SZ-Management:Der Chef als Produktivitätsbremse

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Wo eine Arbeitszeitverkürzung etwas bringt.

Von Dagmar Deckstein

Außerordentlich unterhaltsam ist derzeit der Expertenstreit, ob wir in Deutschland nun kürzer oder länger arbeiten sollen. 30, 35, 38, 40, 42 Stunden - wer will noch weniger, wer bietet mehr? Schon wähnt sich in der Liga der Makroökonomen der an der Spitze der Bewegung, der klar ausrechnen kann, dass mehr Arbeit fürs gleiche Geld die Lohnkosten des einzelnen Unternehmers senkt und ihn damit wettbewerbsfähiger macht. Nichts gegen die Ästhetik ökonometrischer Modelle, aber das wirkliche Leben macht oft einen Strich durch die Rechnung. Vielleicht sollten wir einfach mal danach schauen, wie wir arbeiten, bevor wir weiterdiskutieren, ob länger oder kürzer weitergewurstelt werden soll.

Dabei darf man "wursteln" gerne wörtlich nehmen, lässt sich doch das Ergebnis der Globalen Produktivitätsstudie 2003 der Unternehmensberatung Czipin & Proudfoot auf diesen etwas platt formulierten Nenner bringen. Diese bereits dritte Studie in Folge bescheinigt Deutschland neben den USA zwar einen Spitzenplatz mit 63 Prozent produktiv genutzter Arbeitszeit. In den übrigen untersuchten Ländern - Spanien, Frankreich, Großbritannien, Australien und Südafrika - sind es nur 61 Prozent. Ruhm und Ehre den Spitzenreitern, aber womit werden die 37 Prozent der am Arbeitsplatz verbrachten Zeit verplempert?

Wenn der Durchblick fehlt

Während in den USA die Überlebenden der Entlassungswellen in den Unternehmen oft mit den Aufgaben überfordert sind oder häufiger mit Computerabstürzen zu kämpfen haben, ist in Deutschland die Hauptquelle unproduktiven Leerlaufs das Management. Fast 70 Prozent der in deutschen Betrieben verschwendeten Arbeitszeit geht auf das Konto Missmanagement, haben die Berater festgestellt. In Zahlen: 6,4 Milliarden Arbeitsstunden, 160 Milliarden Euro oder 7,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen dahin, nur weil deutschen Managern der Durchblick fehlt.

Natürlich ist auch Czipin & Proudfoot klar, dass Menschen nicht den lieben, langen Arbeitstag hundertprozentig produktiv ranklotzen können. Aber 85 Prozent, meint Proudfoot-Vizechef Andreas Wurst, seien durchaus möglich.

Wenn denn die Führungskräfte besser zum Führen qualifiziert wären. "Das mittlere Management ist hier besonders ineffektiv", schreibt Wurst deutschen Unternehmen ins Stammbuch. Dessen Vertreter seien oft "wie eine Art Isolierschicht - nichts dringt durch sie hindurch". Managern falle es schwer, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, klare Prioritäten zu setzen. Kein Wunder also, dass in vielen Betrieben wichtige Aufgaben unerledigt bleiben, unwichtige dafür gleich von zwei Abteilungen gleichzeitig angepackt werden, wofür dann unnötige Zeit mit wenig erleuchtenden Meetings vertrödelt wird, nach denen sich frustrierte Mitarbeiter erst einmal ausgiebig über das soeben Erlebte austauschen müssen, und schon wieder nicht zum Eigentlichen kommen.

Wonach sich Mitarbeiter sehnen

Wenig überrascht dann auch eine neuere Umfrage des Internet-Job-Portals Monster.de, wonach sich 42 Prozent der deutschen Arbeitnehmer nach klaren Zielvorgaben ihrer Chefs sehnen. So sieht die Sache auch Stefan Zinser vom Heidelberger Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung: "Arbeitsplätze werden immer mobiler, da kann man nicht mehr nach Anwesenheit führen. Zielvorgaben sind heute passendere Instrumente der Unternehmensführung." So bekommt die neuere Arbeitszeitdebatte jetzt erst ihre pikante Würze.

Deutschlands Produktivitätskiller Nummer eins in den Führungsetagen rühmen sich ja gerne ihrer 60 und 80 Wochenstunden, die sie sich für Firma und Standort abrackern. Wie wir aber gerade gelernt haben, verwenden sie ihre Energie vor allem dafür, ihre Mitarbeiter von produktiver Arbeit abzuhalten. Das Gebot der Stunde lautet also eindeutig: radikale Arbeitszeitverkürzung fürs Management.

Dann klappt's auch wieder mit der Produktivität und folglich Wettbewerbsfähigkeit.

© SZ vom 17.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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