Schulen:Freier Eintritt

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Schulen sind längst keine werbefreie Zone mehr. Agenturen und Unternehmen buhlen schon um Erstklässler.

Britta Mersch und Armin Himmelrath

Kurz nach zwölf, Schulschluss in der 2b. Tom hat seinen Tornister schon gepackt und will gerade aus dem Klassenzimmer laufen, da drückt sein Lehrer dem Siebenjährigen noch einen Prospekt in die Hand. Darauf turnt ein gezeichneter Rabe auf Büchern herum - die er freilich nicht nur zum Lesen, sondern vor allem zum Kauf empfiehlt. Die Kinder sind begeistert von der Comic-Figur: "Megacool", sagt Tom und würde am liebsten gleich sieben oder acht Titel bestellen: "Weil wenn der Herr Schmidt uns die Liste gibt, dann sind die Bücher gut."

Eine Szene, wie sie sich in ähnlicher Form an immer mehr Schulen abspielt - und immer öfter für Missstimmung bei Eltern sorgt. Für sie wirken die Prospekte und Bestell-Listen, die ihre Kinder nach Hause bringen, oft wie plumpe Werbung. Ob der Klassenlehrer das Material nur verteilt oder gleich zum Kauf angepriesen hat, lässt sich meistens nur schwer klären. Für viele Kinder ist jedes Papier aus Lehrerhand eine Kaufempfehlung. Und spätestens wenn andere Kinder das Material bestellen, geraten auch skeptische Eltern unter Druck.

Lukrative Zielgruppe

Gut 20 Milliarden Euro können die etwa elf Millionen Mädchen und Jungen in Deutschland im Alter von sechs bis 19 Jahren nach Berechnungen von Verbraucherschützern jährlich ausgeben. Da ist es kein Wunder, dass auch Schulen längst keine werbefreien Zonen mehr sind. Dabei ist die Grenze zwischen pädagogisch vertretbaren Hinweisen und kommerzieller Werbung fließend. Sind Malblöcke mit dem Logo einer örtlichen Bank schon bedenklich? Darf der Baumarkt das Schulfest sponsern und dafür Plakate aufhängen? Und wie ist es mit dem Kekshersteller, der mit Sammelpunkten auf seinen Packungen erst die Schüler zum Konsum ermuntert und dann Klassenfahrten unterstützt? Auf solche und andere Weise jedenfalls versuchen Unternehmen, die lukrative Zielgruppe zu gewinnen.

Wie weit sie dabei gehen dürfen, ist nicht einheitlich geregelt. Während in Berlin, Bremen und Sachsen-Anhalt Produktwerbung an Schulen erlaubt ist, gestatten die anderen Bundesländer nur das Sponsoring, bei dem ein Unternehmen die Schule fördert und dafür Imagewerbung betreiben darf.

Dass jedes Bundesland eigene Kriterien anlegt, ist der Werbewirtschaft sogar ganz lieb: "Die tatsächlichen und tolerierten Werbemöglichkeiten gehen ohnehin oft über den rechtlichen Rahmen hinaus", heißt es etwa bei der spread blue media group. Die auf Schulmarketing spezialisierte Agentur aus Bottrop hat ein umfangreiches Konzept entwickelt, um möglichst viele junge Kunden anzusprechen. Zu den Standards gehören Plakat- und Postkartenwerbung an mehreren tausend Schulen bundesweit. Die Agenturkunden können aber auch Sonnen- und Regenschirme für den Schulhof bedrucken lassen, "Bodenbelagswerbung" auslegen oder Anzeigen in Schülerzeitungen schalten. Sogar ein simples Schulheft wird als Werbeträger ausgereizt: Eine eigens gegründete Tochtergesellschaft macht daraus einen "Schooltimer" für Berufsschüler, "Collegebooks" für die Mittel- und Oberstufe und "Busybooks" für Grundschüler. "Kinder wissen, was sie wollen, und sind oft die heimlichen Entscheider der Familie", lautet das Credo der Agentur.

Weil Agenturen und Unternehmen verstärkt versuchen, die gesetzlichen Grenzen neu auszuloten, müssen sich immer häufiger Gerichte mit Werbemaßnahmen in der Schule beschäftigen. So hatten Verbraucherschützer Mitte dieses Jahres gegen den Kekshersteller Bahlsen geklagt, der mit der Aktion "Sammeln für die Klassenfahrt" eine großflächige Kampagne an Schulen gestartet hatte. Schüler wurden animiert, Sammelpunkte auf Kekspackungen gegen eine dreitägige Klassenfahrt einzutauschen. "Unzulässiger Kaufzwang" lautete das Urteil des Oberlandesgerichts Celle. Bahlsen musste die Kampagne stoppen.

Das freute vor allem Edda Müller. Für die Chefin des Bundesverbands der Verbraucherschutzzentralen werden "Kinder und Jugendliche durch solche Aktionen instrumentalisiert und der staatliche Erziehungsauftrag konterkariert". Nach dem Bahlsen-Urteil fordern die Verbraucherschützer nun, direkte Werbung ganz aus den Schulen zu verbannen.

Erstaunliches Repertoire

Auch Lehrer geraten durch die Werbeaktionen mitunter in Konflikt mit der Justiz. In Essen leitete die Staatsanwaltschaft Anfang des Jahres Ermittlungsverfahren gegen mehrere hundert Pädagogen wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme ein. Die Lehrer hatten sich von einem "Movie Park" im Ruhrgebiet "Schulpässe" ausstellen lassen, die ihnen und bis zu fünf weiteren Personen freien Eintritt gewährte. Das entspricht einem Gegenwert von 250 Euro, ermittelten die Staatsanwälte. Gegen 300 Euro Geldbuße wurden die meisten Verfahren eingestellt.

Die Branche reagiert unterschiedlich auf Fälle wie diese. Bei einer Tagung des "Fachverbandes Sponsoring und Sonderwerbeformen" Mitte November in München zeigten sich manche Unternehmen und auch Agenturen verunsichert. Andere bleiben unbeeindruckt - und peilen schon die nächste Zielgruppe an: die Drei- bis Sechsjährigen: "Schon im Vorschulalter beherrschen viele Sprösslinge ein erstaunliches Repertoire an Werbesprüchen und Melodien", heißt es auf der Internetseite kindergartenmarketing.de: "Die Kleinen wissen durch ihre Kindergartenfreunde genau, was gerade angesagt ist, und entwickeln hier ein frühzeitiges eigenes Markenbewusstsein."

Für echte Werbeprofis stellt das kein Problem dar: Ein Geschenkesäcklein namens "Maikäfer" bringt die Dreikäsehochs schon früh auf die Spur der richtigen Produkte.

© SZ vom 5.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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