Studenten in der Krise:Vom Hörsaal auf die Psycho-Couch

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Erfolgsdruck, Zukunftsangst, Drogensucht: Viele Studenten haben massive psychische Probleme. Zehntausende suchen Hilfe.

Lenz Jacobsen

Kurt Grill kennt die dunkle Seite des Studentenlebens. Jeden Tag sitzen junge Menschen in seinem Büro, die mit den Anforderungen im Studium und mit sich selbst nicht mehr klar kommen. Grill arbeitet in der "Psychosozialen und Psychotherapeutischen Beratungsstelle" der Münchener Studentenwerke. "Für viele ist das Studium zur psychischen Belastung geworden", sagt er. Wer sich überwinden kann, holt sich bei ihm und seinen acht Kollegen Rat - und das werden immer mehr.

Undurchschaubare Strukturen an der Hochschule, Abnabelung von den Eltern: Der Studienstart stürzt Manche in eine regelrechte Identitätskrise. (Foto: Foto: Getty)

In den letzten Jahren stieg die Zahl der Hilfesuchenden in München um jährlich zehn Prozent. Ein Trend, den auch das Deutsche Studentenwerk bestätigt: "Wir verzeichnen seit Jahren einen deutlichen Anstieg", sagt Sprecher Stefan Grob. Vom Jahr 2004 auf 2005 stieg deutschlandweit die Zahl der Erstkontakte in den Beratungsstellen um fast 9000 auf mehr als 73.000.

"Die Studenten kommen mit den unterschiedlichsten Problemen zu uns", berichtet Berater Grill. Sie leiden unter Schreibblockaden oder Prüfungsängsten, diffuser Gefühlsarmut oder Kontaktproblemen bis hin zu Depressionen, Zwängen, Essstörungen oder gar Persönlichkeitsstörungen.

Bei den leichteren Problemen versuchen die Psychologen Lerntechniken zu vermitteln oder durch Entspannungsübungen dem selbstgemachten Stress etwas entgegenzusetzen. In vielen Fällen reicht das aus, um Studenten zumindest kurzzeitig wieder aufzurichten.

Doch hinter den Studienproblemen verbergen sich oft individuelle Konflikte. Das Studium sei eine psychologisch besondere Situation, erklärt Grill: Die erste eigene Wohnung, oft ein komplett neues Umfeld, dazu die schwer zu durchschauenden Uni-Strukturen; und vor allem: die Abnabelung von den Eltern. Das könne Identitätskrisen wachrufen.

Viele Studenten flüchten sich vor ihren Problemen in Suchtmittel. Dies legt zumindest eine Studieder Katholischen Fachhochschule Köln nahe. Demnach leiden mehr als 20 Prozent der deutschen Studenten unter Essstörungen oder Depressionen, ein auffällig großer Teil kifft regelmäßig oder trinkt viel. Manche konsumieren sogar beides auf einmal.

Fast jeder vierte Student trinkt gerne exzessiv, also mehr als fünf Drinks in drei Stunden. 23 Prozent gönnen sich mindestens jeden dritten Tag ein Bier - oder auch gleich mal vier oder fünf.

Dass es ihnen gar nicht gut geht, geben die Studenten unumwunden zu. In einer Umfrage des deutschen Studentenwerks gaben 14 Prozent der Studierenden an, sie hätten psychische Probleme. Weitere 14 Prozent leiden nach eigenen Angaben unter Prüfungsangst, 16 Prozent unter Lern- und Leistungsproblemen.

Berater Grill hat noch einen anderen Trend beobachtet: "Die Zahl derjenigen, die mit wirklich schwerwiegenden psychischen Problemen zu uns kommen, wird tendenziell größer." Schwere Depressionen, Psychosen oder Persönlichkeitsstörungen scheinen häufiger zu werden.

In solchen Fällen können die Beratungsstellen nur Vorarbeit leisten. "In fünf Sitzungen kann man so etwas nicht bewältigen, aber erste Hintergründe klären." Er empfiehlt den Studenten dann, eine richtige Therapie zu beginnen.

In München fällt mittlerweile mehr als jeder zweite Ratsuchende in diese Kategorie: Grill und seine Kollegen haben im vergangenen Jahr 53 Prozent ihrer "Patienten" den Gang in eine therapeutische Praxis nahe gelegt, im Jahr 2000 waren es noch 32 Prozent.

Mehr Druck

Offenbar belasten auch die großen Umwälzungen in der deutschen Hochschullandschaft die Studierenden: Die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge sind wesentlich verschulter, prüfen die Leistung der Studenten öfter ab und zwingen die angehenden Akademiker deshalb zu mehr Selbstdisziplin. Ein Druck, dem nicht alle gewachsen sind. "Mit dem akademischen Freigeist, der die deutschen Unis früher ausgezeichnet hat, ist es nun wohl vorbei", klagt Studentenwerk-Sprecher Grob. Und weil die Lage auf dem Arbeitsmarkt auch für Akademiker nicht rundum rosig ist, wachsen Konkurrenzdruck und die Zukunftsangst weiter.

Mit den Studiengebühren, so fürchtet Grill, wird die Lage noch schlimmer: "Dann werden wohl noch mehr Studenten zu uns kommen, weil durch die finanzielle Belastung natürlich auch der Erfolgsdruck wächst."

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