Spitzenmanager:Mehr Amateur als Profi

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Bei näherer Betrachtung halten die meisten Spitzenmanager nicht, was sie versprechen.

Dagmar Deckstein

(SZ vom 3.9.2001) Bei näherer Betrachtung halten wohl die meisten Spitzenmanager nicht das, was sie mit ihrem gerne gepflegten Selbstbild versprechen: Die Größten und die Besten zu sein, anderenfalls sie ja nicht dort säßen, wo sie sitzen. Der St. Gallener Managementexperte Fredmund Malik, um ein klares und drastisches Wort nie verlegen, entdeckt unter den Heerscharen von Führungskräften sogar "mehrheitlich ungelernte Amateure und Glücksritter".

Dafür, dass sich im Managementbusiness mehr Amateure denn Profis tummeln, spricht auch der Stoßseufzer von Dietmar Bosch, dem Chef der Wirtschaftsakademie Bad Harzburg: Außer beim Berufsstand der Unternehmenslenker käme kein vernünftiger Mensch auf die Idee, sich Piloten, Chirurgen oder Busfahrern anzuvertrauen, die ihr Handwerk nicht gründlich gelernt hätten.

Jede Menge Lernbedarf

Nun könnte es wohl nicht zuletzt auch einem gewissen Interesse jener Managementtrainer entspringen, die diesen Amateuren die Kunst des Führens für teuer Geld beibringen wollen, solche Defizite kräftig aufzubauschen. Und nicht selten entsteht dabei der - gewollte - Eindruck, diese Methode oder jene Philosophie des Führens sei soeben neu erfunden worden. Wir wollen indessen niemandem zu nahe treten und konzedieren - schon aus persönlich gewonnenen Eindrücken - jede Menge Lernbedarf im Management.

Ganz brandneu ist so manche Erkenntnis allerdings nicht. So fiel uns dieser Tage der Nachdruck eines Vortrags in die Hände, den der frühere Vorstandschef der deutschen Bank, Alfred Herrhausen, im November 1972 (!) gehalten hat. "Über das Persönlichkeitsprofil eines Spitzenmanagers" lautete das Thema Herrhausens, der, selbst einer der profiliertesten Spitzenmanager, 1989 bei einem Terroranschlag der RAF ums Leben kam.Schöpferische Gestaltungsfähigkeit, Urteilskraft, Selbstvertrauen, vielseitiges Wissen, Entschlussfreude, Zähigkeit - das seien die Eigenschaften, die angeblich den erfolgreichen Manager ausmachten.

In Wahrheit aber, so Herrhausen damals vor der Industrie- und Handelskammer in Stuttgart, seien das nur Klischees, nicht mehr als selbstverständliche Voraussetzungen für diesen Beruf, die nur Oberflächenphänomene zutreffend beschrieben. "Das Unsichtbare und Unwägbare, das die alles entscheidende geistige Haltung konstituiert, wird damit kaum erfasst." Dieses hochwirksame Unsichtbare brachte der Top-Manager schon vor fast 30 Jahren auf Begriffe, die heute als Neuentdeckungen gelten und mit Worthülsen wie emotionale Intelligenz oder soziale Kompetenz ummäntelt werden.

Herrhausen indessen sprach von "kritischer Distanz zur eigenen Person", die den "gefährlichen Narzissmus" ausschlösse und davon, dass der Kern allen erfolgreichen Führungsverhaltens im "rechten, bescheidenen Umgang mit sich selbst" zu finden sei. Den persönlichen Ehrgeiz, den Wettbewerb um individuelles Ansehen und um hierarchischen Vorrang gelte es einzuschränken und durch "Integrationspflicht" zu ersetzen.

Alte Weisheiten

Interessant sind die Begründungen, die der Bankmanager für seine Thesen heranzieht. Er spricht von Herausforderungen an Unternehmen "im Zuge der zunehmend schneller werdenden Veränderungsprozesse, denen unsere Umwelt ausgesetzt ist und die in immer kürzeren Zeitabständen auftauchen."

Solche Erkenntnisse, einschließlich jener über die "Menschen, die Mit-Wirkende, nicht länger Untergebene sind", fanden erst in den späten Neunzigerjahren Eingang in die Debatten um die neuen Zwänge der Globalisierung. Die Bereitschaft, ständig dazuzulernen, die Fähigkeit, mit Optimismus und Humor eine Atmosphäre zu schaffen, die der Kreativität der Mitarbeiter förderlich ist - so fasste Alfred Herrhausen schon damals die Anforderungen ans Spitzenmanagement zusammen, Weisheiten, die heute wohlfeil sind und geradezu inflationäre Verbreitung in Firmenbroschüren und Beraterhandbüchern gefunden haben.

Ach ja: "Manager, die über alle diese Fähigkeiten verfügen, müssen Supermenschen sein", meint Herrhausen zum Schluss. Und daher habe er eine Art idealtypische Vorstellung aufgezeichnet. "Aber sie ist notwendig, damit man weiß, wonach man streben sollte." Viele wissen ja nicht einmal das.

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