Reform in der Medizinausbildung:Schuften zum Billiglohn ist vorbei

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Ab dem 1. Oktober gibt es den "Arzt im Praktikum" nicht mehr. Nachwuchskräfte müssen sofort als Assistenzärzte beschäftigt werden. Das bedeutet Mehrausgaben für die Krankenhäuser.

Von Sibylle Steinkohl

Acht Uhr: Der Arbeitstag beginnt für Martin Edelmann mit Blutabnahmen, Untersuchungen, Arztbriefeschreiben. Um neun Uhr geht er mit auf die gut zweistündige Visite - ein Pflichttermin für das medizinische Personal auf Station 4.

Die Krankenhäuser haben sich verpflichtet, die teureren Stellen bis 2006 zu finanzieren. (Foto: Foto: dpa)

Meistens seien mehrere Ärzte dabei, es habe aber auch schon Tage gegeben, an denen er als einziger Mediziner an den Krankenbetten gestanden sei, berichtet der 30-jährige Nachwuchsarzt in der Universitätsklinik an der Ziemssenstraße, der so souverän wirkt, als hätte er schon etliche Berufsjahre hinter sich. Zur Mittagsbesprechung versammeln sich dann alle Ärzte der Klinik, um über neue und komplizierte Fälle zu sprechen und Untersuchungsergebnisse und Therapien zu diskutieren.

"Danach geht es nahtlos weiter", sagt Edelmann: "Kurvenvisite" machen, Lungendrainagen legen, Untersuchungsanträge ausfüllen, Diagnosen für die Abrechnung nach dem neuen Fallpauschalen-System verschlüsseln, Entlassungsschreiben verfassen.

"Der Verwaltungsaufwand ist immens", findet er. Oft muss er sich sputen, damit er pünktlich zu den Fortbildungen erscheint, die in der Uniklinik regelmäßig stattfinden. Und während des Semesters kommen auch noch Studentengruppen, um etwas über Lungenleiden, den Behandlungsschwerpunkt der Station 4, zu lernen.

Kurvenvisite auf Station 4

Der ganz normale Arzt-Alltag an einem Uni-Krankenhaus - nur dass Martin Edelmann eigentlich noch gar kein "richtiger" Arzt ist. Er hat zwar sein sechsjähriges Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen, doch die volle Approbation erhält er erst nach seinem letzten Ausbildungsabschnitt als ¸¸Arzt im Praktikum" (AiP), der weitere 18 Monate dauert.

"Alles, was die Studenten gelernt haben, machen sie in dieser Zeit auch", sagt Assistentensprecher Andreas Botzlar von der Chirurgischen Uniklinik Innenstadt. Dass sie offiziell nichts allein tun dürften und noch in der Ausbildung seien, hält er für "Augenwischerei". Längst fungieren die angehenden Ärzte in den Spitälern als wichtige und billige Arbeitskräfte, ohne deren Einsatz mancher Betrieb ins Trudeln geriete.

Ein AiP koste 21 000 Euro pro Jahr, erläutert Nicole Bongard, Pressesprecherin des Klinikums der Universität (LMU). Im Vergleich dazu: Für eine Assistentenstelle nach BAT IIa muss der Träger 62 903 Euro jährlich anlegen.

Doch mit der Schufterei zum Billiglohn ist es jetzt vorbei. Im Rahmen seiner Studienreform schafft der Gesetzgeber den Arzt im Praktikum zum Oktober dieses Jahres ab. Die Medizin-Absolventen müssen nun gleich als Assistenten eingestellt werden. "Wir AiPler sind darüber sehr glücklich", sagt Edelmann, allerdings sei die Verunsicherung über die Zeit nach dem 1. Oktober zunächst groß gewesen. Anfang August haben alle 120 Berufsanwärter des LMU-Klinikums sogar ein Kündigungsschreiben erhalten, ohne Kommentar, wie es mit ihnen weitergehen solle.

Klagewelle gegen das Klinikum zu erwarten

"Ein schlechter Stil", kritisiert Assistentensprecher Botzlar. In den folgenden Wochen musste zudem etwa ein Drittel der AiPler auf so genannten Hausstellen befürchten, nicht weiterbeschäftigt zu werden - der Marburger Bund (MB), die Interessenvertretung der Klinikärzte, rechnete bereits mit einer Klagewelle gegen das Münchner Klinikum.

Denn die Rechtslage sei klar, sagt MB-Juristin Elke Schels: Die Krankenkassen haben sich verpflichtet, die Übergangsregelung, und damit die deutlich teureren Stellen, bis einschließlich 2006 zu finanzieren. Erst seit wenigen Tagen und auf Druck der Basis sei nun geklärt, dass jeder der 120 Jungärzte für neun Monate als Assistent übernommen werde, egal, ob die AiP-Zeit kürzer oder länger gedauert hätte, berichtet Botzlar.

"Alles andere hätte zu sozialen Härten geführt", begründet der stellvertretende Verwaltungsdirektor Franz Stadler das Einlenken. Die etwa 130 weiteren AiPler aber, deren Stellen von Drittmitteln aus Forschung, Industrie oder Stiftungen bezahlt würden, müssen sich selbst um die Finanzierung ihres Assistentengehalts kümmern.

Unkomplizierter dagegen verfuhr das Klinikum rechts der Isar. In einem Brief der Verwaltung wurden die 100 Hilfsärzte des Klinikums der Technischen Universität (TU) informiert, dass sie für ihre verbleibenden AiP-Monate einen Assistentenvertrag unterschreiben könnten, sobald sie ihre Approbation vorbeibrächten. "Wir mussten um nichts kämpfen", bestätigen Caroline Rimkus und Sonja Gillen, die ihre Praktikumszeit in der TU-Chirurgie ableisten.

Wie viele Stellen erhalten bleiben, ist offen

"Nach dem Wegfall des AiPs steht uns ein Ausgleich der Mehrkosten zu", erläutert Sylvia Heigl, die stellvertretende Verwaltungsdirektorin des rechts der Isar. Der Passus sei allerdings erst im Budget 2005 enthalten, so dass die Häuser die Auslagen vorstrecken müssten und später refinanziert bekämen: "Doch das kriegen wir hin."

Fürs erste ist das Auskommen der Jungärzte auch in den vier städtischen Krankenhäusern gesichert. Jeder habe einen Vertrag als Assistenzarzt bekommen - für die Dauer der AiP-Zeit, sagt Roland Ranftl, stellvertretender Verwaltungs-Chef am Klinikum Bogenhausen.

Doch wie es danach weitergeht? Und wie viele Stellen erhalten bleiben? Noch ist offen, wie der neu gegründete Stadtklinikkonzern mit diesen Fragen umgehen wird. Mit den Fallpauschalen werde es insgesamt enger, sagt Ranftl. Eines ist für ihn klar: "Die AiPler werden uns fehlen." Im Krankenhaus Harlaching erwartet Verwaltungschefin Maria Knauer, dass "wir mindestens die Hälfte langfristig übernehmen müssen, um die Dienstpläne aufrecht zu erhalten."

Kollaps im Schockraum

Zweieinhalb AiPler statt eines Assistenzarztes - auf diese simple Logik haben sich die Kliniken längst eingestellt. Wir brauchen diese Mitarbeiterzahl nicht nur übergangsweise, sondern immer", sagt Botzlar. In der Innenstadt-Chirurgie teilten sich jetzt 18 AiPler sieben Assistentenplanstellen, sie seien feste Größen im Arbeitszeitmodell des Hauses.

Die Notaufnahme mit dem Schockraum und die Intensivstation würden im Schichtdienst betrieben. "Ohne das jetzige Personal kollabiert das Modell", sagt er voraus: "Das müssen wir unserer Verwaltung näher bringen." Der Gesetzgeber habe sich bisher aber noch nicht geäußert, ob die Mittel auch nach 2006 im Budget blieben, argumentieren die Klinikmanager. Botzlar hält sich inzwischen an das Prinzip Hoffung: "Wenn es klappt, hat das LMU-Klinikum mehr als 70 neue dauerhafte Arbeitsplätze."

Martin Edelmann hätte gern einen davon. Die Chancen könnten gut sein: Er hat für seine Doktorarbeit zur Tumorbiologie in den Labors der Ziemssenstraße geforscht, er hat hier seine Pflichtpraktika gemacht, im Schlaflabor gejobbt und einen Teil des Praktischen Jahres absolviert. Auch Caroline Rimkus kennt die TU-Chirurgie schon aus ihrer Famulaturzeit.

Nun hat sie dort ihre Promotion über ein Thema aus der Krebsmedizin geschrieben. Ein halbes Jahr lang konnte sie wissenschaftlich arbeiten. Caroline Rimkus und Sonja Gillen wollen "auf jeden Fall Chirurginnen werden" - ganz gezielt haben sie sich für ihre AiP-Zeit beworben. "Man muss versuchen, einen Fuß in die Tür zu kriegen", sagt Martin Edelmann über seine Ambitionen.

© Süddeutsche Zeitung vom 01.09.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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