Projekt Selbstständigkeit:Lieber 50 plus als 40 minus

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Wie eine Modemacherin einem Umsatzrückgang zu Leibe rückte.

Christine Demmer

Dass eine Architektin gleich nach dem Studium auf Damenmode umsattelt, ist eher ungewöhnlich. Dass sie damit seit mehr als 20 Jahren einen kleinen Couture-Betrieb in München mit fünf angestellten Teilzeitschneiderinnen über Wasser halten kann, nicht minder. Aber wie Hilde Polz einen plötzlichen Umsatzeinbruch von rund 40 Prozent aufgefangen und in ein überraschend erfolgreiches Geschäftskonzept verwandelt hat, das verdient besondere Beachtung. Es ist ein Modell zum Nachschneidern.

Erfolg mit einer neuen Zielgruppe: Hilde Polz (Foto: Foto: privat)

Zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst, bringt die Mode- und Image-Beraterin neue Kleider auf den Markt. Sie entwirft und schneidert nur für die Damenwelt - für junge Frauen, für nicht mehr ganz so junge Frauen, für jung gebliebene Frauen und jugendliche Frauen, wie die weibliche Altersspanne von 17 bis 77 in dieser Branche charmant umschrieben wird. Und sie verkauft direkt an ihre Kundschaft, ohne den Umweg über den DOB-Fachhandel. Damit schnürt sie sich zwar den Umsatz ein, aber es schmeichelt ihrer Liquidität.

"Die Zahlungsmoral der Modehäuser war so grauenhaft, dass ich zeitweise mit Außenständen in sechsstelliger Höhe geschlagen war", sagt die 46-Jährige, und die Empörung hallt noch nach. Angesichts der Alternative Geschäftsaufgabe oder Direktverkauf entschied sie, auf den Zwischenhandel zu verzichten. Wer will, wird in ihre Datei aufgenommen. Wer in ihrer Datei ist, wird bei Saisonstart über die neuesten Kreationen informiert. Zur Präsentation ihrer Kollektion veranstaltet sie ein Foto-Shooting und stellt die Modelle dann im Internet vor (www.hildepolz.de). So hat sie es mit Mundpropaganda, Plakat- und Zeitungswerbung zu einem soliden Kreis von rund 1400 Stammkundinnen gebracht.

Immer wieder dasselbe Lied

Wenn die Wirtschaft und die verfügbaren Einkommen schrumpfen, machen auch beste Kundenkreise gerne mal eine Diät. Im vergangenen Herbst durchfuhr die Unternehmerin ein ordentlicher Schreck: Beim Sichten ihres Auftragsbuches stellte sie fest, dass nahezu keine einzige Kundin unter 50 Jahren geordert hatte. Und fast 40 Prozent ihres Geschäftsvolumens stammte aus dieser Klientel! Binnen Jahresfrist zwei Fünftel weniger Umsatz! Das macht über den Daumen fast die Hälfte weniger Gewinn! Als sich die Couturieuse besorgt nach den Gründen erkundigte, hörte sie immer wieder dasselbe Lied: Die Polzsche Mode gefiel zwar noch immer, aber man müsse sich eben finanziell einschränken. Zweimal im Jahr ein neues Kostüm oder ein Hosenanzug für 500 Euro, also durchaus im mittleren Preissegment, seien in diesen Zeiten einfach nicht drin.

Nicht etwa, dass die allein erziehende Mutter von zwei Schulkindern die jungen Frauen nicht verstehen würde, keineswegs. "Viele können sich nicht mehrmals im Jahr etwas hochwertiges Neues zum Anziehen kaufen, schon gar nicht, wenn sie Kinder haben, eine Wohnung bezahlen müssen und der Job womöglich auf der Kippe steht." Hilde Polz kennt ihre Pappenheimerinnen. "Junge Frauen weichen lieber auf billigere Angebote aus. Sie möchten mit der Mode gehen und öfter etwas Neues haben." Erst jenseits des fünfzigsten Geburtstages ebbt die Quick-and-Trendy-Welle ab. "Bei den etwas älteren Damen blieb die Kundentreue entweder gleich", entnahm die Modemacherin erstaunt ihrer Statistik, "oder der Umsatz nahm sogar noch zu, jedenfalls bei den Frauen ab 55 Jahren aufwärts."

Treu in schweren Zeiten

Was tun? Resignieren und den Laden dicht machen? Junge Kunden mit besonders hippen Teilen ködern? Erneut versuchen, mit den Boutiquen ins Geschäft zu kommen? In die Werbung investieren? Hilde Polz machte aus der Not eine Tugend und steckte ihr Geschäftsmodell neu ab. Jetzt adressiert sie ihre Mode ausdrücklich an jung gebliebene Damen, mithin an jene Klientel, die weiß, dass Qualität ihren Preis hat, die bereit ist, dafür zu zahlen und die ihr deshalb auch in ökonomisch umwölkten Zeiten treu bleibt.

Neue Kundinnen sucht die Unternehmerin nun ausschließlich in der Zielgruppe der Generation 50 plus - über Modeschauen in Damenstiften und Seniorenheimen, über Einladungen zu Kaffee und Tee, über gezielte Mailings, über kleine Events und zwanglose Veranstaltungen am Rande eines improvisierten Catwalks in ihrem Geschäft.

"Die etwas älteren Frauen schätzen Beratung und persönliche Betreuung ungemein", hat die Modefrau dabei gelernt. "Das ist ganz anders als bei den jungen: Da heißt es aussuchen, kaufen, wegwerfen, Neues kaufen. Alles muss ganz schnell gehen. Meine Kundinnen nehmen sich dagegen gerne Zeit für sich." Hilde Polz gerät förmlich ins Schwärmen. "Sie sind oft viel modemutiger als die jungen Frauen." Und sie machen begeistert beim Foto-Shooting für die neuen Kollektionen mit - als Models, versteht sich.

© SZ vom 27.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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