Schule:Du sollst nicht langweilen

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Jacques Le Goff ist einer der bedeutendsten Historiker Frankreichs. Er hat ein exzellentes Kinderbuch geschrieben. Wer es liest, fragt sich, ob es nicht eine hervorragende Basis für einen lebendigen Geschichtsunterricht wäre.

Felix Berth

Jacques Le Goff ist einer der bedeutendsten Historiker Frankreichs. In der akademischen Welt hat er fast alles erreicht: Einen Professorentitel, eine beeindruckende Publikationsliste, die Herausgeberschaft der wichtigsten historischen Zeitschrift Frankreichs (Annales). Und dann hat er, der seiner Zunft nichts mehr beweisen muss, ein exzellentes Kinderbuch geschrieben: "Das Mittelalter für Kinder", auf Deutsch erschienen 2007.

Schüler im Unterricht: Schon beim Blick in den Lehrplan sieht man Schüler gähnen. (Foto: Foto: ddp)

Wer es liest, fragt sich, ob es nicht eine hervorragende Basis für einen lebendigen Geschichtsunterricht wäre. Le Goff folgt keiner Chronologie, sondern bündelt verschiedene Themen zu Kapiteln: "Ritter, edle Frauen und Unsere Liebe Frau" heißt eines, "Burgen und Kathedralen" und "Die Mächtigen: Kaiser, Papst und Könige" heißen zwei andere.

Die nächste Ritterburg sieht anders aus

Le Goff, 83, schafft es, die aus heutiger Sicht ferne Lebenswelt des Mittelalters so zu beschreiben, dass Kinder eine Ahnung davon bekommen. Zum Beispiel in einer Passage über den "Komfort" in Burgen: "Der Kamin war ein Prestigeobjekt, zum einen, weil er oft von einem Künstler ausgeführt wurde, zum anderen, weil er etwas zu bieten hatte, was in diesen so kalten Burgen sehr begehrt war: Wärme." Ein Junge, der das gelesen hat, wird die nächste Ritterburg ein wenig anders betrachten.

Und weil Le Goff die sozialen sowie die wirtschaftlichen Entwicklungen des Mittelalters erstens hervorragend kennt und zweitens extrem konkret beschreiben kann, entsteht auf nur hundert Seiten ein faszinierendes Geschichtsbild: Das Mittelalter als Welt mit erstaunlichen Regeln, faszinierenden Menschen und dynamischen Entwicklungen.

Schüler gähnen

Doch wäre ein solches Buch im Unterricht überhaupt erlaubt? Ein mutiger Lehrer wird ein Kapitel daraus kopieren, doch schon der Blick in den bayerischen Lehrplan zeigt ihm, dass er eigentlich "einen an der Chronologie historischen Geschehens orientierten Überblick über die Epochen und Räume der Weltgeschichte" vermitteln muss.

In der siebten Klasse des Gymnasiums tauchen deshalb jene Begriffe auf, die den Geschichtsunterricht so zäh werden lassen: Grundherrschaft, Investiturstreit, Canossa 1077, Eroberung Konstantinopels 1453, Westfälischer Friede 1648. Schon beim Blick in den Lehrplan sieht man Schüler gähnen und träumt von Lehrplan-Autoren, die den Mut eines emeritierten Geschichtsprofessors haben.

© SZ vom 11.3.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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