Praktikum:Einmal Ausland, bitte!

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Offen und flexibel müssen Studenten sein, die mit der Organisation Aiesec als Praktikant ins Ausland gehen. Denn das Ziel ihrer Reise können sie sich nicht selbst aussuchen.

Von Miriam Müller

Der weite Weg ins Ausland beginnt nebenan: Die Mitarbeiter der Studentenorganisation Aiesec (Association Internationale des étudiants sociaux et économiques), die weltweit Praktika vermittelt, informieren direkt auf dem heimischen Campus über ihre Programme. In Deutschland ist die Organisation in 50 Uni-Städten vertreten.

In vier Bereichen können Studenten über Aiesec erste Berufserfahrungen machen: Das "Management Traineeship" richtet sich vor allem an Wirtschaftswissenschaftler in den Bereichen Finanzen, Marketing, Projektmanagement, Rechnungswesen und Controlling. Bewerber brauchen ein Vordiplom im Haupt- oder Nebenfach Wirtschaftswissenschaften. Beim "Technical Traineeship" steht die Informationstechnologie im Vordergrund.

In 80 Ländern der Welt

Das Praktikumsprogramm fürs Ausland ist, so Nadine Wiegert vom Aiesec-Bundesvorstand, darauf ausgerichtet, dass die Teilnehmer ihren Horizont erweitern und ihre Persönlichkeit weiter entwickeln. Im "Development Traineeship" arbeiten die Praktikanten beispielsweise in einer gemeinnützigen Organisation und in der Entwicklungshilfe. Diese Praktika richten sich unter anderem an Studenten aus den Fachbereichen Sozialwissenschaften, Psychologie, Pädagogik und Geografie.

Seit 2003 gibt es auch "Sprachpraktika", bei denen die Studenten in Gemeinden und Schulen Englisch und Deutsch unterrichten.

Studenten aus Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen und Schweden hatten die Organisation Aiesec 1948 gegründet - vor allem aus idealistischen Gründe wie der Völkerverständigung. Heute gilt dies natürlich auch noch, doch viele Studenten gehen in erster Linie ins Ausland, um sich selbst sprachlich und beruflich weiterzubilden - oder um Anregungen für die bevorstehende Diplomarbeit zu bekommen.

Inzwischen engagieren sich mehr als 30.000 Studenten in 80 Ländern bei Aiesec und machen es damit zur weltweit größten studentischen Organisation. Aiesec vermittelt jährlich mehr als 3000 Praktikumsplätze, allein in Deutschland sind 370 Studenten an Unternehmen und Nicht- Regierungsorganisationen im Ausland vermittelt worden.

Erstmal ins Seminar

Gut ein halbes Jahr Vorlaufzeit müssen Interessenten einplanen. Die Bewerbungen werden online an Aiesec geschickt. Hat man die erste Runde geschafft, geht es erst richtig los: Sprachtests, Auswahlgespräche, Vorbereitungsseminare und Projekte warten auf die Studenten.

Denn Aiesec legt viel Wert auf die kulturelle Kompetenz und veranstaltet deshalb interkulturelle Trainings zu gesellschaftlich relevanten Themen wie Sozialverantwortung und nachhaltige Entwicklung. Schon in Deutschland setzen sich deshalb die Studenten in Workshops theoretisch mit den verschiedenen Kulturkreisen auseinander. Zum Großteil werden die Praktika in außereuropäische Länder und Entwicklungsländer vermittelt.

Nicht selten kommt es da vor, dass man auf die exotische und fremde Welt mit einem Kulturschock reagiert, meint Nadine Wiegert. "Meist ziehen sich die Studenten dann im Ausland zurück, weil sie sich überfordert und fremd fühlen", sagt die Aiesec-Organisatorin. Häufig gäbe es aber auch einen Kulturschock bei der Rückkehr nach Deutschland. Um den abzufangen, gibt es als Nachbereitung ein Re-Integration-Seminar. "Bei einem Zurück-Kulturschock hat man eben nicht mehr den Bonus neu zu sein. Man soll sich wie immer verhalten, obwohl man nun einen ganz anderen Horizont hat", sagt Thomas Göbl, 25, der für ein halbes Jahr in dem EU-Hauptquartier des US-Lebensmittelkonzerns Kraftfoods das Intranet aufgebaut hat. Wieder zurück in Deutschland habe er die erste Zeit oft die höfliche und zurückhaltende Art der Engländer vermisst.

Angebot aus der Datenbank

Ein abgeschlossenes Grundstudium ist für alle vier Programmbereiche von Aiesec Grundvoraussetzung. Zu Sprachkenntnissen - mindestens eine Weltsprache sollte fließend gesprochen werden können - kommen die Soft-skills hinzu: Offenheit, interkulturelle Kompetenzen und Flexibilität.

Je flexibler die Studenten sind, desto größer ist ihre Chance auf ein Praktikum. Denn Aiesec vermittelt keine Praktika in ein bestimmtes Land. Aus einer Online-Datenbank bringt die Organisation die Fähigkeiten der Studenten mit den suchenden Unternehmen zusammen. Die typischen Aiesec-Praktika befinden sich in Indien und Osteuropa. Thomas Göbl hatte Glück, ein Praktikum in seinem Wunschland England zu bekommen. "Das ist aber eher die Ausnahme. Man muss normalerweise offen für alle Länder sein", sagt der Student, der in Bonn Lebensmitteltechnologie studiert.

Julia Rasche, 24, aus Münster hat schon seit Tagen nichts mehr von ihrer persönlichen Ansprechpartnerin, die jeder Bewerber bei Aiesec bekommt, gehört. Die ist nämlich im Klausurenstress. So kann es eben auch laufen, wenn Studis für Studis organisieren und Praktika vermitteln. "Dafür, dass die Organisation so groß ist, ist sie aber sehr gut organisiert", sagt die Studentin, die im siebten Semester Politikwissenschaft, Französisch und Wirtschaftspolitik studiert.

Kein Urlaub

Dringende Fragen bleiben jedoch nie lange unbeantwortet, denn viele Studenten, die sich bei Aiesec engagieren, trifft man in den Unigängen, in der Bibliothek oder in der Mensa. Aus der Online-Datenbank hat Julia Rasche schon 30 Angebote aus Indien und Russland angeboten bekommen. Im Mai geht's los - höchstwahrscheinlich nach Indien. Dort möchte sie in einem Entwicklungshilfeprogramm, das sich für die Rechte von Frauen und Kindern einsetzt, mitarbeiten.

Das Praktikum sollte zwischen drei und sechs Monate dauern, sonst, so Nadine Wiegert, handle es sich nur um einen "verlängerten Urlaub im Ausland".

Die Praktika werden mit einem Gehalt in Höhe der Lebenshaltungskosten im Gastland vergütet - durchschnittlich sind das rund 500 bis 600 Euro. Bei Praktika in so teuren Städten wie London gibt's mehr Gehalt (1500 Euro). Außerdem können sich die Praktikanten um ein Auslandsstipendium beim Deutschen Akademischen Auslandsdienst bewerben.

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