Sprachen lernen:Chinesisch für Anfänger

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Lieber chinesisch als französisch: Hundert Schulen in Deutschland bieten das Fach an, die Klassen sind voll.

Lukas Fritsch

China zài nar? - "Wo ist China?" China zài zhèr! - "China ist hier!" Donnerstag, achte Schulstunde, nach der Mittagspause: Die zwölf Schüler der Klasse 11 des Münchner St.-Anna-Gymnasiums wiederholen den Stoff für die Klassenarbeit in zwei Wochen. Nach und nach füllt sich die Tafel mit chinesischen Schriftzeichen. Patrick soll auf einer Landkarte nach Schanghai suchen: "Schanghai zài nar?" Das letzte "r" klingt fast amerikanisch, langgezogen wie ein Kaugummi.

(Foto: Foto: iStockphoto)

Chinesisch als reguläres Fach an einer deutschen Schule, das ist ungewöhnlich. Andererseits gehört China heute zu den dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt, und wer später mal bei einem internationalen Unternehmen Karriere machen will, hat mit Chinesisch möglicherweise den entscheidenden Trumpf in der Bewerbung stehen. So ist auch das Erste, was den Schülern der Klasse 11 auf die Frage einfällt, warum sie diese Sprache lernen wollen: Chinesisch ist die Sprache der Zukunft. Als 1989 die Studentenbewegung niedergeschlagen wurde, wollte in Deutschland kaum jemand Chinesisch lernen. Seitdem sich China aber immer mehr öffnet, schnellt das Interesse der Schüler an der Sprache nach oben.

1962 war es das Münchner St.-Anna-Gymnasium, das als bundesweit erste Schule Chinesisch als Arbeitsgemeinschaft in sein Lehrangebot aufnahm. Inzwischen gibt es im Bundesgebiet etwa hundert Schulen, an denen die Sprache gelehrt wird. In sechs Bundesländern - Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen - gibt es sogar schon Lehrpläne.

Hundert Schulen in Deutschland, das sind ungefähr 0,3 Prozent. "Zu wenig", findet Liu Jinghui, Botschaftsrätin für Bildung und Wissenschaft der chinesischen Botschaft in Berlin. Seit einigen Jahren bemühen sich die Vertreter Chinas in Deutschland darum, ihrer Sprache im hiesigen Schulsystem zu Popularität zu verhelfen - mit unterschiedlichem Erfolg. Wo das Fach angeboten wird, sind die Klassen voll. "Englisch und Französisch, das sprechen unsere Nachbarn. Aber China ist viel weiter weg und deshalb was Besonderes. Wenn man die Sprache kann, sticht man später hervor", findet Alexander, 16.

Andreas Guder von der FU Berlin bremst die Euphorie. Er ist Vorsitzender des Fachverbandes Chinesisch, sozusagen die Interessenvertretung der chinesischen Sprache in Deutschland. "Das deutsche Bildungssystem ist immer noch viel zu eurozentrisch ausgelegt", sagt er. "Es gibt keine nichteuropäische Sprache, die man als Hauptfach im Lehramtsstudium wählen kann." Tatsächlich wird der Unterricht bisher von Muttersprachlern oder Sinologen mit Sonderverträgen gehalten, nicht aber von Lehrern mit regulärer Ausbildung in diesem Fach. Nur die Universität Köln und die bayerischen Unis bieten Chinesisch als Erweiterungsfach im Lehramtsstudium an.

Sabine Schlieper unterrichtet Chinesisch am Hainberg-Gymnasium in Göttingen. Kürzlich hat sie beim Kultusministerium Niedersachsen erreicht, dass das Fach an ihrer Schule zur Abiturprüfung zugelassen wird. "Leider habe ich an meiner Schule keine entsprechenden Kollegen", erzählt sie. Wenn sie ihren Schülern die Abiturprüfung abnehmen soll, wird sie sich Lehrkräfte von anderen Schulen als Zweitkorrektoren ausleihen müssen. Da es keine einheitliche Ausbildung gibt, sind auch die Angebote der einzelnen Schulen unterschiedlich - welche Lehrkräfte überhaupt als Zweitkorrektoren in Frage kommen, ist unklar. Einige unterrichten Chinesisch als Arbeitsgemeinschaft, andere als Wahlfach und nur wenige als reguläre zweite oder dritte Fremdsprache mit Abiturmöglichkeit.

Im zentralistischen Frankreich ist das anders. "Dort ist Chinesisch etwa doppelt so stark vertreten wie hier. Es gibt ein zentrales Ministerium, das Direktiven geben kann", sagt Andreas Guder vom Fachverband. In Deutschland hingegen ist Bildung Ländersache, und "deshalb gibt es in jedem Bundesland unterschiedliche Überlegungen", so Liu Jinghui von der chinesischen Botschaft.

50.000 Schriftzeichen

Bei allen Erwartungen an das zukunftsträchtige Schulfach darf man eines nicht vergessen: Leicht ist die Sprache nicht, denn sie hat mit dem Deutschen nichts gemein. Das Prinzip des Chinesischen ist nicht einmal so schwer, eine komplizierte Grammatik wie bei den europäischen Sprachen gibt es nicht. Nach vier Monaten Unterricht kommt man im chinesischen Alltag schon einigermaßen durch. So sieht das auch die 16-jährige Astrid: "Die Grammatik ist total einfach - nicht wie bei Französisch. Das hab ich übrigens abgewählt."

Mühe macht die Schrift. Insgesamt existieren mehr als 50 000 verschiedene Schriftzeichen. Selbst Muttersprachler beherrschen nur etwa 8000 davon; um Zeitung zu lesen, reichen ungefähr 5000 Zeichen aus. Für Anfänger ist das immer noch ein enormer Wust winzigkrummer Striche - und da hilft es zunächst wenig, dass die Schriftzeichen aufeinander aufbauen. Richtig knifflig wird es bei der Aussprache: Oft hat ein Satz oder ein Wort, falsch ausgesprochen oder nicht korrekt betont, eine komplett andere Bedeutung - oder wird anstatt als Aussage plötzlich als Frage verstanden.

Im St.-Anna-Gymnasium hat sich die Tafel inzwischen vollständig mit Schriftzeichen gefüllt. Einmal muss die Lehrerin eingreifen, weil ein kleiner Querstrich fehlt. So wird aus dem Substantiv "Kleidung" plötzlich das Verb "wünschen". . . Bis zum Karrieresprung nach Asien wird es noch ein Weilchen dauern.

© SZ vom 15.3.2207 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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