Radmechaniker:Geschraubte Träume

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Thomas Metzmacher, Fahrrad-Konstrukteur und Unternehmer, im Porträt: "Es gibt viele Probleme, für die die großen Hersteller keine Lösungen anbieten."

Ralph Müller-Gesser

(SZ vom 24.9.2001) Für manche Menschen ist ein Fahrrad einfach nur ein Fahrrad. Rahmen, Reifen, Lenker, Pedale und Kette - zusammengeschraubt ergibt das ein muskelgetriebenes Fortbewegungsmittel, lautet deren einfache Rechnung. Die Menschen, die so denken, waren bestimmt noch nie bei Thomas Metzmacher. "Anfertigung von Einzelstücken und Kleinserien, Entwicklung und Konstruktion von Fahrradteilen, Öffnungszeiten Montag bis Freitag 14 Uhr 14 bis 18 Uhr 18" steht auf seinem Firmenschild. Fahrräder können banale Transportmittel sein, doch in der Werkstatt Velofactum wirken sie wie Kunstwerke. Und Inhaber Thomas Metzmacher verhält sich wie ein Künstler.

Job-Info Radmechaniker (Foto: N/A)

Der Schritt scheppert auf der stählernen Wendeltreppe, die hinauf zur Werkstatt führt. Beim Emporsteigen fällt der Blick auf den Flachbau gegenüber: Ateliers der Volkshochschule, in denen Feierabend-Künstler Bildhauerei, Malerei, Graphik und Druck üben. Eine teure italienische Weinhandlung hat die Räume unter Metzmachers Werkstatt belegt. Schon im Vorraum neben der Glastür lockt der Sattel des gelben Cityrads "Equinox" - bequemer als mancher Fernsehsessel. Daneben protzt das Modell "Delight" mit seinen Scheibenbremsen und einer High-Tech Nabenschaltung - Wert rund 7000 Mark.

Chaotische Fahrradwelt

Hinter der Glastür öffnet sich Metzmachers eigenartige Fahrradwelt - zusammengepfercht in einen einzigen Raum: Werkstatt, Verkaufsraum, Ersatzteillager und Büro. "Ein optisches Chaos", sagt der schmächtige Mann lachend. Über Reihen fabrikneuer Räder hängen gelbe, grüne und schwarze Rahmen an den Stahlträgern unter der Decke. In der Ecke gegenüber schwebt silbern ein Schwarm Felgen. Wenn sie sich berühren, zieht ein sanftes Klirren vorbei an Stapeln von Lenkgabeln, es streift Schlauchknäule, hüpft über die kreuz und quer verteilten Schraubenzieher und verliert sich schließlich über den Büro- Schreibtischen, die wohl schon seit Jahren - bedeckt mit verstreuten Faxen und Notizzetteln - kein Licht mehr gesehen haben. Aus Regalen quellen Bremskabel; Schutzbleche ragen in die schmalen Gänge, und auf den hölzernen Werkbänken ist nicht einmal mehr Platz für eine Schraube.

"Ein optisches Chaos", wiederholt Metzmacher, "aber dafür gibt es eine strukturelle Ordnung. Ich weiß immer, wo ich die Sachen zuletzt hingelegt habe. " Der 45-Jährige - mit seinem blauen Sweat-Shirt, der dunklen Kordhose und den Sportsandalen sieht er aus wie ein Langzeitstudent - geht zu einer Werkbank und entlockt dem Gewühl aus Plastiktüten, Fettdosen und Fahrradrahmen ein Lichtkabel. Am Stativ vor ihm schwebt ein neuer schwarzer Rahmen. Im Pappkarton darunter liegen Ledersattel, Bremsen und Schutzbleche. "Der Kunde hatte einen Rahmenbruch und will nun, dass ich ihm mit den alten Teilen, die noch brauchbar sind, ein neues Rad aufbaue."

Griff in den Schrotthaufen

Behutsam schiebt er das Lichtkabel in eine winzige Öffnung des Rahmens. Ein halbe Stunde später zupft er es mit einer Pinzette am anderen Ende heraus. "Fuselarbeit", sagt er und tunkt den Zeigefinger in einen großen Fettkübel. Das Lenkrohr wird von innen eingeschmiert. Dumm nur, dass die Lenkgabel des Kunden verbogen ist. Der Fahrradkünstler greift zielsicher in einen Berg Metall - für den ungeübten Blick ein Schrotthaufen -, und schon ist Ersatz gefunden.

Durch die Glastür kommt Heiko Wilkens, 35. Der Berliner ist vor acht Monaten nach München gezogen und hat zwei Tourenräder bestellt - Stückpreis circa 3000 Mark. "Als ich das erste Mal in den Laden gekommen bin, war ich gleich begeistert. Ich habe mir gedacht: Klasse, ein kreativer Chaot, der sich auch wirklich Zeit nimmt." Metzmacher zieht aus der Hosentasche einen Bund Schraubenzieher und stellt den Lenker ein. Wilkens verschwindet mit dem Rad - Probe fahren. Ein halbe Stunde später: Nochmal Lenker einstellen. Dann spritzt Öl. Das Kabel der Hydraulikbremse ist rausgerutscht. "Sonderbar", sagt Metzmacher, "so etwas habe ich noch nie erlebt. Aber zum Glück ist es hier passiert." Nach einer weiteren halben Stunde steckt das Kabel wieder im Bremsgriff, das Öl ist nachgefüllt. Wilkens will noch einen Einkaufskorb. Doch der schwarze passt nicht auf den Gepäckträger. Improvisieren. Ein paar Mal schnappt die Beißzange. Überflüssige Verstrebungen werden entfernt. Wilkens ist zufrieden und geht. Die Rechnung kommt später.

Junger Freak

Begonnen hat die Karriere des Fahrradfreaks schon im Alter von 10 Jahren. In der Garage der Eltern zerlegte der kleine Thomas bereits Räder in ihre Einzelteile und bastelte an seinen Fahrradkreationen. "Im Winter war es in der Garage zu kalt. Da musste ich in den Keller ausweichen."

Jahre später begann er ein Maschinenbaustudium, wechselte aber bald ins Fach Fahrzeugtechnik. "Für Fahrräder hatten die allerdings nicht viel übrig." Trotzdem schloss er das Studium ab und eröffnete Mitte der achtziger Jahre seine erste Werkstatt. "Das musste ich einfach machen. Später hätte ich den Schritt in die Selbstständigkeit wohl nicht mehr gewagt." Zweimal zog er um - mit Werkzeug und Maßfahrrädern. Seit 1993 ist seine Werkstatt im Münchner Norden, in Milbertshofen.

Individuelle Problemlösung

Metzmacher hat seine Nische gefunden. Während inzwischen selbst in Kaffeeläden Billigräder verkauft werden, nimmt er sich der Wünsche zahlungskräftiger Kunden an.

"Es gibt so viele Probleme, für die die großen Hersteller keine Lösungen anbieten." Typischer Fall: der Gepäckträger. Eine extra lange und stabile Konstruktion hat sich der Tüftler deshalb vor Jahren ausgedacht. Der Aufbau kostet rund 600 Mark und hat eine kleine Klappe, die verhindert, dass sich die transportierte Getränkekiste in den Rücken des Fahrers bohrt.

Auch die Ledersattel machten ihm lange Zeit Sorgen: Zu hart; außerdem wurden sie durch das Gewicht des Fahrers breit gedrückt. "Das kann dann beim Treten ziemlich weh tun." Für 40 Mark fettet Metzmacher nun die neuen Ledersattel ein und knetet sie durch. So bleiben sie schlank und geschmeidig.

Die langbeinigen Frauen

Der Lastenaufzug knarrt. Zwei Männer mit grauem BMW-Kittel schieben Fahrräder in den Vorraum. Bei einem quietscht die Federung der Gabel. "Die ist hochkompliziert. Da muss ich erst noch den Konstrukteur anrufen." Die anderen beiden Räder kommen zu Routine-Checks. Metzmachers Werkstatt ist Service-Station für BMW-Räder. "Die verkaufen zwar ihre Räder, haben aber selbst keine Infrastruktur", sagt er. Für ihn ist das lukrativ. Die Automarke lässt sich seinen guten Service etwas kosten.

Doch das ist einfaches Tagesgeschäft; viel lieber spricht Metzmacher von seinen Projekten. Von dem Projekt für die beiden Schwestern mit den extrem langen Beinen zum Beispiel. Wie aus einem Modejournal seien ihm die Frauen vorgekommen, sagt er, als die beiden in seiner Werkstatt auftauchten. "Dummerweise gibt es nur ganz wenig vernünftige Rahmen für große Frauen. Damit das passte, musste ich eine Stange versetzen." Gleich zweimal, denn das Schwesternpaar hatte zwei gleiche Räder bestellt. Dann montierte er Ledersattel, Schmutzfänger und natürlich Rohloff- Gangschaltungen - jede davon im Wert von 1500 Mark.

Werkstatt oder Galerie

Metzmacher steht wieder vor dem Stativ mit dem schwarzen Rahmen. Er blickt in sein optisches Chaos mit der strukturellen Ordnung und sagt: "Irgendwann werde ich das alles umbauen." Wie in einer Galerie werde der Raum dann aussehen. "Jedes Modell soll einzeln dastehen, und an der Wand hängen dann die verschiedenen Fahrradgrößen." Damit der Kunde auch sehen könne, dass alles vorrätig sei.

Schwierig vorzustellen, wie aus dieser Werkstatt eine Galerie werden soll. Doch eigentlich ist seine Idee nur konsequent: Kunstwerke wirken nunmal am besten in einer Galerie.

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