Nach Urteil im Fall Barbara E.:Kündigung auf Verdacht

Lesezeit: 3 min

1,30 Euro eingesteckt? Drei Kiwis unterschlagen? Ein Stück Bienenstich gegessen? Gekündigt! Die Politik sollte dringend das Arbeitsrecht ändern.

Gregor Thüsing

Die Empörung war groß: Nach mehr als 30 Jahren wurde eine Kassiererin wegen Unterschlagung von 1,30 Euro entlassen und die Arbeitsgerichte bestätigten dies. Horst Seehofer wetterte jovial-bajuwarisch: Er verstehe es nicht, wenn einer Kassiererin wegen 1,30 Euro gekündigt werde und Manager, die Milliarden verscherbelt hätten, noch im Amt seien. Wolfgang Thierse war das zu zahm: "Das ist ein barbarisches Urteil von asozialer Qualität." Empörung löst Gegenempörung aus. Der Ruf nach Entschuldigung oder gar Rücktritt ertönte ebenso wie die Kritik an dem in seinen Entscheidungsgründen noch unveröffentlichten Urteil.

Entlassen wegen 1,30 Euro: Arbeitsrechtler schütteln den Kopf. (Foto: Foto: ap)

Der Arbeitsrechtler schüttelt den Kopf. Aus guten Gründen hätten sicherlich viele Arbeitgeber auf eine solche Kündigung verzichtet: Aber ist sie deswegen rechtswidrig oder auch nur ethisch angreifbar? Die Entscheidung des Gerichts stand zumindest in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Dieses hatte bereits in der Vergangenheit die fristlose Kündigung einer Mitarbeiterin abgesegnet, die drei Kiwi-Früchte unterschlagen hatte, ebenso wie jene einer Bäckerei-Verkäuferin, die sich ein Stück Bienenstich genehmigte, oder jene einer Arbeitnehmerin eines Lebensmittelgeschäfts, die 62 Mini-Flaschen Alkoholika mit nach Hause nahm, nachdem deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen war.

Schnaps für karitative Zwecke

Der Arbeitgeber wurde mit dem Argument gehört, den langsam schlecht werdenden Schnaps hätte man noch - seltsame Vorstellung - karitativen Organisationen zur Verfügung stellen wollen. Wer sich jetzt aufregt, der muss sich fragen lassen, warum all diese Fälle ihm keine Aufregung wert waren.

Und er muss sich auch die Frage stellen, wie diese Rechtsprechung denn anders aussehen sollte. Wie will man differenzieren? Wie sind die Tarife eines risikolosen Eigentumsdelikts nach 10, 15 oder gar 30-jähriger Betriebszugehörigkeit? Und soll dies dann auch für andere Eigentumsdelikte gelten wie vorsätzliche Sachbeschädigung? Und vielleicht auch für Ehrdelikte - etwa: nach so vielen Jahren kann auch schon mal ein böses Wort fallen?

Volkes Seele ist anderer Meinung

Das alles war nie die Linie der Rechtsprechung und sollte es auch nicht werden. Daran kann auch der Vergleich mit den Managern nichts ändern: Es kommt nicht darauf an, ob hier ein Schaden verursacht wurde und wie hoch er war, sondern entscheidend ist, welches Verhalten dazu geführt hat. Auch der Mitarbeiter des Atomkraftwerks, dem durch leichte Unachtsamkeit ein schwerer und folgenreicher Fehler passiert, kann nicht gekündigt werden - und das ist gut so, auch wenn Volkes Seele hier vielleicht anderer Meinung ist.

Dass bei unserer Kassiererin nur der Verdacht bestand, die Tat aber nicht strafrechtlich erwiesen wurde, kann eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen. Schon das Reichsarbeitsgericht kannte die Verdachtskündigung und auch ausländische Rechtsordnungen akzeptieren sie. Denn der Verdacht kann eine weitere Zusammenarbeit für den Arbeitgeber unzumutbar machen - nicht, weil man dem Arbeitnehmer etwas vorwerfen würde, sondern weil der Arbeitgeber nicht mehr vertrauensvoll mit dem Arbeitnehmer zusammenarbeiten kann. Die Verdachtskündigung ist eine personenbedingte, keine verhaltensbedingte Kündigung. Es geht hier dann eben nicht mehr um Vorwerfbarkeit.

Auf der nächsten Seite: Warum die jetzige Diskussion doch ihr Gutes hat - und auch die frivolste Richterschelte Ausgangspunkt für die Suche nach besserem Recht sein kann.

Bagatellstrafen müssen erwiesen sein

Statt als Volkstribun Empörung zu zelebrieren, sollte man die Hand da anlegen, wo es sinnvoll ist. Die jetzige Rechtsprechung ist unbefriedigend, weil sie kategorisch denkt. Nicht jeder Diebstahl(sverdacht) wiegt gleich schwer. Für die Verdachtskündigung kann das zweierlei heißen: Zum einen kann die Politik, wenn sie denn will, die Maßstäbe präzisieren. Wollen wir einen höheren Grad der Wahrscheinlichkeit verlangen, zumindest dann, wenn die Verdachtstat nicht besonders schwerwiegend war?

Bei Bagatellstraftaten wäre dann die Kündigung nur wegen (nahezu) erwiesener Straftat möglich, bei schwerer wiegenden Delikten reichte aber auch eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit. Und zum anderen: Sollte es nicht - wie im britischen Recht - zumindest erforderlich sein, dass der Arbeitgeber subjektiv von der Schuld des Arbeitnehmers überzeugt ist?

Heillose, unberechenbare, ungerechte Kasuistik

Und wie halten wir es mit der Verhältnismäßigkeit bei der erwiesenen Tat? Änderungen des Status quo sind hier noch schwieriger. Denkbar wäre es, keine Freibeträge des Fehlverhaltens zu formulieren, aber doch dem Arbeitgeber aufzugeben, seine Kündigung wegen Diebstahls an den Maßstäben zu messen, die er für andere verhaltensbedingte Kündigungen anlegt.

Mit anderen Worten: Wer bei anderen Vertragspflichtverletzungen großzügig ist und das Vertrauen nicht verliert, der muss es auch bei kleineren Eigentumsdelikten sein. Ein Sonderrecht "Diebstahlskündigung" wäre systemwidrig. Auch könnte man danach differenzieren, ob hier tatsächlich eine Vertrauensstellung besteht oder nicht. All diese Vorschläge wurden von Instanzgerichten schon gemacht. Wer hier aber nicht in heilloser, unberechenbarer und damit eben auch ungerechter Kasuistik untergehen will, muss überlegen, ob der bisherige Weg nicht der bessere ist.

Die jetzige Diskussion hat also doch ihr Gutes: Auch die frivolste Richterschelte kann Ausgangspunkt für die Suche nach besserem Recht sein. Wenn wir also tatsächlich Regelungen finden, die konsensfähiger für Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sind, dann sollte die Politik nicht zögern, diese in Gesetze zu formen. Das aber verlangt Gestaltungswillen und Gestaltungskraft, Sachpolitik nicht Populismus. Warten wir also ab, ob den Worten Taten folgen.

Professor Gregor Thüsing leitet das Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherung der Universität Bonn.

© SZ vom 3.3.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: