Neue Berufe:Seifenblasen vom Fließband

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Der Storyliner weiß, wie es in der nächsten Folge weitergeht.

Christine Demmer

Dietmar Hammer hat schon viel erlebt. In Berlin studierte er Stadtplanung, in New York Theaterwissenschaften, er arbeitete als Schauspieler und Regisseur, veranstaltete Events und Konzerte, kurz: ein kreativer Freischaffender wie aus dem Drehbuch. Als er 42 Jahre alt wurde, hielt er Ausschau nach einem festen Job mit Krankenversicherung und geregeltem Einkommen. Der Zufall brachte ihn mit dem Produzenten der RTL-Weekly "Hinter Gittern - der Frauenknast" zusammen. Der suchte just einen Sekretär, man verstand sich, tolle Perspektiven taten sich auf, und wie es dann weiterging mit Dietmar Hammer, erfahren Sie nächste Woche.

Einschaltquoten mit Gefühl: Darstellerinnen der Serie Marienhof. (Foto: Foto: ARD)

So geht Soap. Tägliche oder wöchentliche TV-Serien leben von menschlichen Schicksalen, von tiefen Gefühlen und niedrigen Beweggründen, ihre Kosten sind kalkulierbar und sie bringen Einschaltquoten, vor denen jeder Dokumentarfilmer andächtig auf die Knie sinkt. "Hinter Gittern", die Gefängnisserie mit den raubeinigen Mädels gehört zu den reichweitenstärksten fiktionalen Programmen im deutschen Abendfernsehen. "Wir liegen durchschnittlich bei vier Millionen Zuschauern", sagt Hammer. Was gefällt so vielen Menschen daran? Hammer, der mittlerweile als Storyliner den Handlungsablauf bestimmt ("plottet"), sagt: "Wir machen das gut."

Gut gemachte Telenovelas und Seifenopern bringen den Sendern reichlich Werbegelder. Deshalb ist rund um die Soaps längst eine Industrie entstanden. Manche Produktionsfirmen haben sich auf Herz-Schmerz-Schmonzetten spezialisiert, andere auf Intrige, Lust und Leidenschaft. Grundy UFA macht alles, was der Zuschauer begehrt und die Sender haben wollen.

Eine erfolgreiche Soap besteht aus mehreren - meist drei - spannungsreich miteinander verwobenen Handlungssträngen, deren Protagonisten sich geplant oder zufällig an einem belebten Ort treffen und dem Zuschauer so das befriedigende Gefühl geben, er wisse mehr als der einzelne Darsteller - der war in der letzten Szene ja nicht dabei. "Jeweils zwei Storyliner entwerfen den Bogen der Handlungsstränge des Wochenplots", sagt Hammer, "die einzelnen Plots werden dann miteinander verkreuzt." Die Cross-over-Szenen können in einem Lokal spielen, beim Arzt oder am Arbeitsplatz. Wenn der Zopf einer Folge fertig geflochten ist, werden die Werbepausen bestimmt: Die Szene davor muss eine offene Frage ("cliff") enthalten, damit der Zuschauer nicht abschaltet.

Aristoteles schreibt mit

Die Produktion einer TV-Serie erinnert nicht nur inhaltlich an perfekt organisierte Fließbandfertigung. Was sich die Storyliner ausdenken, wird von einem Storyeditor und einem Chefautor geprüft und dann an freiberufliche Autoren weitergereicht. Die schreiben zwei Fassungen, aus denen der Scripteditor eine drehfertige Version macht. Viele ehemalige Storyliner sind heute Dialogbuchautoren. Für eine Serie sind sechs bis sieben Autoren und im Schnitt ein gutes Dutzend Storyliner tätig, denn das Team arbeitet parallel an mehreren Folgen. Etwa drei Monate nach Beginn der Arbeit an einer Folge geht diese auf Sendung. Anders als die Zuschauer wissen die kreativen Serientäter natürlich schon lange vorher, wie die Geschichte weitergeht.

Storyliner sind die Märchenerzähler unserer Tage. Mancher denkt sich: "Klasse. Das könnte ich auch." Aber so einfach, wie es scheint, ist die Arbeit nicht. "Nach Aristoteles' Poetik muss jede Geschichte ein Ende haben, aber eine TV-Serie ist ja gerade open-end angelegt, das macht es schwierig", sagt Hammer. Die Kunst besteht also darin, jeder Folge einen spannenden und logischen Abschluss zu verpassen und gleichzeitig den Zuschauer zu locken, morgen oder nächste Woche wieder einzuschalten.

Gute Geschichtenerzähler hören auf die Marktforschung und wissen, was das Volk will. "Die Charaktere sollen nicht verändert werden", verrät Hammer, "die Figuren dürfen nichts dazulernen." Das Publikum will seine Helden so behalten, wie es sie kennen gelernt hat: gütig oder hartherzig, unkompliziert oder eiskalt. "Überhaupt sind Gefühle das Wichtigste in einer Serie", sagt der 49-Jährige. "Wir wollen eine Welt erschaffen, in der die Zuschauer ihre Probleme wiederfinden und so ein Ventil für Emotionen öffnen." So kann man TV-Serien natürlich auch sehen: als Hygieneartikel für die Seele.

Die Produktionsfirmen bekommen haufenweise Bewerbungen von Menschen, die sich für begnadete Soap-Autoren halten. "Professionelle Schreiber sind am besten geeignet", sagt Dietmar Hammer, der früher selbst als Serienautor gearbeitet hat. "Die ideale Kombination ist Journalistenschule und Lebenserfahrung." Unlängst hat Grundy UFA eine eigene Schule für Storyliner gegründet, mit theoretischem Unterricht und Praktika in der Produktion. "So lernen wir on the job kennen, wer später für uns arbeiten will", sagt der Storyliner.

Die Auszubildenden sind meist junge Leute, doch in den Produktionen arbeiten Menschen zwischen 18 und 60 Jahren. Jeder Schreiber sollte in der Lebenswelt der Hauptfiguren zu Hause sein. "Ein Mittzwanziger kann sich eher in die Teeniewelt hineinversetzen als in die Welt der Mittdreißiger. Und wer einer 45-Jährigen Worte in den Mund legen will, die das Publikum für authentisch hält, muss über Lebenserfahrung verfügen - egal wo er die her hat." Ob zum Team von "Hinter Gittern" auch jemand gehört, der mal gesessen hat, erfahren Sie nächste Woche.

© SZ vom 27.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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