Neue Berufe:Nach der Kreidezeit

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Tele-Coaches kommen ohne Tafel aus. Sie schulen am Computer.

Christine Demmer

Peter Behrends ist Lehrer, doch zwischen ihm und dem Pauker der Vergangenheit liegen elektronische Welten. Der 47-Jährige unterrichtet Steuerungstechnik und Leistungselektronik am Bundestechnologiezentrum für Elektro- und Informationstechnik in Oldenburg. Seine Schüler möchten Elektromaschinenbauermeister des Handwerks werden. Und weil sechs von ihnen dafür ihren Job nicht aufgeben wollen, findet für sie das Studium nach Feierabend statt.

Tele-Coach Peter Behrends setzt sich vor den Bildschirm, um seine Klasse zu treffen. (Foto: Foto: oh)

Der Weg ins Klassenzimmer ist einfach: Schüler und Lehrer setzen sich zu Hause an ihren Computer und loggen sich mit User-ID und Passwort ein. Dann macht der Lautsprecher am Computer von Lehrer Behrends "pling", sechs Mal hintereinander. Mit jedem "pling" erscheint ein neues Foto von einem seiner Meisterschüler auf der linken Seite des Bildschirms, und er weiß: Jetzt sind alle online, die Lektion kann losgehen.

Anders als in realen Klassenzimmern und Hörsälen ist Dozent Behrends immer als erster da. Er muss die Session auf der Lernplattform des Servers freischalten. Statt Tafelbildern präsentiert er Powerpoint-Charts, statt aufzeigender Finger machen schnell getippte Sätze in einem Chat-Fenster am unteren Bildschirmrand auf Klärungsbedarf der Schüler aufmerksam. Umgekehrt kann auch der Tele-Coach auf diese Weise Fragen und Übungsaufgaben an alle oder einen bestimmten Schüler stellen und nach einer vorgegebenen Bedenkzeit Lösungsvorschläge erwarten. "Das funktioniert", sagt er, "und zwar deshalb, weil es im ureigenen Interesse unserer Studenten liegt, etwas zu lernen. E-Learner sind deutlich stärker motiviert als Präsenz-Lerner - und extrem diszipliniert."

Wie aber findet der Tele-Coach heraus, ob seine Schüler ihm gedanklich folgen? Während des Unterrichts blendet sich immer nur das Bild des Schülers ein, mit dem Behrends gerade einen Dialog führt. Theoretisch könnten die Mitschüler nun auf geistigen Durchzug schalten oder sich anderweitig beschäftigen. Neben dem Fernunterricht läuft schon mal ein Fußballspiel im Fernsehen oder ein menschliches Bedürfnis muss spontan befriedigt werden - wie kontrolliert der Distanz-Lehrer, ob seine Schüler noch alle bei ihm sind?

Peter Behrends lacht, diese Frage hört er oft. "Sicher könnte ich ,Verstanden?' ins Chat-Fenster tippen und die Frage nur an einzelne Teilnehmer direkt senden, aber das ist doch albern. Wer die Meisterprüfung machen will, ist erwachsen genug und weiß, warum er lernt. Wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob jeder den Inhalt verstanden hat, adressiere ich lieber eine Aufgabe an die ganze Klasse und erwarte Lösungsvorschläge. Wenn alle antworten, nur einer nicht, dann spreche ich ihn diskret an und frage nach, wo es hakt."

Der Tele-Coach weiß, dass der virtuelle Unterricht vom Dozenten eine ganz andere Form der Vorbereitung und Konzentration erfordert als Präsenz-Unterricht. Bevor der gelernte Elektroingenieur im Jahr 2000 in das E-Learning-Zeitalter katapultiert wurde, stand er ausschließlich in den Klassenräumen des Bundestechnologiezentrums und nutzte Tafel und Overhead-Projektoren. Er ist froh, dass er jetzt auch zu Hause arbeiten kann. "Für mich ist die Kreidezeit weitestgehend vorbei", sagt er.

Auf viele Lehrer und Dozenten kommt der Online-Unterricht erst noch zu. Ob bei der beruflichen Weiterbildung in Unternehmen und in privaten Trainingsinstituten, in Meisterkursen an Handwerks- und Handelskammern, an Fachhochschulen und Universitäten - überall ist E-Learning auf dem Vormarsch, inzwischen meist unter dem Namen "Blended Learning". Zwingende Voraussetzungen sind didaktisches Geschick sowie ein Händchen für Computer und Internet-Anwendungen. Ansonsten eigentlich nichts: Tele-Coaches können ein Lehramtsstudium absolviert haben, müssen aber nicht, wie das Beispiel Behrends zeigt. "Das ist ein klassischer Quereinsteiger-Job", sagt er, "den man auch gut im Nebenberuf oder als Selbstständiger ausüben kann."

Auch um den eigenen Bedarf an Distanz-Lehrern zu decken, bietet das Berufstechnologiezentrum in Oldenburg eine Weiterbildung zum Tele-Coach an. Mit auf dem Stundenplan: die Erfolgskontrolle beim E-Learning. "Für den Tele-Coach ist das die größte Herausforderung", sagt Behrends. "Man bekommt selten spontane Erfolgsrückmeldungen. Der Glanz in den Augen der Schüler fehlt, der einem signalisiert: Jetzt ist der Groschen gefallen. Das ist ja auch ein Motivationsschub für den Lehrer. Als Tele-Coach muss ich den woanders hernehmen."

© SZ vom 8.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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