Studium im Ausland:Homo Erasmus

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Egal ob es sie nach Frankreich, Spanien oder Italien verschlagen hat: Statt Land und Leute kennenzulernen bleiben Erasmus-Studenten unter sich und sprechen überall dieselbe Sprache - Englisch.

Von Judith Kösters

Wer ein Jahr im Ausland studiert, taucht ein in eine fremde Kultur, setzt sich mit der Gesellschaft des Landes auseinander, erweitert seinen Horizont und lernt ganz nebenbei im alltäglichen Umgang mit den Einheimischen die Sprache der Gastgeber - so die Idee.

Überall dasselbe? Erasmus-Studenten bleiben meist unter sich. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Dieser Gedanke steckt auch hinter dem Erasmus-Programm der EU. Erasmus steht für "European Community Action Scheme for the Mobility of University Students" und fördert seit 1987 den Studentenaustausch innerhalb von Europa.

Mit Erfolg: Im ersten Jahr des Programms gingen deutschlandweit gerade einmal 649 junge Leute als Erasmus-Studenten ins europäische Ausland, heute sind es mehr als 20.000.

Während man sich in den 80ern als ausländischer Student noch als der absolute Exot fühlen durfte, gehört bei vielen Studiengängen ein Auslandsjahr heute schon fast dazu.

Ein zukünftiger Englischlehrer, der nicht wenigstens ein Semester im englischsprachigen Ausland studiert hat, wird schräg angeguckt. Sehr auslandsbegeistert sind auch die Betriebswirte: Fast jeder Vierte von ihnen verbringt einen Teil seines Studiums außerhalb Deutschlands.

Andreas Weihe, Leiter des Akademischen Auslandsamts der Universität Bamberg, spricht von einer regelrechten "Völkerwanderung". Bamberg nimmt unter den deutschen Unis dabei einen Spitzenplatz ein: Rund ein Drittel der Studierenden macht dort irgendwann im Laufe des Studiums ein Auslandsjahr oder Auslandssemester.

Vermittlung im Dutzend

Der Exotenstatus ist deshalb für die meisten Austauschstudenten in weite Ferne gerückt: An viele Partneruniversitäten vermittelt Bamberg seine Studenten gleich im Dutzend. Im Ausland angekommen, treffen sie dann meist auf hunderte anderer Erasmus-Teilnehmer.

In Edinburgh soll es allein rund 700 deutsche Studenten geben, hinzu kommen die Kommilitonen aus Frankreich, Dänemark, Ungarn - 31 Länder insgesamt schicken ihre Studierenden heute über Erasmus quer durch Europa.

Mit dem Eintauchen in die Sprache und Kultur ist es dann so eine Sache: Viele Auslands-Heimkehrer berichten inzwischen, wie schwierig es sei, überhaupt mit Einheimischen in Kontakt zu kommen.

"Auch wenn man sich vornimmt, möglichst wenig Deutsch zu reden: Es geht nicht!", berichtet zum Beispiel Heiko Bertsch, Wirtschaftsinformatik-Student in Bamberg, der das letzte Jahr an der Uni Keele in Großbritannien verbracht hat.

Zehn Bamberger waren sie allein an der Uni Keele, ungefähr 25 Deutsche insgesamt, "da läuft man den anderen einfach dauernd über den Weg". Immerhin habe er mit den nicht-deutschsprachigen Erasmus-Leuten ja die Landessprache trainieren können, sagt Heiko Bertsch. Sie haben sich untereinander auf Englisch unterhalten.

In Frankreich oder Italien geht oft noch nicht einmal das: Austauschstudenten dort berichten zwar oft, ihre Fremdsprachenkenntnisse hätten sich während des Aufenthalts sehr verbessert: allerdings nicht unbedingt ihr Französisch oder Italienisch, sondern ihr Englisch, lingua franca der Erasmus-Studenten.

