Start in ein besseres Leben:Revolution im Kopf

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Ein Neuanfang bedeutet vor allem eins: radikales Umdenken. Motivationstrainer versprechen Hilfe beim Start in ein besseres Leben - und viele machen mit hohlen Floskeln gute Geschäfte. Aber wie gelingt Veränderung tatsächlich? Eine Spurensuche.

Von Henning Hinze

Natürlich hat Jürgen Höller gute Vorsätze, er nennt sie nur nicht so. Seine Welt ist immer noch die Bühne, gerne groß, mit Fernblick, Faust und Pathos: "Wir alle waren mal begeistert in unserem Leben", philosophiert er dann, "wir wollten alle mal die Welt erobern. Und ich sage: entfalte dich wieder, hab den Mut, deine Schwingen zu spreizen und ein bisschen zu fliegen!"

Pffff.

Wenn also einer von und mit Vorsätzen lebt, dann Höller, Deutschlands größter Motivationstrainer bis 2002, aus dem Gefängnis zurück seit 2004. Nur will er sie nicht so nennen. "Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen", motzt er. "Mit Vorsätzen arbeite ich nicht. Mit Zielen: ja." Und definiert dann, was ein Ziel vom Vorsatz unterscheidet, mit anderen Worten: wie der Vorsatz den 2. Januar überlebt. "Ein Ziel muss präzise sein. Und es muss messbar sein, damit ich weiß, wann ich es erreicht habe. 'Abnehmen' oder 'erfolgreicher werden' reicht also nicht." Das ist also Lektion eins bei der Suche nach der Antwort auf die Frage: Wie wird endlich alles besser? Wie wird das, was man sich vornimmt, Realität?

Seit Jahren treibt der Optimierungs- und Selbstoptimierungsdrang die Menschen zu Motivationstrainern, unter denen Höller nur der lauteste und wohl auch umstrittenste ist. Unter den Anbietern: alles von verzweifelt bis seriös. Zu den Kunden gehören die beruflich unter Druck geratenen und die privat Unzufriedenen, die Suchenden und die Hoffenden. Sowohl Privatleute als auch Firmen buchen. Zahlen erhebt niemand; sicher ist nur, dass es sich um ein Millionengeschäft handelt, sehr wahrscheinlich, dass es wächst.

Die Verkäufer einer besseren Zukunft machen ihr Geschäft mit Seminaren, Kursen, Büchern. Bei ihnen ist immer Neujahr: Zeit für Aufbruch, Neustart, Leistungssteigerung. Sie sind Experten in Sachen gute Vorsätze, theoretisch zumindest. In der Praxis ist "Motivationstrainer" keine geschützte Berufsbezeichnung, jeder kann vor sich hin motivieren, wie er will.

"JAAAAAAAAAA!!!!!!!!!!", ruft Höller: "mit zehn 'A' und zehn Ausrufezeichen! Ja! Ich bin ein Vereinfacher! In der Einfachheit liegt das Genie! Das ist meine Stärke, dass ich komplexe Themen herunterbrechen kann. Nur die einfachen Dinge bringen die Menschen in Bewegung!" Höller, 50, hat seine Vorsätze für das kommende Jahr als Collage zusammengebastelt, damit er sie immer wieder anschauen und sich bildlich bis ins Unterbewusstsein einprägen kann.

Er ist noch immer die Galionsfigur dieses Dienstleistungszweigs, dabei war er einst auch der Wegbereiter des Untergangs. Ende der Neunzigerjahre schwappte der Boom aus den USA erstmals nach Deutschland. Inspiriert vom Amerikaner Tony Robbins schafften es zur Jahrtausendwende gleich mehrere Motivationstrainer, Deutschlands größte Hallen zu füllen. Die Bundesrepublik gierte nach Inspiration - und diese Menschen versprachen, man kann schon sagen: Erlösung. Es war die Zeit der New Economy und des Simplify Your Life, die Zeit, in der Unternehmensgründer modern und Angestellte selber schuld waren. Doch die Stimmung kippte - und das hatte nicht zuletzt mit Jürgen Höller zu tun, "Deutschlands teuerstem Motivationstrainer", wie er damals genannt wurde. Angeblich der erste Mentaltrainer der Fußball-Bundesliga. Jürgen Höller war ein Star. Aber dann - man ist versucht zu sagen, er war übermotiviert.

