Schwieriger Aufstieg:Plötzlich Chef

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Die Kehrseite der Karriere: Von der Last, befördert zu werden, neidischen Ex-Kollegen und schmutzigen Fragen.

Chris Löwer

Endlich. Lange hat man für die Position in der Führungsriege geackert - und dann ist es soweit: Tschüss Mitarbeiterstatus! Doch bei einigen frisch gekürten Chefs währt die Freude nicht lange. Sie machen Fehler, werden unsicher, geraten ins Straucheln. Zur Unbedarftheit in der Mitarbeiterführung gesellt sich das Triezen und Sticheln derer, die gestern noch Kollegen waren und vielleicht selbst mit dem Aufstieg gerechnet hatten. "Oft macht sich schon bald nach dem Knallen der Sektkorken frustrierte Ernüchterung breit, weil die hohen Anforderungen an die neu ernannten Führungskräfte unterschätzt wurden - besonders auf der zwischenmenschlichen Ebene", sagt Bernd Zeutschel, Geschäftsführer des Seminarveranstalters Global Competence Forum.

Gefesselt in einer neuen Rolle: Frisch gekürte Führungskräfte sind häufig überfordert. (Foto: Foto: photodisc)

Von heute auf morgen ist man mittendrin, eingeklemmt wie eine Scheibe Käse in einem Sandwich: Zum einen gilt es, ein Team zu führen, zum anderen im Sinne der Geschäftsführung zu agieren, sich zu bewähren, um später selbst dort anzukommen. "Wer befördert und mit Führungsverantwortung betraut wird, muss an zwei Fronten kämpfen", sagt Zeutschel, "die früheren Kollegen reagieren mit Unsicherheit, Neid oder Ablehnung. Gegenüber dem Vorgesetzten müssen andererseits die eigenen Führungsqualitäten bewiesen werden."

Unbequem wird die Sandwich-Position erst, wenn die Führungskraft den Mitarbeitern die neue eigene Rolle nicht zeitig klar macht. "Manche drücken sich davor und warten ab - oder aber sie lassen nassforsch den Chef heraushängen, obgleich sie gestern noch Teil des Teams waren", sagt Lothar Rolke, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Mainz. "Die eigene Strategie muss vom ersten Tag an sichtbar gemacht werden. Das ist das A und O", sagt Rolke.

Nicht zu empfehlen ist dabei allerdings das Motto: Neue Besen kehren gut. "Mitarbeiter erwarten zwar eine Veränderung bei einem Führungswechsel", sagt Ernst Heilgenthal von der Personalberatung Gemini Executive Search in Köln. "Aber zugleich haben sie Angst davor, dass alles anders wird. Das bringt die Gerüchteküche zum Brodeln."

Der neue Chef wird immer an seinem Vorgänger gemessen. Ein beliebter Kardinalfehler ist es, deshalb allzu kräftig mit dem neuen Besen zu wedeln. Weil der Neue beweisen will, dass er gewiefter ist als der Vorgänger, trifft er vorschnelle Entscheidungen und ordnet überstürzt Veränderungen an. "Besser ist es, sich zwei bis drei Monate Zeit zu nehmen, um sämtliche Aspekte des eigenen Verantwortungsbereichs in Ruhe anzuschauen und die Mitarbeiter zu fragen, was gut läuft, was nicht so gut läuft, was fehlt", sagt Andreas von Studnitz, Geschäftsführer der Rendsburger Personal- und Organisationsentwicklung von Studnitz & Partner. "Erst dann sollte die neue Führungskraft eigene Duftmarken setzen."

Manchmal steht sich der neue Chef auch selbst im Weg. Wenn er zum Beispiel auf Anhieb alles besonders gut meistern will und sich dabei selbst überfordert. "Da hilft nur gesundes Selbstvertrauen, denn die Führungskraft hat ja in der Regel einen Auswahlprozess gegen mehrere andere Anwärter gewonnen. Also: auf die eigenen Stärken vertrauen und sich über Ziele und Prioritäten klar werden", sagt Studnitz.

