Neue Berufe:Der Profiler und sein Püppi

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Fallanalytiker ergründen Verhaltensmuster bei Verbrechen.

Christine Demmer

"Der mutmaßliche Täter ist mittelgroß, weiß und zwischen 30 und 33 Jahre alt", sagt der Profiler. Gebannt folgen Staatsanwalt und Detectives seinen Worten. "Er ist regelmäßiger Kirchgänger und wohnt in einem Loft, entweder in oder angrenzend an Manhattan. Er lebt in einer festen Beziehung und füttert jeden Tag seine Katze." Von Szenen wie diesen lebt der moderne amerikanische Krimi - und befördert damit den Mythos des Profilers, der anhand spärlicher Indizien ein so exaktes Täterprofil liefert, dass der Mörder schon wenige Stunden später hinter Schloss und Riegel sitzt.

Der Profiler, neuer Held der CrimeTime: Typ einsamer Wolf, körperlich nicht immer in Bestform, aber geistig ein Überflieger, im Hauptberuf Jura- oder Psychologie-Professor mit Dozentur an der FBI-Academy in Quantico. Was den Beruf besonders attraktiv macht: Profiler müssen sich nicht aufdrängen. Wenn die Ermittlungen in einer Sackgasse stecken, werden sie von den zuständigen Kriminalbehörden um ihre Mitarbeit gebeten. Das hat doch was, oder?

Dieser Mythos hat jedenfalls zur Folge, dass sich jährlich Hunderte von Hochschulabsolventen bei den Landeskriminalbehörden und beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden um eine Ausbildung zum Fallanalytiker bewerben - so heißt der Profiler auf deutsch. Aber: "Zwischen den Wünschen und Hoffnungen dieser jungen Leute, die oft von realitätsfernen Darstellungen der Medien gespeist werden, und den tatsächlichen Rahmenbedingungen im polizeilichen Alltag liegen oftmals Welten", schreiben Jens Vick und Harald Dern in ihrem Aufsatz "Wie kann ich Profiler werden?", den das BKA zur Ernüchterung auf seine Webseite gestellt hat.

Harald Dern und Jens Vick sind Fallanalytiker. Um es gleich vorweg zu sagen: Der Beruf hat zwar Zukunft, aber kaum für mehr als ein paar Dutzend Menschen. Zurzeit stehen bei den deutschen Polizeibehörden etwa 70 Fallanalytiker in Lohn und Brot. "Viel größer dürfte der Bedarf in den nächsten Jahren auch nicht werden", sagt Dern. Die Behörden müssen zwar pensionierte Kollegen ersetzen, doch die Schlange der Anstehenden ist lang: 40 Mitarbeiter der Polizei sind bereits als "polizeiliche Fallanalytiker" qualifiziert und zertifiziert. In der Ausbildung befinden sich gegenwärtig noch etwa 30 Kollegen, teils Kriminalbeamte, teils wissenschaftliche Mitarbeiter des BKA und der Landespolizeibehörden.

Harry, hol' schon mal Pizza!

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter hat auch Diplom-Psychologe Vick 1993 beim BKA begonnen. Heute leitet er zusammen mit Hauptkommissar Harald Dern, einem Diplom-Verwaltungswirt und Polizeibeamten, den Bereich "operative Fallanalyse". Das macht deutlich: Der Beruf erfordert die mühevolle Ochsentour im Polizeidienst der Länder oder eben im BKA. Neben der Arbeit an Forschungsprojekten und der Ausbildung neuer Kollegen treten die Spezialisten in besonderen Fällen in Aktion: bei Staatsschutzdelikten direkt im Auftrag der Generalbundesanwältin oder bei Schwerstkriminalität auf Anfrage durch die zuständigen Behörden am Tatort. "Die Länder sind in der Regel sehr gut aufgestellt und bearbeiten viele Fälle mit eigenen Experten", sagt Vick.

Zwischen 50 und 80 Fallanalysen werden jedes Jahr in ganz Deutschland erstellt. "Wir bilden dann ein Analyseteam mit den zuständigen Kollegen aus den jeweiligen Ländern, mit Sachbearbeitern aus den Dienststellen und Psychologen", sagt Vick. "Das sind gemischte Teams, Frauen und Männer, die erst einmal für eine Woche in Klausur gehen. Hier gehen wir dann den Ermittlungsstand von vorne bis hinten durch"

Der Psychologe beschreibt mit dem Arm einen Halbkreis: Der etwa 150 Quadratmeter große Raum mit Magnetleisten an den Wänden, Stellwänden, Leinwand und Overhead-Projektor könnte gut als Konferenzraum einer mittelständischen Spedition durchgehen. Wäre da nicht die lebensgroße Puppe in einer Ecke. "Das ist Püppi", sagt Dern, "diese Puppe hilft uns, ein genaues Bild vom Tathergang zu bekommen, indem wir die Situation mit ihr nachstellen." Überhaupt geht ein Großteil der Klausurwoche für dieses Nachstellen drauf. "Das ist für uns sehr wichtig", sagt Vick, "daran erarbeiten wir den Tatablauf, was technisch und zeitlich überhaupt möglich gewesen sein könnte und was nicht."

Abends hat der Fallanalytiker meist Ruhe. Von wegen übernächtigte Assistenten, dichte Qualmwolken und stets den auf Ergebnisse drängenden Staatsanwalt im Genick. "Klar, manchmal wird es abends spät, und einer holt 'ne Pizza", sagt Vick. "Aber alles andere gibt's nur im Kino." Am Ende der Klausurwoche, so das Ziel, steht ein Täterprofil. Dann geht die Arbeit wieder in die Hände der ermittelnden Behörden über und der Fallanalytiker zurück in sein Büro. Bis zum nächsten Mal, wenn es heißt: "Der mutmaßliche Täter..."

© SZ vom 24.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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