhl in jedem Stockwerk hält und orientierungslos vom 24. zum 25. Stockwerk und wieder zurück eilen, wird mir in den langen, grauen Gängen so langsam das Ausmaß dieses Molochs klar. Schließlich erbarmt sich eine deutsche Carlo-Schmid-Stipendiatin unser.

Anne Favreau weist uns beim Treffen auf die do's and dont's im Sekretariat hin: Kleiderordnung ist "business casual" - für Praktikanten, die für die Generalversammlung arbeiten und täglich im Kontakt mit Diplomaten stehen, liegt der Kleidungsstandard höher. Respektiert einander im internen Internet-Forum, und tragt keine Streitereien darüber aus. Nach dem Praktikum gibt es einen sechsmonatigen Einstellungsstopp. Es wird ein von den Praktikanten in Eigenregie erstelltes Year Book für alle geben, und, wenn wir Glück haben, auch ein Gruppenfoto mit Kofi Annan.

Die Arbeitszeit ist regulär von 9 Uhr morgens bis 5 Uhr abends, während der spannenden General-Assembly-Zeit müssen alle eine halbe Stunde länger arbeiten.

Man spürt eine gewisse UN-Philosophie - alle Menschen sind gleichwertig, aber nicht gleichartig. Die UN-Headquarters bilden eine eigene kleine Insel in New York - sie richten sich in den Feiertagen nicht nach den amerikanischen Ferien, es gibt jedoch einen speziellen UN-Feiertag am 12. November. Später werde ich lernen, dass für Dokumente ein verbindlicher, am British English orientierter UN-Stil existiert: Es heißt centres und nicht, wie überall sonst in New York, centers, und bei Datumsangaben nennt man zuerst den Tag und danach den Monat.

Eine Stunde später sitze ich zwischen einem Holländer, einem Norweger, einer Äthiopierin, anderen Deutschen, einem Italiener und einem Spanier im One World Café und genieße von dort den Panorama-Blick auf den East River - glauben kann ich es immer noch nicht, wirklich hier zu sein. Das One World Café, in dem ein durchaus akzeptables Essen von drei bis sieben Dollar zu haben ist, wird zu einem inoffiziellen Praktikantentreffpunkt werden - immer so um die Mittagszeit, und immer sitzen wir hinten links bei den Fenstern.

In der Wabe Mein erster richtiger Arbeitstag bei den UN gleicht wegen der Sicherheitsvorkehrungen wieder einem Hindernislaufen. Im Department of Information bekomme ich meinen eigenen Schreibtisch in einem typisch amerikanischen cubicle, einer Art Bienenwabe im Großraumbüro, mit Telefon, Computer und Internetanschluss - und sofort ein Projekt: die Berichte der anderen Informationszentren zu analysieren, und die Daten auf ein anderes Datensystem zu konvertieren. Zuerst lese ich mich in die Materialien ein, die das Department of Public Information von den anderen Zweigstellen bekommen hat. Neben mir arbeitet ein weiterer Praktikant namens Manar aus Israel.

Bush kommt Die Generalversammlung beginnt am Dienstag mit Verspätung: Bush kommt - der letzte Straßenblock vor den UN in der 42. Straße wird durch dicke Laster abgeriegelt, selbst die Busse können nicht passieren, sogar die UN-Mitarbeiter dürfen erst einmal nicht ins Gebäude. Eine Schar von UN-Mitarbeitern eilen von Absperrung zu Absperrung - jedes Mal versichern die höflichen Sicherheitsbeamten, dass eine Straße weiter ein Durchkommen sei. Trotzdem geht es irgendwann nicht mehr weiter, und nun heißt es, vor den Gittern zu warten.

Trotz des sonnigen Wetters macht sich bei mir ein mulmiges Gefühl breit: Auf den niedrigeren Gebäuden laufen schwarzgekleidete Scharfschützen herum. Im UN-Vorhof patroullieren Sicherheitskräfte und Spürhunde. Ich werde nachdenklich: Während wir uns über die Sicherheitsbestimmungen an Flughäfen ärgern, hat der 11. September eine tiefe Wunde ins Herz New Yorks gerissen. Nichts ist so, wie es vorher war.

Plötzlich braust eine Delegation aus Edelkarrossen, Ambulanzen und Sicherheitskräften an uns vorbei, aus denen hektisch Sicherheitsbeamte steigen. Natürlich werden wir nie erfahren, in welchen dieser unzähligen Wagen nun wirklich der Präsident der Vereinigten Staaten saß.

Die Terrorangst hat für die UN-Praktikanten unmittelbare und unerfreuliche Auswirkungen: Nicht alle Praktikanten bekommen einen blauen "All-Access-Pass". Die Generalversammlung selbst werden die Praktikanten, die nicht im Besitz dieses zusätzlichen Passes sind, nicht direkt miterleben können. Mal eben die Rede des deutschen Außenministers hören und bei einer Sitzung vorbeischauen ist, anders als noch vor drei Jahren, nicht drin.

Als ich es endlich an meinem Schreibtisch geschafft habe und Daten eintippen möchte, erfahre ich, dass Muhammad Ali sich gerade im Department of Public Information befindet - ob wir ihn sehen möchten?

Manar und ich schnappen uns die Kamera und eilen den Gang hinunter. Tatsächlich, da steht er wahrhaftig inmitten einer begeisterten Menschentraube. Von Allüren keine Spur, er lässt sich geduldig ablichten und scherzt mit dem Personal. Sein Gesicht ist unbeweglich, aber er besteht für jedes einzelne Foto darauf, sich in Pose zu stellen.

Ansonsten bekomme ich von der Generalversammlung nicht viel mit, die Reden kann man sich jedoch im Web herunterladen. Es existiert sogar eine eigene Telefonnummer, auf der man die Reden live mithören kann.

Selbst nach meinem Feierabend um sechs Uhr ist noch lange nicht Schluss mit der allgegenwärtigen Terrorangst - auf meinem Heimweg wurde alles im Bereich der 40. Straße weiträumig hermetisch abgeriegelt. Hinter den mit gelbschwarzem Band provisorisch abgeriegelten Absperrungen stehen wieder Polizei- und Krankenwagen. Ich laufe in einem langen Blockumweg nach Hause.

Am Abend dann die Erlösung: Ja, es gab eine Explosion, aber keine von Terroristen verursachte. Die Nerven New Yorks liegen blank. Das ist es also, das Leben in der orangenen Stadt.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: