Schulbücher:Konflikt-Stoff

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Lernmittel sind überfrachtet und Kontrollen fehlen.

Jeanne Rubner

Muss ein Neuntklässler wissen, welche Alltagssorgen die Frauen in der DDR plagten? Dass sie als Werktätige das Volksvermögen mehren sollten und zugleich stundenlang für Bananen anstehen sowie die Wohnung putzen mussten? Ja - findet zumindest die Stiftung Warentest. Die Rolle der Frau, so das Urteil über ein Geschichtsbuch für die 9.Klasse, werde zu knapp beschrieben, ihre Arbeitsbelastung ausgeklammert. Irrtum, kontert der Stuttgarter Verlag Klett-Cotta. Der Platz sei knapp, da müssten die Autoren Schwerpunkte setzen. Und sie hätten sich nun einmal entschieden, die sozialen Errungenschaften gegenüber den Engpässen zu beleuchten sowie die Rolle der Opposition.

Das Fehlen der geplagten DDR-Frau ist einer der Mängel, die eine unlängst veröffentlichte Studie über deutsche Biologie- und Geschichtsbücher anprangert. Und mit der die Stiftung Warentest Schlagzeilen und sich zugleich viele Feinde machte. 17 von etwa 40000 auf dem Markt verbreiteten Werken für die Klassenzimmer ließen sie von Experten begutachten. Die nahmen jeweils 40 bis 50Seiten unter die Lupe. Demnach enthält ein Biologiebuch im Schnitt auf jeder fünften geprüften Seite einen Fehler.

Geheime Details

Das Ergebnis kam gut an. Wie immer, wenn die Qualität der Schulen angezweifelt wird, fühlten zahlreiche Eltern sich in ihrem Urteil über die schlechte Ausbildung ihrer Kinder bestätigt. Die Verlage dagegen halten die Studie für unseriös. Trotzdem legt die Untersuchung Schwächen der deutschen Schulbücher offen: Die aber bestehen weniger in ein paar Fehlern als vielmehr in der Überfrachtung und im Fehlen einer unabhängigen Kontrolle der Verlage.

Ob jeweils ein paar Seiten aus 17Büchern ausreichen, um ein seriöses Urteil zu fällen, muss man tatsächlich bezweifeln. Das wäre, als wenn die Stiftung von ein paar tausend Waschmaschinen-Modellen zwei Modelle herausgriffe, um zu dem Schluss zu kommen, dass alle Waschmaschinen eine Macke haben. ,,Enorm geärgert'' hat man sich jedenfalls beim Berliner Verlag Cornelsen, sagt Sprecherin Christine Jesse. Zumal die Fehler ,,in neun von zehn Fällen keine echten Fehler'' seien. Stutzig macht auch, dass die Stiftung die Details ihrer Studie nicht preisgibt. Norbert Coldewey, Redaktionsleiter Naturwissenschaften bei Cornelsen, durfte nur zwei Stunden lang Einsicht in die Unterlagen über die Bücher seines Verlags nehmen. Fotokopieren war verboten, es sei denn, Cornelsen hätte sich verpflichtet, die Stiftung Warentest nicht zu verklagen.

Deutschlands Schulbücher geben in schöner Regelmäßigkeit Anlass zur Kritik. Meistens klagen dabei die Verlage selbst, vor allem darüber, dass der Markt immer schwieriger werde und die Bücher zu lange im Umlauf seien. So büffelten Schüler in Nordrhein-Westfalen noch im Jahr 2001 Geschichte mit Büchern, in denen die Wiedervereinigung nicht vorkam. Sinkende Schülerzahlen und schwächelnde öffentliche Haushalte setzen die Verlage unter Druck. War dem Staat 1991 jeder Schüler 35Euro an Ausgaben für Lernmittel wert, so sank dieser Betrag 2003 auf 20Euro - obwohl die neuen Medien und zusätzliche Fächer wie Fremdsprachen in der Grundschule die Ausgaben hätten steigern müssen.

Dass Verlage jammern und nun ihre Produkte heftig verteidigen, liegt in der Natur ihres Geschäftes. Bedenklich ist nach Meinung vieler Experten aber die Überfrachtung der Bücher. Sowohl optisch als auch inhaltlich wird den Schülern viel zu viel zugemutet. ,,Visuelle Reizüberflutung'' urteilte bereits im Jahr 2002 der Verband der Bildungsmedien. Mit ,,zu vollen, unübersichtlich gestalteten Doppelseiten, schlechten Illustrationen sowie Typografie-Mätzchen'' würden die Herausgeber auf ,,Design statt Lesekomfort'' setzen.

Ein harsches Urteil, das mit der Fülle an Stoff, die in den Büchern untergebracht werden muss, zusätzlich an Brisanz gewinnt. Die freilich schreiben nicht die Verlage, sondern die Kultusministerien vor. Die Überfrachtung sei eine direkte Folge der ,,Stoffhuberei'', urteilt der Kieler Erziehungswissenschaftler und Leiter der deutschen Pisa-Studie, Manfred Prenzel. Und das Versprechen der Schulbehörden, mit dem verkürzten Gymnasium auch die Stoffmenge zu verringern, hat sich als hohl erwiesen. ,,G8 hat keine Stoffreduktion gebracht'', urteilt auch Coldewey. Und dass - trotz bundesweiter Bildungsstandards - noch jedes Land auf den Besonderheiten eines eigenen Lehrplans beharrt, macht die Sache nicht einfacher.

Zu wenig Forschung

Das klingt auch bei Deutschlands oberster Schulinstanz, der Konferenz der Kultusminister, so an. Die KMK mag sich zum neuen Schulbuch-Streit zwar nicht äußern, Schulbücher sind schließlich Sache der Länder. Die Überfrachtung der Lehrpläne aber, betont die stellvertretende KMK-Generalsekretärin, Angelika Hüfner, werde von der Minister-Runde durchaus kritisch beobachtet. Die beschlossenen Standards sollten schließlich dazu führen, dass Lehrpläne entschlackt würden, so Hüfner. Das sei die Philosophie der KMK, überprüfen kann sie freilich nicht, wie viel an Inhalten tatsächlich abgespeckt wird.

Noch weniger sind die Bücher selbst Gegenstand einer unabhängigen Begutachtung. Zum einen sind nach Meinung des Erziehungswissenschaftlers Jan Hofmann die Zulassungsrituale der Ministerien ,,eher lax'' geworden. Die Verlage seien, sagt der Direktor des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, fast frei in der Gestaltung. Zum anderen kümmert sich die Wissenschaft nicht darum, wie Schulbücher wirken und wie gut sie tatsächlich sind. Manfred Prenzel etwa will kein Kollege einfallen, der sich mit Schulbüchern beschäftigt, ,,ein vernachlässigtes Thema'' sagt auch Angelika Hüfner.

Derweil ist so etwas wie ein Wissensmonopol der Verlage entstanden, das man freilich nicht nur ihnen anlasten kann. Er würde ja gerne, sagt sogar Klett-Cotta-Sprecher Thomas Klugkist, einen unabhängigen Fachmann engagieren, wenn es den denn gäbe. Schulbuch-Experte dringend gesucht - wenn er oder sie gefunden würden, dann hätte die umstrittene Studie zumindest einen Zweck erfüllt.

© SZ vom 5.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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