SZ-Serie:Der Kurswert als Maß aller Dinge

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Was ist eigentlich der "Shareholder Value"?

Christine Demmer

(SZ vom 25.05.2002) Kaum eine Manager-Vokabel hat seit dem Ende der neunziger Jahre so viel Aufsehen erregt und eine derartige Berühmtheit erlangt wie der Begriff "Shareholder Value".

Wörtlich übersetzt bedeutet er nichts anderes als "Aktionärswert". Das dahinter stehende Konzept, manchmal auch "Total Value Management" genannt, konzentriert die vielen Facetten des Unternehmenserfolgs aus Sicht von Investoren wie Managern auf eine einzige Messgröße: die Aktienrendite. Nur diese Kennzahl, so behaupten die Propagandisten des Shareholder Value, spiegele den Wertzuwachs eines Unternehmens und führe dem Anleger den Unterschied zwischen rentablen und unrentablen Geschäften deutlich vor Augen.

Gewinn für die Anteilseigner

Total Value Management fordert die Firmenlenker also dazu auf, den Marktwert des Eigenkapitals zu erhöhen. Die gesamte Strategie des Unternehmens soll auf den Gewinn der Anteilseigner ausgerichtet werden.

Wie man sich das ganz praktisch vorzustellen hat? "Als erstes", erklärt der Shareholder-Value-Berater, "kündigen wir das neue Denken mit einer wirkungsvollen Kommunikationsstrategie und der Gründung einer Investor Relations-Abteilung an. Dann drucken wir eine geschmackvolle Broschüre für die Aktionäre, eine Sonderausgabe der Firmenzeitung für die Mitarbeiter und informieren die Medien. Dann steigen wir richtig ein: Das Finanzsystem, also die komplette Buchhaltung, muss gründlich überarbeitet werden. Wir müssen ein am Firmenwert orientiertes Kennzahlensystem entwickeln.

Parallel dazu soll die neue Wertphilosophie in den Köpfen der Führungskräfte verankert werden - und das geht am besten durch ein konsequent am Wert orientiertes, leistungsgerechtes Anreiz- und Vergütungssystem." Unschwer zu erkennen: Der Aufwand kann in die Millionen gehen.

Der "Shareholder Value" in der Antike

Dabei ist das Prinzip Jahrtausende alt. Schon den Griechen der Antike war es geläufig: Privatbankiers nahmen Einlagen an und vergaben diese als Kredite an Dritte. Und schon damals durften sich diejenigen Verleiher über besonders üppige Einlagen freuen, die ihren Anlegern eine gute Rendite weitergeben konnten - einen hohen "Shareholder Value" eben.

Dass dieser uralte Gedanke in den achtziger Jahren noch einmal vom Himmel fiel, euphorisch aufgegriffen und debattiert wurde, ist ein erstaunliches Phänomen. Andererseits: Er wurde auch hervorragend vermarktet.

Das Konzept vom Shareholder Value oder dem Wertmanagement weist nämlich alle Merkmale eines erstklassigen Unternehmensberatungs-Produktes auf. Schließlich werden der Kundschaft gleich mehrere frohe Botschaften vermittelt: Die Konzentration auf den Shareholder Value schützt, erstens, den Vorstand vor feindlichen Übernahmen - jedenfalls sofern sie von Erfolg gekrönt ist. Zweitens sichert sie dem Topmanagement das Wohlwollen seines Aufsichtsrates und seiner Aktionäre.

Sie liefert der Führungsriege drittens gute Gründe dafür, die ertragsschwachen Unternehmensbereiche abzustoßen - und bemäntelt das Faktum, dass dort jahrelang sehenden Auges Verluste eingefahren wurden. Und viertens eignet sie sich auch noch bestens als Entschuldigung dafür, Forderungen des Betriebsrats abzulehnen.

Nachfrage-Boom auf den Aktienmärkten

Das Timing war dabei erstklassig gewählt. Immer mehr Unternehmen wagten Ende der neunziger Jahre den Sprung an die Börse; darunter viele, die es hätten lassen sollten. Kein Anleger wird allerdings sein Kapital langfristig ohne die begründete Hoffnung auf eine angemessene Rendite anderen überlassen, wobei meist nicht der kurzfristige Return-on-Investment, sondern die langfristige Verzinsung von Interesse ist.

Das änderte sich erst mit dem Nachfrage-Boom auf den Aktienmärkten. Hierzulande hatte die Deutsche Telekom ihre Papiere erfolgreich als "Volksaktie" vermarktet, und bald darauf zeichnete selbst Oma Bräsig fleißig Aktien der Interklopp AG, die Tennisbälle über das Internet vertrieb. Die Kurse schossen in unglaubliche Höhen, die keinerlei Bezug mehr zu Wert und Ertragslage der Unternehmen hatten.

Mitte des Jahres 2000 ging es bergab, und bald hatten die Kurse keinerlei Bezug mehr zum einstigen Sparguthaben von Oma Bräsig. Aber immerhin, viele Profis hatten viel Geld verdient. Vor allem mit dem Shareholder Value.

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