Studenten-Proteste:Ehrenvoller Rückzug

Lesezeit: 2 min

Berliner Studenten und die Politik.

Von Jan-Martin Wiarda

Der Erfolg kam wie auf Bestellung. Nach vier Wochen Streik an den drei Berliner Universitäten verkündete Bert Flemming, SPD-Sprecher für Wissenschaft und Forschung im Abgeordnetenhaus: Von Januar an solle eine neue Kommission aus Vertretern von Wissenschaft und Politik über die geplanten Kürzungen verhandeln. Kurz vor Weihnachten folgte das nächste Geschenk. Die Berliner Studenten sollen über die Viertelparität mehr Macht im satzungsgebenden Gremium der Universitäten, dem Konzil, erhalten, versprachen die Regierungsparteien SPD und PDS und erfüllten damit eine Jahrzehnte alte Forderung.

Einem PR-Trick aufgesessen - demonstrierende Studenten in Berlin. (Foto: Foto: dpa)

Die Studenten jubelten und gingen in die Winterpause. Viele von ihnen dürften nicht mehr mitbekommen haben, dass sie einem PR-Trick aufgesessen waren: Was ihnen als Zugeständnisse der Politik verkauft wurde, waren in Wirklichkeit Entscheidungen, die der Senat lange vor dem Streik getroffen hatte. Die Viertelparität steht im Koalitionsvertrag von 2001. Auch die Sparkommission hatte Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) schon im Oktober mit den Universitätspräsidenten verabredet.

Streiken ist anstrengend

Mit Zugeständnissen, die keine sind, will die rot-rote Koalition den streikenden Studenten einen ehrenvollen Rückzug ermöglichen. "Psychologisch ist es sicher wichtig, dass man irgendwann auch Ergebnisse sieht, wenn man wochenlang demonstriert", sagt Flierls Sprecher Torsten Wöhlert - Ergebnisse, die den Senat nichts kosten. Die Rechnung könnte aufgehen: Nichts wäre aus Sicht der Streikorganisatoren schlimmer als ein Protest, der in sich zusammenbricht. In den Tagen vor der Weihnachtspause war bereits eine zunehmende Streikmüdigkeit an allen drei Universitäten zu verspüren, gekennzeichnet von weniger öffentlichen Vorlesungen und kleineren Demonstrationszügen. Gleichzeitig macht sich unter vielen Studenten die Furcht breit, der Kampf gegen die Kürzungen im Bildungshaushalt könnte sie am Ende das ganze Semester kosten. "Es ist ganz schön anstrengend, so einen Streik auf Dauer durchzuhalten", sagt Enrico Schönberg von der Streikkoordination der Technischen Universität (TU).

Jetzt zeichnet sich eine Koalition ab: Dankbar ergreifen die Studenten die ihnen gebotene Möglichkeit, Erfolge zu präsentieren - und so möglicherweise ein Aussetzen des Streiks auf den nächsten Vollversammlungen nach den Weihnachtsferien zu begründen. Einwände, sich mit Scheinzugeständnissen abspeisen zu lassen, weisen sie von sich. "Politiker tun doch immer so, als hätten sie alles von Anfang an geplant", sagt Schönberg. "Die würden doch nie zugeben, nachgegeben zu haben."

Der vorerst letzte Höhepunkt symbolischer Politik ging ausnahmsweise nicht aufs Konto der Regierungskoalition: Wenige Tage vor Weihnachten beschloss das Kuratorium der TU auf Druck der Streikenden, die in den Hochschulverträgen bereits ausgehandelten Kürzungen abzulehnen und Nachverhandlungen zu fordern. Wieder jubelten die Studenten aller drei Universitäten, auch wenn Humboldt- und Freie Universität wohl die Leidtragenden sein werden.

Sollte nach den Weihnachtsferien tatsächlich alles vorüber sein, hätte Senator Flierl arbeitsreiche Wochen hinter sich. Seit Anfang Oktober fehlt ihm ausgerechnet der für Wissenschaft zuständige Staatssekretär. Dem Hamburger Psychiatrieprofessor Michael Krausz, der den wegen der geplanten Studienkonten zurückgetretenen Peer Pasternack hatte beerben sollen, werden illegale Pharma-Geschäfte vorgeworfen. Derzeit sieht es nicht so aus, als würde Krausz überhaupt noch sein Amt antreten, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern an. Doch auch Ersatz ist nicht in Sicht. Vielleicht könnte der Berliner Senat gleich noch einen Coup landen und einen Kandidaten als weiteres Zugeständnis an die Studenten verkaufen. Die Streikorganisatoren würden es nur zu gerne glauben.

© SZ vom 29.12.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: