Reform der Arbeitsämter:Die Farben der Arbeitslosigkeit

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In Heilbronn probt die Bundesanstalt für Arbeit ihre Zukunft: Innenansicht des großen Umbaus eines Behördenkolosses.

Von Jonas Viering

Etwas ist anders an diesem Morgen im Arbeitsamt Heilbronn. Abrupt stoppt der verblüffte Besucher seinen Weg: Die Türsteherin ist ihm in den Weg getreten. "Guten Morgen! Kann ich Ihnen weiterhelfen?" - das fragt sie nicht, das jubelt aus ihr heraus. Die zierliche Mittzwanzigerin mit runder Brille und weißer Strickjacke wirkt geradezu unanständig gut gelaunt an einem Ort wie diesem, wo doch das Elend verwaltet wird. Dunkelbraun gestrichener Sichtbeton, graues Linoleum, das sind hier die Farben der Arbeitslosigkeit. Doch hinter der Türsteherin prangt, wenn auch etwas provisorisch ins Amtsfoyer hineingezimmert, ein weißer Tresen. Gleich zu viert stehen die Damen vom Amt bereit - früher verbarg sich ein einsamer Pförtner in einer düsteren Box.

Vom Ausstehen bedroht - die Wartemarke (Foto: Foto: dpa)

Begrüßung im Akkord

Hier mit dem Test in der schwäbischen Provinz soll die Zukunft beginnen. Bis Mitte kommenden Jahres soll es in allen Arbeitsämtern der Republik so ähnlich zugehen wie seit gut zwei Wochen in Heilbronn. Der Amtskoloss der Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit seinen 90.000 Mitarbeitern soll auf Dienstleistung getrimmt werden und vor allem auf Effizienz. Und das soll die Vermittlungsleistung steigern: Letztlich 400.000 Arbeitslose weniger verspricht BA-Chef Florian Gerster. Soll, soll, soll - die Pläne stehen fest, doch in der Wirklichkeit ist noch vieles unsicher. Und formal schmort die Reform sogar noch mit den Hartz-Gesetzen im Vermittlungsausschuss, an diesem Donnerstag war wieder Sitzung in Berlin.

Dreißig Sekunden. So lang, so kurz soll das Gespräch am weißen Tresen durchschnittlich dauern, erzählt eine der Damen dort. "Das ist Akkord", sagt sie, und halb ist das Stolz, halb Klage. Genau wie die fröhliche Türsteherin haben die Tresendamen eine präzise Aufgabe: "Segmentierung von Kundenströmen", wie es in den Konzepten kühl heißt.

Man spricht McKinseyanisch

Von "Produkten" und "Prozessen", die "rationalisiert werden müssen", schwärmt Rainer Bomba, Leiter des Heilbronner Projekt. Das Amt spricht jetzt McKinseyanisch. Die beschlipsten Unternehmensberater haben sich bescheiden mit ihren Flipcharts und Laptops in einer Kammer des Amts Heilbronn einquartiert, doch das betriebswirtschaftliche Denken sickert von dort in all die Verwaltungsstuben.

"Einfach, brillant einfach" müssten die neuen Strukturen sein, sagt Bomba, der selbst vor fünf Jahren als Quereinsteiger aus der Privatwirtschaft zur Bundesanstalt kam, zwischenzeitlich Zuarbeiter der Hartz-Kommission war und begeistert von den McKinseyanern ist. Die Damen am Empfang fangen die "Kunden", wie die Arbeitslosen nun heißen, ab. Klären Kleinigkeiten wie zum Beispiel Urlaubsmeldungen gleich. Geleiten den Ratsuchenden ansonsten zu einer Reihe von neu installierten Telefonen, an denen er auf den roten Knopf zu drücken hat und hausintern einen Termin vereinbart. Später soll er direkt von zuhause anrufen.

"Das ist Erziehungssache", sagt Bomba, und sofort wird die eigentümliche Mischung aus Service und Druck deutlich, die das neue Denken gegenüber den Arbeitslosen prägt. Mittlere Anliegen werden in der "Eingangszone" ein Stockwerk höher geklärt. Dadurch sollen die eigentlichen Arbeitsvermittler wieder Zeit bekommen: zum Vermitteln.

