Schule:Praktiker ans Pult

Lesezeit: 3 min

Lernen zu lehren: Wenn Seiteneinsteiger Lehrer werden.

Christiane Stolz aus Blomberg in Nordrhein-Westfalen dachte schon während ihres Studiums darüber nach, Lehrerin zu werden. Letztlich schloss sie dann aber mit einem Diplom als Ökotrophologin ab.

Viel mehr Bewerber als Stellen: Das Interesse am Quereinstieg in den Lehrerberuf ist groß. (Foto: Foto: dpa)

Heute, 18 Jahre später, steht die 42-Jährige nun doch mit der Kreide in der Hand vor der Klasse. Als sie nach mehreren Jahren als Hausfrau und Mutter den beruflichen Wiedereinstieg suchte, kam ihr die Möglichkeit, als Quereinsteiger in den Schuldienst einzutreten, gerade recht.

Seit einigen Jahren werben die Bundesländer verstärkt Praktiker für den pädagogischen Dienst an. Anders können Lehrerstellen in so genannten Mangelfächern auf lange Sicht nicht besetzt werden, lautet das Fazit der Teilstudie Deutschland der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris aus dem Jahr 2003. Sie hat ergeben, dass aufgrund von Pensionierungen in Deutschland bis zum Jahr 2015 rund 371.000 Lehrerstellen frei werden.

Damit scheiden laut der Kultusministerkonferenz (KMK) in Bonn rund 40 Prozent der heutigen Lehrer in den kommenden 15 Jahren aus dem Schuldienst aus. Die Zahl der nachrückenden Referendare allein werde diesen Bedarf nicht decken. Nach Zahlen des Schulministeriums in Düsseldorf stellten daher etwa die Schulen in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr 77 so genannte Nichtlaufbahnbewerber ein, in diesem Jahr waren es den Angaben zufolge 49.

Die Aussicht auf eine feste Stelle und die Möglichkeit einer späteren Verbeamtung locken viele - auch weil es in der Regel keine Altersgrenze für den Seiteneinstieg gibt. Die Zahl der Interessenten sei daher in der Regel deutlich höher als die Zahl der Einstellungsmöglichkeiten.

Leopardenforscher ans Pult

Chancen haben vor allem Ingenieure und Naturwissenschaftler, und das vor allem an Berufsschulen sowie an Haupt- und Realschulen: Laut KMK gehören zu den so genannten Mangelfächern besonders Mathematik und die Naturwissenschaften. Bisweilen seien Lehrer für alte Sprachen, Religion, Kunst und Musik gefragt.

Absolventen neusprachlicher oder sozialwissenschaftlicher Studiengänge hätten eher schlechte Aussichten auf den späten Einstieg an der Schule. Ausnahmen gibt es jedoch offenbar immer wieder. An der Schule von Christiane Stolz ist neben zwei Innenarchitektinnen auch eine Anglistik-Absolventin angestellt, die Englisch unterrichtet.

Prof. Kurt Czerwenka, Leiter des Instituts für Schul- und Hochschulforschung an der Universität Lüneburg, hat in seinen Kursen neben Architekten und Ingenieuren auch schon gestandene Manager aus der Industrie erlebt sowie einen Leopardenforscher, der jahrelang in Afrika tätig war. "Die können Schüler möglicherweise ganz anders begeistern", sagt Czerwenka über die Seiteneinsteiger, die an seinem Institut auf den Lehrerberuf vorbereitet werden.

Von Bewerbern ohne lehrrelevante Berufserfahrung von mindestens vier Jahren fordert das Land Niedersachsen zunächst den erfolgreichen Abschluss eines einjährigen Intensivstudiengangs, etwa den an der Universität Lüneburg. Wer sowohl einen Diplom- oder Magisterabschluss als auch Berufserfahrung vorweisen kann, kann nach Auskunft des Kultusministeriums in Hannover sofort in den zweijährigen berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst eintreten.

So war es auch bei Christiane Stolz. Vom ersten Tag an unterrichtete sie zwei Jahre lang an vier Tagen in der Woche Biologie und Hauswirtschaft an einer Gesamtschule in Paderborn, ein Tag Seminarausbildung kam hinzu. Die Umstellung auf das Lehrerdasein fiel ihr nicht leicht. Das erste Jahr hat Stolz als "sehr belastend" empfunden. Den Unterricht müssen Quereinsteiger vom ersten Tag an ohne Anleitung eigenverantwortlich schmeißen.

Viele Abende und Wochenende verbrachte sie mit dem Lernen für Prüfungen und der Vorbereitung des laufenden Betriebs. "Man hat am Anfang ja keine Ahnung davon, wie man mit einer Klasse umgeht. Da kommt man schnell an seine Grenzen." Ein weit verbreitetes Bild des Lehrerberufs will auch die KMK gerade rücken: Einen "Halbtagsjob mit Ganztagsbezahlung" sollten Bewerber nicht erwarten. "Ein Wagnis ist der Seiteneinstieg in jedem Fall", sagt Matthias Jähne, Referent für Hochschulpolitik im Büro Berlin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Wenige Quereinsteiger hätten Erfahrungen in der Lehre. Auch Wissenschaftler Czerwenka rät davon ab, ohne jegliche pädagogische Vorbildung an die Schule zu gehen. "Es gibt einen Unterschied zwischen Verstehen und Vermitteln." Eine natürliche Begabung für das Unterrichten bringe seiner Einschätzung nach nur rund jeder zehnte Anwärter mit. "Die anderen neun müssen sich einarbeiten."

Unabdingbar sind laut Czerwenka Offenheit und psychische Belastbarkeit. Eines reicht nach den Erfahrungen von Matthias Jähne auf keinen Fall aus: Wenn der Lehrerberuf nur ein "Lückenfüller" sein soll, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

© sueddeutsche.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: