Für große Unternehmen gehört es heute zum guten Ton, ein Mentoring-Programm anzubieten. Dabei helfen erfahrene Manager den Berufseinsteigern, ihre Karriere in Gang zu bringen, und profitieren selbst davon. Nur: Warum muss das so groß aufgezogen werden? Warum funktioniert die Arbeitswelt nicht von alleine so, dass die Alten die Jungen unter ihre Fittiche nehmen?
Wenn es kein ausdrückliches Mentoring gibt, sieht es meistens so aus: Die Jungen wollen es anders machen, die Älteren sind mit sich selbst beschäftigt. Die Vision von einer kommunikativeren Arbeitswelt ist da weit weg: "Wir können uns nur von dem Punkt aus weiterentwickeln, an dem wir stehen", sagt Mentoring-Beraterin Nele Haasen aus Sauerlach bei München, die Firmen Starthilfe in Sachen Mentoring gibt.
Unter Mentoring versteht man immer noch das, was in den achtziger Jahren aus den USA nach Deutschland kam: ausführlich entwickelte, aufwendig beworbene und laut gefeierte Programme, in denen Mentor-Mentee-Tandems gecastet, zusammengebracht und begleitet werden.
Ohne derlei Brimborium scheint die Kommunikation zwischen den Erfahrungsebenen eben nicht zu funktionieren. In den Einführungen und Broschüren konkurrieren griffige Schlagworte um Aufmerksamkeit: Von der "Erweiterung der Kompetenzen" ist die Rede, "klare Ziele" werden anvisiert, und die allgegenwärtige Aufforderung zum "Netzwerken" fehlt auch nicht.
Ohne Anreiz kein Interesse
Klingt ganz so, als ob im Zeitalter der eiskalten "Was hab ich davon?"-Kalkulationen keiner mitmachen wollte, wenn er nicht einen trendigen, dem Ego schmeichelnden Anreiz geliefert bekäme. Tatsächlich interessiert sich, so die Erfahrung von Mentoring-Expertin Haasen, so mancher Manager erst dann für einen Posten als Mentor, wenn er merkt, dass er dafür die Anerkennung der Kollegen und der Öffentlichkeit ernten kann. Und so jemand soll ein Vorbild in punkto Miteinander für den Nachwuchs sein?
Haasen findet das gar nicht so problematisch, gibt aber zu, dass gewisse Führungskräfte als Mentoren fehlbesetzt sind. Vor allem jene, bei denen die Ichbezogenheit so weit geht, dass sie kein Verständnis für den Nachwuchs entwickeln können, weil sie ihre eigenen Methoden für unanfechtbar halten. Andererseits wirbt sie auch um Verständnis für den Egoismus im Management: "Viele Führungskräfte schauen so stark auf sich selbst, weil sehr hart mit ihnen umgegangen wird. Wenn sie um ihre Position fürchten müssen und extrem hohe Ziele gesteckt bekommen, haben sie den Kopf für den Nachwuchs nicht frei."
Dann sei es hilfreich, wenn ein Mentoring-Programm der Führungskraft offiziell die Erlaubnis gebe, einen Teil der Arbeitszeit für die Betreuung des Nachwuchses herzunehmen. Das garantiert aber leider nicht, dass das Kümmern zur Herzensangelegenheit wird.
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Mentoring gehört ins Programm
Christine Kurmeyer, Sozialpsychologin und Gleichstellungsbeauftragte der Berliner Charité, ist davon überzeugt, dass Mentoring in Unternehmen und Universitäten Programm sein sollte. Als Vorsitzende des "Forums Mentoring", eines Zusammenschlusses der deutschen Hochschulen, mahnt sie, dass informelle Patenschaften allein nicht reichten: Die gebe es nämlich schon seit zweitausend Jahren, unter Männern.
"Der Vorteil der modernen Mentoring-Programme ist ihre Transparenz und die Umkehrung der traditionellen Seilschaften. Wir wollen keine Mauschelei mehr, wir wollen die Soft Skills gewürdigt wissen", sagt Kurmeyer. Die meisten Uni-Programme richten sich daher an Frauen, die trotz herausragender Fähigkeiten bei der Besetzung von Spitzenposten ignoriert werden.
Nichts gegen Frauen in Führungspositionen, aber wird hier nicht der zweite Schritt vor dem ersten getan? Müsste es nicht darum gehen, überhaupt erst mal eine Verbindung zwischen Nachwuchs und Führungskräften herzustellen, die über ein höfliches Nicken auf dem Flur hinausgeht? Die fehlt vielen männlichen Berufseinsteigern genauso wie den weiblichen. Müsste es nicht darum gehen, Mentoring von allen für alle zu machen?
So wie die meisten Programme organisiert sind, mit strengen Bewerbungsverfahren für die Mentees, darf sich der unentschlossene, durchschnittliche Berufseinsteiger, der unter Anleitung auch noch einiges aus sich herausholen könnte, jedoch kaum Hoffnung auf einen Paten machen. Stattdessen kommen - wieder einmal - die Überflieger zum Zuge.
Aus gutem Grund, findet Beraterin Haasen: "Mentoring ist nicht für jeden das richtige Förderungsmittel. Ein Mentee muss nämlich selbst wissen, wofür er seine Betreuung nutzen will. Und das können erfahrungsgemäß eher diejenigen, die sich auch vorher schon durch Eigeninitiative und ausgezeichnete Leistungen hervorgetan haben."
Keine losen Partnerschaften
Und nur durch offizielle Richtlinien, sagt sie, könne klar definiert werden, dass Mentoring eine regelmäßig unterhaltene berufliche Beziehung ist, die der Persönlichkeitsentwicklung dient. Lose Patenschaften zwischen Schülern und Studenten gehörten genauso wenig dazu wie kurzfristige Teams aus Praktikanten und Betreuern. "Wenn der Begriff Mentoring verwässert wird, werden die Beteiligten in ihren Erwartungen enttäuscht und haben am Ende noch weniger Verständnis füreinander und noch weniger Lust auf Kommunikation als vorher", warnt Haasen.
Offenbar sind nicht alle so weit, dass der Zusammenhalt zwischen den Hierarchieebenen ohne Inszenierung funktionieren könnte, sodass Berufseinsteiger durch die Bank davon profitieren könnten. Soll dieses Ziel irgendwann erreicht werden, muss stilles, persönliches, nicht organisiertes Engagement, wo immer es stattfindet, gewürdigt werden. Denn am Ende zählt nicht, wie viele tolle Programme es gibt, sondern inwieweit sich der Gedanke, der hinter dem Mentoring steckt, verselbständigt hat und zu selbstverständlicher Hilfsbereitschaft im Berufsalltag geworden ist.
Die Expertinnen Haase und Kurmeyer sind zuversichtlich, dass dies eines Tages eintreten wird. Christine Kurmeyer freut sich, dass ihre Mentees immer wieder auch skeptische Manager zum Mentoring bekehren: "Nun wollen wir noch erreichen, dass Mentoring ein kontinuierlicher Bestandteil der Studienberatung und der Personalentwicklung wird."
Haasen kennt durchaus Firmen, in denen das Miteinanderreden schon jetzt in vielen Bereichen verankert ist: "Wenn die Mentees von heute merken, wie sehr sie vom Kontakt zu den erfahrenen Managern profitieren, werden sie als Führungskräfte eine Kultur gestalten, in der diese Vernetzung noch viel selbstverständlicher sein wird als heute."