Neue Berufe:Immer locker in der Leitung

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Der Call-Center-Agent berät und befragt am Telefon - und bleibt immer höflich.

Christine Demmer

Über Langeweile im Job kann Ralf Stüdemann nicht klagen. "Die unterschiedlichen Aufträge im Call-Center bringen reichlich Abwechslung", sagt der 27-jährige Rostocker. Aber auch Stress. Denn es ist nicht leicht, immer freundlich zu bleiben, auch wenn der Mensch am anderen Ende der Leitung pampig reagiert. Nach sechs Jahren im Call-Center hat Stüdemann gelernt, damit zu leben. "Stress gibt es woanders auch. Dafür hat man abends einen leeren Schreibtisch und den Kopf frei für andere Sachen."

Hat den Anfangsfrust längst hinter sich gelassen: Ralf Stüdemann. (Foto: Foto: privat)

Die Call-Center-Branche scheint auf Wachstum abonniert zu sein - sogar im Hochlohnland Deutschland. Jedes Jahr steigt die Zahl der Arbeitsplätze um zehn Prozent. Nach Angaben von Manfred Stockmann, Präsident des Call-Center-Forums Deutschland, sind in den letzten 30 Monaten rund 35.000 neue Jobs entstanden, für die 65.000 neue Mitarbeiter eingestellt worden sind. In den kommenden drei bis fünf Jahren sollen weitere 100.000 Arbeitsplätze entstehen.

Meist werden die Jobs geteilt angeboten, denn im Call-Center arbeitet kaum jemand Vollzeit. Nach rund sechs Stunden Telefonverkauf, Meinungsumfrage, Kundendienst oder Fernsprechauskunft ist die Luft bei den meisten Mitarbeitern 'raus. Auch Ralf Stüdemann sitzt nur 30 Stunden pro Woche am Telefon. Immerhin: Ein Dreiviertel-Job ist besser als gar kein Job, gerade in Mecklenburg-Vorpommern. Obwohl die Lohnkosten im strukturschwachen Norden unter dem Bundesdurchschnitt liegen, obwohl in den letzten Jahren gewaltig in Telekom-Infrastruktur investiert wurde, obwohl die Nordlichter nicht schlechter ausgebildet sind als andere Bundesbürger und obwohl sie das sauberste Hochdeutsch sprechen. Just wegen dieser "obwohls" schießen Call-Center in Mecklenburg-Vorpommern wie Pilze aus dem Boden.

Den Anfang machte Telegate, einer der Großen der Branche und Marktführer in Mecklenburg-Vorpommern. Hier hatte sich Ralf Stüdemann unmittelbar nach seiner Ausbildung zum Bürokaufmann als Operator beworben. Während viele Call-Center-Betreiber auch Studienabbrecher oder Kandidaten ohne Berufserfahrung akzeptieren, verlangt Telegate eine Ausbildung, idealerweise in einem kaufmännischen oder Dienstleistungsberuf. Ingo Gugisch, Personalleiter Call-Center bei Telegate, legt außerdem Wert auf gute Deutschkenntnisse, eine dialektfreie Sprache, technische Begabung und eine hohe Allgemeinbildung. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil werde längst nicht jeder Bewerber genommen. "Wir suchen Persönlichkeiten mit Erfahrungshintergründen", sagt Gugisch und verweist auf die eintägigen Assessment Center, in denen alle Kandidaten auf Freundlichkeit, Auffassungsgabe und Belastbarkeit geprüft werden.

Bald bekommt die Branche einen eigenen Ausbildungsberuf. Für den Personalchef ist es wichtig, dass im Herbst endlich das Berufsbild einer Servicekraft für Dialogmarketing in Deutschland installieren, um damit das Image der Call-Center-Agenten aufzupolieren. "Weil kaum jemand weiß, was die Mitarbeiter leisten, ist es leider immer noch negativ besetzt", sagt er. Dabei suche sein Unternehmen händeringend nach guten Leuten, Jahr für Jahr würde die Personalliste länger, und man investiere viel in die Schulung begabter Nachwuchs-Führungskräfte. Aber es gäbe eben auch in diesem Wirtschaftszweig schwarze Schafe, die den Ruf aller Call-Center gefährdeten. Dabei bildeten doch gerade Call-Center eine Zukunftsbranche, die optimal auf die Neigungen und Arbeitszeitwünsche der Mitarbeiter eingegehen könne. Auch die Bezahlung lasse nicht zu wünschen übrig: "Wir wollen schließlich, dass die Mitarbeiter lange bei uns bleiben."

Ralf Stüdemann ist seit 1999 dabei, noch immer locker am Telefon und stets bereit, etwas Neues zu lernen. Trainiert wurde er unter anderem darin, Telefonkontakte herzustellen und zu halten, zuvorkommend zu sein und dennoch den Auftrag nicht aus den Augen zu verlieren, aus Datenbanken in Sekundenschnelle Informationen zu fischen und Dauerstress professionell abzufedern.

"Alle neuen Kollegen durchlaufen eine Gewöhnungsphase mit schlechter Laune", sagt er, "aber man lernt, das schnell hinter sich zu bringen." Ob ein Operator später im Inbound- oder im Outbound-Bereich tätig ist, ob er also Anrufe entgegen nimmt oder selbst die vom Kunden vorgegebenen Teilnehmer anruft, entscheiden Talent und Neigung. "Den meisten Kollegen gefällt Inbound besser", sagt Stüdemann. Er macht beides, verkauft auch am Telefon, und er macht es offenbar gut. Seit ein paar Monaten steckt er in einem Trainee-Programm und dürfte bald zum Teamleiter aufsteigen. Dann wird er nicht mehr so viel selbst telefonieren, sondern neue Kollegen einweisen und deren Anfangsfrust abfangen.

© SZ vom 25.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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