Nachtarbeit:Schuften im Dunkeln

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Wenn die meisten Menschen schlafen, arbeiten sie: Zeitungsträger, Putzfrauen, Straßenkehrer. Arbeiten bei Nacht ist nicht nur schlecht bezahlt, sondern auch gesundheitsgefährdend.

Laura Weißmüller

Jetzt kann ihn keiner mehr bremsen: Helmut Thanner stößt sich kräftig mit dem linken Fuß ab, schwingt sich auf sein orangenes Fahrrad und fährt in die schwarze Nacht. Vor ihm liegen fünf Kilometer, hinter ihm ein Anhänger randvoll mit Zeitungen.

Wenn es Nacht ist in München trägt Helmut Thanner seine Zeitungen aus. (Foto: Foto: dpa)

Der Zeitungsausträger Thanner gehört zu den Menschen, die arbeiten, wenn andere schlafen. Obwohl die Nachtarbeiter meist unauffällig ihre Arbeit verrichten, ist ihre Gruppe größer, als man denkt: Straßenfeger, Putzfrauen, Briefsortierer - alle, die zwischen 23 und 6 Uhr ihrem Job nachgehen, verrichten laut Gesetz Nachtarbeit. Da die verschobenen Arbeitszeiten im Verdacht stehen, gesundheitsschädlich zu sein, hat jeder Nachtarbeiter das Anrecht auf regelmäßige medizinische Untersuchungen.

Von Müdigkeit ist bei Thanner und seinen Kollegen nichts zu spüren: Obwohl es drei Uhr früh ist, sind alle hellwach. Während sie gut eine halbe Stunde auf ihre letzte Lieferung warten müssen, gehen sie schon mal die ersten Schlagzeilen der bereits gelieferten Zeitungen durch.

Begegnung mit Nachtschwärmern

Als die letzen Blätter eintreffen, geht es ganz schnell. Zumindest ein paar Minuten wollen alle von der verlorenen Zeit wieder reinholen. Thanner, in Jogginghose und Turnschuhen, tritt fest in die Pedale.

Wenn der 45-Jährige seine Tour beginnt, liegt die Stadt noch im Tiefschlaf. Um die Uhrzeit kreuzen höchstens ein paar Taxifahrer durch die Dunkelheit, die letzten Nachtschwärmer verlassen die Clubs. Wenn sie dem Zeitungsträger auf der Straße begegnen, trifft sich das Gestern mit dem Morgen.

Seit 21 Jahren steht Thanner um halb drei Uhr morgens auf, um in München Zeitungen auszufahren. Seine Stammroute führt ihn seit 18 Jahren einmal quer durchs Zentrum. Jeden Briefkasten, jede Tür und jeden Aufzug, den er dazwischen ansteuert, kennt der Münchner genau. Zwar hat er immer sein dickes Büchlein mit allen Informationen über die Abonnenten dabei - zur Sicherheit -, aber während der Tour benutzt er es kein einziges Mal.

Selbst bestimmtes Arbeitstempo

Genauso wie ihm jeder einzelne Briefkasten vertraut ist, kennt Thanner auch die wenigen Menschen, denen er auf seiner Route begegnet: Zwei Pförtner, ein paar Straßenfeger und immer montags die Händler auf dem Viktualienmarkt, wenn sie ihre Zelte für die Woche aufbauen.

"Tagsüber ist mir die Stadt zu voll", gesteht Thanner in gemütlichem Münchnerisch, während er auf dem Fußgängerweg entgegen der Fahrtrichtung zum nächsten Briefkasten radelt. Er genießt die Freiheiten, die ihm die Nacht ermöglicht: Weder Stau noch Spaziergänger blockieren seine Route, die Polizei akzeptiert kleine Verkehrssünden und der einzige, der sein Arbeitstempo bestimmt, ist er selbst.

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Nachts radeln, tagsüber Häuser hüten

Das Aufstehen falle ihm nicht schwer. "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier", sagt er. Nach der Zeitungstour geht es für ihn schnurstracks zu seinem nächsten Job: Thanner betreibt einen kleinen Hausmeisterservice. "Wer in München wohnen will, der braucht einen zweiten Job." Zumindest, wenn keiner von beiden gut bezahlt ist, weder der nachts-, noch der tagsüber.

Viele Studien deuten daraufhin, dass Nacht- wie auch Schichtarbeit negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben: Schlafstörungen und sogar ein erhöhtes Krebsrisiko kann die nächtliche Arbeitszeit auslösen. Nur: Die Risiken wirken sich nicht auf das Lohnniveau der Nachtarbeiter aus.

Nachts radeln, tagsüber reparieren

Die Jobs sind schlecht bezahlt oder, wie bei den Zeitungsausträgern, 400-Euro-Jobs. Da der Lohn nicht ausreicht, um in München eine Familie zu ernähren, radelt Thanner nachts und arbeitet tagsüber als Hausmeister.

Als das Ende der Tour naht, beginnt auch die Stadt aufzuwachen: In einigen Hausfluren riecht es bereits nach Kaffee, immer mehr Menschen verlassen ihre Wohnungen und hetzen zur Arbeit. Die Finger von Helmut Thanner sind von der Druckerschwärze jetzt ganz dunkel. Er wird sich die Hände waschen müssen für seinen nächsten Job, der gleich mit dem Tag beginnt.

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