Der dicke Besucher raunzt die zarte Türsteherin an, er kenne seinen Weg: "Ich komm schon lang genug her." Das stand so nicht im Konzept. Die neuen Telefone im Foyer funktionieren nicht. Oben immerhin präsentiert sich eine Bilderbuchszene. Aus dem üblichen dunklen Flur, auf dem die Menschen stundenlang mit der Wartemarke in der Hand vor vielen verschlossenen Türen standen, ist ein einziges, helles Großraumbüro geworden. Die Wartenden sehen, dass die Mitarbeiter nicht etwa bloß Kaffee trinken; und die Mitarbeiter sehen, wieviele warten. Wenige sollen es sein: Für größere Probleme gibt es innerhalb von sieben Tagen einen festen Termin mit dem Vermittler. Wartenummer 367 - damit ist es hier vorbei.

"Manches ist gewöhnungsbedürftig", sagt Andrea Leyrer, Sachbearbeiterin in der Eingangszone, und blinzelt nervös: "Aber wir machen diese Reform, wir haben davor ja auch schon andere gemacht." Kein Sarkasmus ist das, sondern die Wahrheit. "Arbeitsamt 2000" hieß die letzte Aktion - die nun teilweise wieder rückgängig gemacht wird.

Manche der Mitarbeiter in Heilbronn sind enthusiastisch überzeugt vom Neuanfang, das Team hier ist im Vergleich zu anderen Ämtern ungewöhnlich jung und einsatzfreudig. Die anderen wagen keine offene Kritik: Spätestens seit dem Skandal um geschönte Vermittlungszahlen, der den Umbau auslöste, stehen die Mitarbeiter unter Druck. Und jetzt die in Heilbronn ganz besonders: "Die ganze Bundesanstalt schaut hierher", sagt Bomba, "und der Kanzler sicher auch." Wenn die Mitarbeiter nicht mitziehen, sagt BA-Finanzvorstand Frank-Jürgen Weise in schöner Offenheit, "dann haben wir verloren". Nur: In einer anonymen Befragung der Beschäftigten in den Arbeitsämtern haben volle 90 Prozent erklärt, sie sähen derzeit nicht den Sinn, nicht die Zielausrichtung der Bundesanstalt. Ein desaströses Ergebnis.

"Nützen tut's nix"

Die meisten Arbeitslosen im Amt Heilbronn sind erstmal ganz angetan. "Man kommt schneller dran", sagt leise eine 22-jährige, seit Juni arbeitslos, Verkäuferinnenlehre abgebrochen. "Nützen tut's aber nix", ruft ihre Mutter dazwischen, seit zwei Jahren ohne Stelle, "mit 46 kann man das doch alles vergessen, da gibt's nix." In der Tat: Mehr Jobs kann die BA nicht schaffen. Aber Erfahrungen in Großbritannien und Österreich, Vorbild für die deutsche Reform, machen Mut. So bleibt in Österreich nach dem Umbau der dortigen Arbeitsvermittlung laut BA ein freier Arbeitsplatz statt 43 nur noch 33 Tage unbesetzt.

Die Aufteilung in Marktkunden, Beratungskunden, Betreuungskunden soll nicht bloß bei den einen Zeit sparen, bei den anderen intensivere Bemühungen ermöglichen, sondern auch Vergleichbarkeit schaffen, neudeutsch: "Benchmarking". Innerhalb der Gruppen sollen Unterschied in den Bemühungen der Arbeitslosen deutlich werden - und in den Bemühungen der Vermittler. Das gleiche geschieht zwischen den Arbeitsämtern: Dresden und Duisburg etwa haben ähnliche Marktbedingungen. Aber wo das eine Amt eine Stelle in durchschnittlich 33 Tagen besetzt, braucht das andere 47. Und bei Fortbildungen wendet manches Amt 7500 Euro auf und ein anderes für eine vergleichbare Maßnahme 21.000.

Die Erfolgreichen sollen Vorbild werden, die Schlechten in der selben Gruppe bekommen Druck. Auf dem Papier ist das ein stimmiger Plan. Auch wenn das Kundencenter in Heilbronn erst die Hälfte der Reform ist; die schwierige Integration der kommunalen Dienste von Suchthilfe bis Schuldnerberatung in so genannten Jobcentern steht noch aus.

In Heilbronn liegt etwas in der Luft. Es ist der Anfang von etwas. Oder - das Ende. Es gehe nicht um irgendeine Reform, sagt Finanzvorstand Weise wie nebenbei: "Es geht um die Existenzberechtigung der Bundesanstalt für Arbeit."

© SZ vom 14.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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