Höller wollte an die Börse, er wollte der weltweit größte Anbieter von Erwachsenenbildung werden. Die Kurzfassung lautet: Er wurde es nicht. Die Höller Inline AG meldete Insolvenz an, der Star wurde wegen Meineid, Steuerhinterziehung und Insolvenzverschleppung verurteilt. "Europas bekanntestem Money-Coach" Bodo Schäfer erging es kaum besser, er verkaufte seine Finanz Coaching GmbH kurz vor deren Insolvenz. Diese Geschichten brachten die einst hochgejubelte Branche in Verruf; dazu die Stimmen der Kritiker: Von Pseudowissenschaft war da die Rede, von wirkungslosem Blabla.

Und jetzt? Jetzt sind die meisten von ihnen wieder da, so wie Höller. Er ist jetzt Organisator eines jährlichen "Europäischen Motivationstags" und von Veranstaltungen, die "Power Days" heißen. Brauchen die Deutschen wieder jemanden, der sie antreibt?

Gut, die Show ist heute nicht mehr ganz so amerikanisch wie früher. Das kurzfristige "Alles ist möglich" ist durch mittelfristige Elemente ergänzt worden. "Kurzfristig zehn Kilo abnehmen zu wollen, ist unrealistisch", sagt Jürgen Höller heute. "Aber zehn Kilo in einem Jahr abnehmen zu wollen, das bedeutet weniger als ein Kilo pro Monat. Das geht." Lektion zwei, wie Höller sie formuliert: "Nicht der 1. Januar ist wichtig, sondern der folgende 31. Dezember. Ich muss wissen, wo ich dann stehen will und wie meine Etappenziele bis dahin aussehen."

Klingt doch eigentlich ganz gut? Bärbel Schwertfeger findet das nicht. Der Wiederaufstieg der Wanderprediger bringt sie in Rage. Vor allem dann, wenn Unternehmen sie wieder zur Mitarbeitermotivation einsetzen. Schwertfeger ist Chefredakteurin von Wirtschaftspsychologie aktuell und seit einem Jahrzehnt Beobachterin der Szene. "Ob es Naivität oder Dummheit ist, solche Spektakel mit fundierter Weiterbildung zu verwechseln, sei dahingestellt", empörte sie sich in einer Kolumne.

"Aber solange Manager und Personalverantwortliche glauben, eine flotte Show ersetze den oftmals mühsamen Erwerb von Kompetenzen, braucht man sich über den Murks in manchen Unternehmen nicht zu wundern." Doch sie fürchtet mehr als nur Schaden für ein paar ungeschickt agierende Unternehmen. "Motivationstrainer predigen, dass jeder alles erreichen kann, wenn er nur richtig denkt", sagt Schwertfeger, "das klingt natürlich verlockend, dabei ist es gefährlich. Nicht alle, aber auch nicht wenige verlieren durch solche Versprechen ein Stück Bezug zur Realität."

Kritiker sagen, diese Alles-geht-Mentalität hätte sich längst im Alltag verbreitet. Denn in Wahrheit muss längst niemand mehr zu den Veranstaltungen der Motivationstrainer gehen, um deren Stehsätze eingehämmert zu bekommen. RTL am Samstagabend reicht: "Deutschland sucht den Superstar", seit 2002 das neue "Wetten, dass..?" der deutschen Fernsehlandschaft. Aufgepumpte Kandidaten eifern um die Wette, die eigenen Fähigkeiten seltener nach realistischen Maßstäben einschätzend als nach utopischen Beschwörungen, die sie von der Vorrunde bis zum Finale begleiten, in dem keine Superstars entstehen, sondern Sternchen mit von vornherein zeitlich begrenztem Charterfolg. Die Kommission für Jugendschutz in den Medien (KJM) kritisierte schon 2007, dass antisoziales Verhalten in der Sendung als normal dargestellt werde - RTL versuchte das auf den Drang zur Selbstdarstellung der Kandidaten abzuschieben.

"Der Glaube, dass jeder alles erreichen kann, ist sogar für die Gesellschaft gefährlich", findet Schwertfeger. "Das bedeutet, dass Arme und Kranke keine Hilfe brauchen, sondern nur mal richtig denken müssen." Lektion Nummer drei: "Die Behauptung, dass jeder immer alles erreichen kann, ist falsch. Es ist gefährlich, zu glauben, man könnte ganz einfach und schnell zu einem erfolgreicheren Menschen werden."

Bodo Schäfer erzählte schon vor Jahren bei Harald Schmidt, sein Hund heiße Money: "Wenn ich Money rufe und der kommt, das ist ein feines Gefühl." Die Attitüde von damals hat er immer noch, und sie zieht viele Menschen an. Auf der Bühne wirft er heute 500-Euro- und Fünf-Euro-Scheine auf den Boden, hebt die großen auf und fragt dann, ob einer aus dem Publikum ihm die Fünfer bringen könne. Während jemand sie einsammelt, ruft er: "Bitte denken Sie jetzt mal an Ihre Berufspraxis. Was sind Sie: Sind Sie 500er, sind Sie 5er?" Und weiter im Floskel-Stakkato: "Der beste Verkäufer ist der, der nicht nachdenkt", beschwört Höller auf der Bühne. "Sie werden am Telefon angeschrien? Denken Sie nicht darüber nach. Es hat keine Bedeutung!"

Wo die Motivationstrainer auftauchen, geht es um Geld und beruflichen Erfolg. Höllers Zielgrößen neben Beruf und Finanzen, nämlich Gesundheit, Familie und Hobbys - vor Publikum fast verschwunden. Denn nicht nur viele private Besucher kommen vor allem wegen des Versprechens auf schnellen Wohlstand. Ganze Abteilungen oder gar Firmen wollen von Vorgesetzten auf Linie gebracht werden. Sie sind für viele Anbieter zur Hauptzielgruppe geworden. "Unsere Motivationstrainer zeigen ihren Gästen, dass es außer Gejammer noch andere Zustände gibt", wirbt einer von ihnen um alle, die den Bedenkenträgern auf der untergeordneten Ebene ein für alle Mal die richtige Einstellung in den Kopf prügeln wollen: "Freude, Power, innere Stärke, Engagement, Fortschritte im Beruf und im Sport, Umgang mit Veränderungen, positives Denken".

Rolf Schmiel mag das nicht besonders. Er will die großen Konkurrenten nicht beim Namen nennen, aber es ist offensichtlich, von wem er sich abgrenzen will. "Ich bin der Psychologe unter den Motivationstrainern", sagt er. Seine Botschaften bewegen weitaus weniger Menschen als die Wohlstandsversprechen von Höller, Schäfer und anderen. "Der emotionale Ansatz ist beliebt, weil Emotionen sich gut verkaufen", sagt er, "aber er führt häufig dazu, dass Leute nach kurzer Zeit einen Realitätskonflikt erleben und gleich wieder in sich zusammensacken. Dabei ist es wichtiger, über eine lange Strecke in Fahrt zu bleiben, als am Start Vollgas zu geben."

Er glaubt, dass Erfolg oft zu voreilig mit mehr Geld gleichgesetzt wird, obwohl viele im tiefsten Innern gar nicht bereit seien, dafür wirklich schmerzhafte Opfer zu bringen. Bei Hindernissen und Konflikten biete das Ziel deshalb schnell keine Orientierung mehr. Schmiel sagt: "Erfolg entsteht im Kopf, und bei den meisten bleibt er auch dort." Die meisten Vorsätze, glaubt er, scheiterten schon früh an einer Frage, die mühsam zu beantworten ist und meist ausgeblendet wird: Warum? "Es reicht nicht zu wissen, was ich will und wie ich es bis wann erreichen könnte."

Schmiel geißelt eine Verengung der Ziele auf das Materielle, den penetranten Wettbewerbsgedanken, Motivation um der Motivation willen. Statt einmal kräftig Schwung zu geben, wolle er "Grundkurse im Klettern" anbieten. Um im Bild zu bleiben: Schmiel will die Technik vermitteln, aber den Berg müsse eben trotzdem jeder für sich selbst bezwingen. Statt alle in die gleiche Richtung zu schicken, glaubt er, dass alle in verschiedene laufen müssen. Lektion vier also: "Es ist sinnlos, sein Leben nach den Vorstellungen der anderen auszurichten. Wer sich nicht ganz genau überlegt hat, warum er etwas will, kann es sein lassen. Er wird seinen Vorsatz kaum in die Tat umsetzen."

Es ist die geborgte Euphorie, mit der auch Schmiel sein Geld verdient, und gegen die er gleichzeitig ankämpft. "Selbstüberschätzung ist gesund", sagt er. "Depressive Menschen geben zwar viel realistischere Zukunftsprognosen ab als gesunde, das hat man untersucht. Aber nur wer sich vom Glauben an das Bessere leiten lässt, kann auch etwas erreichen."

Doch die Sache ist schwierig, die Grenzen zwischen angemessener Selbstüberschätzung und Realitätsverweigerung fließend. Misserfolge auf Dauer auszublenden gilt als gefährlich, weil der Mensch sie braucht, um seine Grenzen realistisch einschätzen zu können. Dazu muss er wiederum lernen, damit umzugehen - eine Abkehr vom positiven Denken, das viele Teilnehmer der Motivationsseminare gerade so dringend suchen. "Nur positiv zu denken, macht auf Dauer krank", sagt Schmiel, "man muss sich auch Zeit für negative Erfahrungen nehmen.

Aber Besucher der großen Motivationsveranstaltungen wollen das oft gerade nicht, sie suchen eine Abkürzung. Statt natürliches Wachstum zu genießen, ziehen sie wie verrückt an jedem Grashalm, der aus dem Boden kommt. Ein Phänomen ist, dass Ziele gesetzt werden, die eine komplette Fokussierung erfordern würden - dabei sind Zeit und Ressourcen dafür gar nicht da. Und das ist auch der falsche Ansatz: Man muss nicht das Letzte aus sich herausholen."

Niemand weiß, ob der zweite Frühling der Glitzerwelt von Höller, Schäfer und all den anderen in einen langen Sommer mündet oder mit Eisheiligen endet wie der erste. Sie sind vorsichtiger geworden. Höller will die Finger von der Börse lassen, und auch sonst scheinen die Firmen solider konstruiert. Eine Schwäche, die ihnen schon bald wieder zum Verhängnis werden könnte: Als Praxisnachweis für das Funktionieren ihrer Methoden dienen nur deren Verkäufer selbst. "Wenn es bei anderen nicht klappt, haben sie sich eben nicht genug angestrengt. Ein geniales Geschäftsmodell", schimpft Trainer-Kritikerin Bärbel Schwertfeger.

Klar ist aber auch: der Bedarf an Beratung und Orientierung steigt, die Selbstoptimierungswelle hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, die Nachfrage nach Lebenshilfe auf der ganzen Bandbreite von der Bühnenshow bis zur Psychotherapeutenliege besteht.

Rolf Schmiel, der Kletterlehrer unter den Motivationstrainern, empfiehlt am Ende noch den Ausbruch aus dem Egotrip: "Auf Dauer reicht bei den meisten die Eigenmotivation nicht aus, wenn die Hindernisse kommen. Dann braucht man Vertraute, die einem über das Hindernis helfen." Es ist das Weight-Watchers-Prinzip, das er empfiehlt, ohne es beim Namen zu nennen. Rechenschaft ablegen zu müssen vor anderen, denen man zutraut, das eigene Problem zu verstehen, und erlaubt, Kritik zu üben, gilt als erfolgreiche Motivationsmethode. "Erst wenn auch negative Konsequenzen im Raum stehen, bekommt unser Handeln oft die nötige Ernsthaftigkeit", behauptet Schmiel.

Von ihm gibt es also Lektion Nummer fünf: "Vielleicht das Wichtigste: Begleitung. Wer nicht nur vor sich selbst scheitern würde, sondern vor anderen, wird seine Vorsätze ausdauernder verfolgen."

Und, Herr Höller, was sind nun die Vorsätze für 2014? "Meine Collage zeigt für das Ende des Jahres acht Trainer an meiner Seite, die Besten der Besten, die ich im Laufe des Jahres aus 30 Trainern auswählen will. Und langfristig will ich internationalisieren. Mein Ziel ist ein global tätiges Unternehmen in der Erwachsenenweiterbildung." Er klingt fast schon wieder wie zu seinen besten Zeiten.

© SZ vom 02.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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