Mobbing:Attacke am Arbeitsplatz

Lesezeit: 3 min

Eine unklare Organisation und Umstrukturierungen im Betrieb begünstigen Mobbing.

Rainer Erd

Immer wenn Karla Birkel (alle Namen geändert) die Kantine betritt und nach einem Tisch mit netten Kollegen Ausschau hält, wenden sich die Blicke ab. Die Gespräche verstummen, und einer nach dem anderen verlässt die Mittagsrunde. Karla bleibt allein zurück. Das geht nun schon seit Wochen so.

Schikanen und Diskriminierungen: In den meisten Fällen mobbt der Chef. (Foto: Foto: photodisc)

Klaus Welser beobachtet seit geraumer Zeit mit Sorge, dass sein Chef ihm bei der Arbeitsverteilung wie durch ein Wunder immer wieder Tätigkeiten aufbrummt, die kein anderer erledigen will. Mehrere Beschwerden haben daran nichts geändert, sie haben die Situation eher noch verschlechtert. Klaus erwägt, den Betriebsrat einzuschalten. Das veranlasst den Vorgesetzten, ihn noch stärker mit unliebsamen Arbeiten zu betrauen. Mit Hinweis auf die arbeitsvertragliche Leistungspflicht weist der Chef jeden Einwand zurück.

Der Vorstandsvorsitzende Eberhard Schneidewind liegt in heftigem Streit mit einem Mitglied des Vorstands. Zufällig weiß er über dessen Eheprobleme Bescheid. Dieses Wissen lässt er immer dann ganz beiläufig einfließen, wenn der Kollege eine vom großen Vorsitzenden abweichende Meinung vorträgt - um dann mit Rücksicht auf sein Privatleben einzulenken.

Das nennt man Mobbing. Gemeinsam ist allen Fällen, dass durch seelischen Druck die Freude an der Arbeit zerstört wird. Der Grund dafür: Man will einen ungeliebten Kollegen loswerden oder jemanden in seinen Entscheidungen beeinflussen. Oder aber: Man will einen Kollegen beunruhigen oder diskriminieren - vielleicht aus Gedankenlosigkeit, vielleicht aus bösem Willen.

Mobbing-Opfer haben meist einen ungesicherten Status im Betrieb. Das zeigt: Die Ursachen sind weniger im Verhalten des Gemobbten zu suchen - obwohl das auch eine Rolle spielen kann -, als in objektiven Bedingungen. Das können unklare Organisationsstrukturen sein, die zu undurchsichtigen Verantwortlichkeiten führen. In Betracht kommt auch ein schlechtes Betriebsklima, das es nicht zulässt, Konflikte rational auszutragen.

Mobbing kann begünstigt werden durch Stress am Arbeitsplatz - wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten, wegen der Einführung neuer Technologien oder betrieblicher Umorganisation. Auch die Beschäftigung einer Person an einem ungeeigneten Arbeitsplatz, mit der Folge einer Über- oder einer Unterforderung, kann Ursache von Mobbing sein. Und auch das Versagen von Führungskräften spielt unter Umständen eine Rolle.

Fluktuation und Fehlzeiten

Doch damit objektive betriebliche Probleme zu Mobbingverhalten führen, müssen sich die beteiligten Personen auch entsprechend verhalten. Die schlechteste Arbeitsorganisation führt nicht zu Gemeinheiten, wenn Beschäftigte und Betriebsleitung es verstehen, Konflikte auszugleichen. Das aber ist leider eher selten der Fall. So kann durch Organisationsprobleme eines Betriebs das Verhalten der Beschäftigten untereinander oder das zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten nachhaltig so verändert werden, dass Mobbing eine logische Folge ist.

Die Mobber tragen individuell mit ihrem Neid, ihrem Machtstreben, mit Rachegelüsten, Unsicherheit und Wut zur Eskalation bei. Das gemobbte Opfer ist dann willkommener Anlass, die eigenen negativen Gefühle auszuagieren. Da Mobbing-Opfer häufig ohnehin einen schweren Stand im Betrieb haben, kann der Übeltäter davon ausgehen, dass sein Verhalten - zumindest eine Zeit lang - ohne Folgen für ihn bleiben wird. Das Mobbing-Opfer dagegen hat mit schlimmen Konsequenzen zu kämpfen: Sozial isoliert und geächtet, wenden sich befreundete Kollegen ab. Es entstehen Angst und Minderwertigkeitsgefühle.

Der "Mobbing-Report" ist die erste repräsentative Studie zum Thema in Deutschland, 2002 vom Bundesministerium für Arbeit in Auftrag gegeben. Dort steht zu lesen, dass knapp 99 Prozent der Opfer ihre Arbeitsleistung beeinträchtigt sehen. Im einzelnen werden Demotivation (72 Prozent) genannt, gefolgt von starkem Misstrauen (68 Prozent). 58 Prozent der Betroffenen kündigen innerlich. 44 Prozent erkranken, zum Beispiel an Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Schließlich sehnt der Gemobbte nur noch eines herbei: Ruhe vor den Attacken im Betrieb. Nicht selten nimmt er den Verlust des Arbeitsplatzes in Kauf.

Was zunächst nur wie der Angriff auf eine einzelne, bestimmte Person aussieht, kann sich schnell zu Mobbingstrukturen im gesamten Betrieb ausbilden. Das Klima verschlechtert sich, dem Betrieb entstehen erhebliche Kosten durch Minderleistung, Fluktuation und Fehlzeiten. Nicht zuletzt dadurch erklärt sich das Bemühen von Geschäftsleitungen und Betriebsräten, Mobbing-Fälle nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Der Autor ist Professor für Informationsrecht in Darmstadt und Chefredakteur der Zeitschrift Kritische Justiz.

© SZ vom 16.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: