Studiengebühren:Viele Vorurteile, wenige Wahrheiten

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Nicht Gebühren schrecken ab, sondern Lebenshaltungskosten - was Hochschulforscher über Studiengebühren herausgefunden haben.

Von Karlheinz Heinemann

Wenn der Kasseler Hochschulforscher Ulrich Teichler Bildungspolitiker in Sachen Studiengebühren berät, dann lässt er Sozialdemokraten erst einmal für Abgaben Partei ergreifen. Die Christdemokraten sollen dann den Gegenpart übernehmen. Teichler selbst kann beiden Seiten eine ganze Batterie von Argumenten liefern, um dann aber festzustellen, dass die Aufregung um Gebühren überflüssig ist. "Sie können nicht so viel Schaden anrichten, wie die Gegner sagen, aber sie bewirken auch nicht so viel Positives, wie ihre Befürworter versprechen."

Wer zahlt in Zukunft welche Zeche für wen? Und warum? Diese Frage stellten sich Hochschulforscher und Wissenschaftsmanager kürzlich in einem Workshop der Darmstadt-Kassel-Runde, eines regelmäßig tagenden Kreises. Die ganze Debatte um Studiengebühren sei viel zu wenig wissenschaftlich und empirisch fundiert, meinten die Veranstalter vom Wissenschaftlichen Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung an der Universität Kassel.

Teichler bürstete zu Beginn der Tagung einige der gängigen Pro- und Kontra-Argumente gegen den Strich: Hat man wirklich einen so großen Einkommensvorteil durch das Studium, dass Gebühren gerechtfertigt sind? In den USA verdient ein Akademiker 240 Prozent des Lebenseinkommens eines Facharbeiters, in Deutschland sind es nur 160 Prozent. Doch die Einkommensdifferenz werde wachsen, wenn Studiengebühren kassiert würden, sagte Teichler.

Die Gebührengegner wollen Bildung als öffentliches Gut verteidigen. Zu spät, hielt Teichler ihnen entgegen. Man habe längst ein System der Mischfinanzierung, denn gut die Hälfte der Studienkosten machen Lebenshaltung und Lehrmittel aus, für die die meisten Studenten selbst aufkommen müssen.

In England billig studieren

Falsch ist in jedem Fall der Eindruck, dass längst alle zivilisierten Länder Gebühren kassieren. Stefanie Schwarz-Hahn und Meike Rehberg haben Studiengebühren, Lebenshaltungskosten und Studienförderung in 16 europäischen Ländern untersucht. In den skandinavischen Ländern und in Griechenland ist das Studium gebührenfrei. Portugal, Frankreich, Belgien, Irland, Spanien, Österreich und Italien verlangen zwischen 400 und 750 Euro jährlich. Lediglich in der Schweiz, den Niederlanden und Großbritannien werden mehr als 1000 Euro im Jahr fällig. Abgesehen von diesen drei Ländern seien die Gebühren "Peanuts" im Vergleich zu den sonstigen Lebenshaltungskosten, meinte Schwarz-Hahn, wo doch der Durchschnittsstudent schon 40 Euro für die Handyrechnung bezahle.

Für die soziale Frage, ob man sich ein Studium leisten könne oder nicht, seien deshalb die gesamten Lebenshaltungskosten auf der einen Seite und die Höhe der staatlichen Studienförderung auf der anderen wesentlich. In Portugal kommt ein Student mit nicht einmal 500 Euro im Monat aus, inklusive Studiengebühren, in Dänemark braucht er dagegen - trotz Gebührenfreiheit - fast das Doppelte, nämlich 856 Euro. Erstaunen provozierten auch die Zahlen der Kasseler Hochschulforscherinnen, nach denen ein britischer Student trotz der monatlich 136 Euro Gebühren immer noch mit rund 650 Euro auskäme, deutlich weniger also als der Deutsche mit 734 Euro.

In Dänemark bekommen fast 90 Prozent der Studierenden 916 Euro Studienbeihilfe, während in Italien, Spanien und Portugal nur weniger als 15 Prozent mit zudem viel geringeren Beträgen gefördert werden. In den nordischen Ländern sieht man den Studenten als eigenverantwortlichen Bürger, dem der Staat die Mittel für sein Studium zur Verfügung stellt. In Südeuropa hält man daran fest, dass die Familie ihre heranwachsenden Mitglieder ernähren müsse. In Deutschland und Großbritannien ist zwar auch zunächst die Familie verantwortlich, aber der Staat sorgt über eine mäßige Studienförderung für ein soziales Korrektiv.

Die Hoffnung, über Gebühren mehr Geld in die Kassen zu bekommen, könnten sich die Hochschulen sofort abschminken, meint Ulrich Teichler: Überall, wo in den vergangenen zwei Jahrzehnten Studiengebühren eingeführt wurden, seien die Pro-Kopf-Ausgaben des Staates für einen Studenten gekürzt worden.

Von Österreich lernen

Von Österreich lernen heißt kassieren lernen, könnte man meinen: Das LKW-Maut-System funktioniert, und die Studiengebühren wirken auch, meint Franz Kolland von der Universität Wien. Seit 2001 werden 727 Euro im Jahr fällig. Erst einmal sind die Studentenzahlen um 20 Prozent gesunken - alles Karteileichen und Leute, die mit der Studentenkarte kostenlos im Internet surfen wollten, bilanzierte Kolland. Die Studienaktivitäten hätten deutlich zugenommen: Es wird mehr und schneller studiert. Und werden nun die Armen vom Studium abgeschreckt? Auf den ersten Blick nicht, sagte Kolland. Sie bekommen nun bessere Stipendien und würden von Gebühren befreit.

Die Hochschulforscher wollten nicht Partei ergreifen, sondern gesicherte Erkenntnisse zum Reizthema Studiengebühren liefern. Was zu tun ist, wollten sie nicht entscheiden. Aber ihr einhelliges Fazit lautete: Wir brauchen eine vom Elterneinkommen weitgehend unabhängige kostendeckende Studienfinanzierung. Dann wären Studiengebühren kein soziales Problem mehr.

© SZ vom 1.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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