Das gilt sogar für scheinbar exotische Länder: Zwar zieht es die deutschen Studenten vor allem nach Spanien, Frankreich und England, aber Osteuropa ist im Kommen, vor allem weil immer mehr Unis deutsch- oder englischsprachige Programme anbieten. So kann, wer will, ein Jahr in Budapest leben und studieren, ohne ein Wort Ungarisch zu können.

Statt in die Kultur des Landes tauchen die Erasmus-Studenten deshalb inzwischen ein in eine eigene spezielle Erasmus-Kultur.

Die Auslands-Heimkehrer schwärmen von Partys mit Leuten aus aller Herren Länder, dem lockeren internationalen Flair. Viele haben Freunde überall auf der Welt gefunden. Nur aus dem Land, in dem sie ein Jahr gelebt haben, ist oft keiner dabei.

"Natürlich ist diese Internationalität toll", sagt Auslandsamts-Leiter Weihe und will solche Erfahrungen keinem nehmen. Aber ein bißchen gehe der ursprüngliche Erasmus-Gedanke dabei verloren: "Die Erasmus-Revolution frisst ihre Kinder", sagt er. Und "so richtig zu Ende gedacht hat das auch in Brüssel noch keiner."

Bald Komplettaustausch

Die EU will die Zahl der Erasmus-Studenten im nächsten Jahrzehnt noch einmal verdreifachen. "In Bamberg wären wir dann bei 100 Prozent Austausch, also ein ganzer Jahrgang Bamberger im Ausland, ersetzt durch einen Jahrgang Ausländer", rechnet er vor.

Schon jetzt beklagen sich einige Dozenten an deutschen Unis, ihr Angebot sei nicht zugeschnitten auf Gruppen, in denen Deutsch für die meisten eine Fremdsprache ist.

Müsste man da nicht Extra-Kurse für Ausländer anbieten? "Um Himmels Willen, das ist doch gerade die Idee, dass man die Austauschstudenten eben nicht trennt von den Einheimischen", widerspricht Weihe. "Sonst würden sie ja noch weniger deutsche Studenten treffen".

Zwei Dinge scheinen es besonders schwer zu machen, Kontakt zu Einheimischen zu bekommen, ob für Deutsche im Ausland oder für Ausländer hier. Weil Austauschstudenten keine Exoten sondern ein Dauerphänomen sind, nehmen sie die inländischen Studenten kaum als etwas Besonderes wahr. In der Masse wird man schlicht übersehen.

Zum verlorenen Exotenstatus kommt nach Einschätzung von Weihe allerdings die Bequemlichkeit vieler Erasmusstudenten hinzu: "Wer irgendwo neu ist, tut sich naturgemäß mit anderen Neuen zusammen - in dem Fall mit anderen Erasmusstudenten." Sie alle müssen sich in dem ungewohnten Alltag zurechtfinden und suchen Anschluss - während die Einheimischen meistens bereits ihre feste Clique haben.

Um diesen Automatismus zu durchbrechen brauche es eine große Portion Eigeninitiative: "Man darf eben nicht darauf warten, dass einem der rote Teppich ausgerollt wird", erklärt Weihe.

"Hallo, ich bin neu hier"

Statt sich aus Bequemlichkeit in der Erasmus-Clique zu verstecken müsse man den Mut haben, selbst auf die einheimischen Studenten zuzugehen und zu sagen: "Hallo, ich bin neu hier, sollen wir mal was zusammen unternehmen?"

Heiko Bertschs Tipp für angehende England-Fahrer ist: "möglichst nur mit Engländern zusammenwohnen". So hat er gute britische Freunde gefunden. Wer gerne Sport macht, kann auch darüber oft Anschluss zu Einheimischen finden.

Romanistik-Studentin Charlotte Gloetzner, die ein Jahr in Frankreich verbracht hat, empfiehlt gezielt die Deutschstudenten anzusprechen und sich gegenseitig mit Übersetzungen zu helfen. In vielen Städten gibt es außerdem regelmäßige Stammtische, bei denen Ausländer interessierte einheimische Studenten treffen können.

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