Aber nicht immer liegt alles in den eigenen Händen. "Neid und Nicht-Akzeptanz der alten Kollegen begleiten jeden Aufstieg. Mancher hat Lust, den neuen Chef herauszufordern und zu testen, wie stark er eigentlich ist", sagt Professor Rolke. Was wie ein Naturgesetz erscheint, müsse nicht als solches hingenommen werden. "Der Neue sollte sich mit diesem Kollegen zusammensetzen und ihn auf die Situation ansprechen, um gemeinsam Spielregeln für die künftige Zusammenarbeit zu vereinbaren", rät Personalberater Studnitz. Wichtig dabei: "Die Einhaltung dieser Spielregeln muss aufmerksam überwacht werden, um zu vermeiden, dass der Unterlegene sie umgeht oder gar zum Oppositionsführer im Arbeitsbereich wird. Hier hilft nur eine klare, eindeutige und engagierte Positionierung als Chef."

Häufig ist auch Angst im Spiel, weil der alte Kollege und neue Chef schließlich die intimen Seiten und Schwächen seiner Mitarbeiter kennt. Das könnte nun ausgenutzt werden. Doch auch umgekehrt gilt: Die Mitarbeiter kennen ihren Vorgesetzten noch als Kumpel. Bei manchen schlägt das ins Gegenteil um, der Umgangston wird plötzlich förmlich. Aus dem "Du" wird über Nacht ein "Sie", um die neue Distanz auch verbal zu unterstreichen. "Es ist gewiss ein schwieriger Spagat, eine gute Positionierung zwischen den Varianten 'Erster unter Gleichen' und 'Chef' zu finden. Aber es ist nicht angemessen, deshalb gleich ein anderer Mensch zu werden", sagt der Berater. Er empfiehlt: Das "Du" bleibt, dafür muss im ersten Meeting gleich der Modus der neuen Zusammenarbeit bekannt gegeben werden.

Ein solcher Schritt ist ohnehin das einzig Wahre, um Führungsschwierigkeiten und Irritationen von vorneherein auszuschließen. "Die neue Aufgabe ist ein Führungsjob und keine primäre Fachaufgabe", sagt Professor Rolke. Es sei ein grundsätzlicher und verbreiteter Fehler, dass sich die frisch gekürte Führungskraft erst mal in ihrem Büro verschanze, um beim Lösen sachlicher Probleme nicht gestört zu werden. "Dabei hat sie sich fachlich längst bewiesen, sonst wäre der Aufstieg nicht geglückt. Jetzt kommt es darauf an, das Team zum Erfolg zu führen."

Jeder Fehlstart ist teuer

Das kann nur gelingen, wenn man sich seiner neuen Aufgabe bewusst ist. Rolke rät daher, sich zu Beginn einigen kritischen Fragen zu stellen - am besten schriftlich: Welchen Führungsstil will ich pflegen? Wer will ich sein? Was erwarte ich von meinen Mitarbeitern? "Gut ist, sich alle dirty questions zu stellen, die man selbst einem neuen Chef stellen würde", sagt der Professor. Bereits aus diesen knappen Fragen ließe sich eine Verhaltensstrategie ableiten. Die sollte freilich nicht zu einer Neudefinition der eigenen Person führen - authentisch bleiben ist die Maxime.

Das heißt aber auch: Schwächen angehen und ausbügeln. Wer als gutmütiger Kerl gilt, sollte sich durchaus dezidiertes Nein-Sagen angewöhnen. Und: Auch wer glaubt, ein guter Kommunikator zu sein, muss sich in Offenheit üben: "Die Mitarbeiter müssen gleich spüren: Er redet mit uns", sagt Gemini-Berater Heilgenthal. Andernfalls sind die Folgen eines orientierungslosen Laissez-faire nicht zu unterschätzen. Studnitz: "Fehlstarts kosten Geld, Zeit und Sicherheit aller Beteiligten - und hinterlassen deutliche Spuren bei der Produktivität."

© SZ vom 19.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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