Mein Kollege sagt ...:"Ich mach heut früher Schluss"

Lesezeit: 2 min

Mancher Kollege hat Perfektion darin erreicht, Arbeit und Stress nur vorzutäuschen. Frei nach dem Motto: Durch Nichtstun ist schon viel Unheil verhindert worden.

Julia Bönisch

Stress zu haben, ist sozial erwünscht. Wer nicht jammert über Zeitdruck, Hetze und Überstunden, der befindet sich in der unternehmenseigenen Hackordnung noch unter Praktikanten. Nur wer regelmäßig "Ich hab so viel zu tun" in die Ohren der Kollegen stöhnt, setzt sich standesgemäß in Szene. Und nur wer mit hektischen Schritten durch die Flure eilt, so dass die raschelnden Hosenbeine den anderen in den Ohren dröhnen, stellt tagtäglich seine eigene Bedeutung unter Beweis: Ohne ihn, so die deutliche Botschaft, bräche der ganze Laden zusammen. Und das sofort.

Ganz beschäftigt tun, aber Solitaire spielen - das ist die Taktik des Faulen. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Natürlich wissen wir insgeheim, dass sich mindestens 80 Prozent der Arbeit vollkommen geräuschlos erledigen ließe, aber dann würde sie auch viel weniger Freude machen. Klappern gehört zum Handwerk, und das geht so lange in Ordnung, wie der Kollege tatsächlich etwas wegschafft.

Leistungsbilanz eines Murmeltiers

Viel schlimmer sind aber die, die jammern, sich in Szene setzen, hektisch umherlaufen, theatralisch stöhnend auf ihrem Schreibtischstuhl hin- und herrutschen - deren Output sich aber mit folgendem Wort zusammenfassen lässt: null.

Natürlich, wir alle kennen diese Tage, an denen sich das Tief nach der Mittagspause bis in den Abend hineinzieht und die persönliche Leistungsbilanz bei Sonnenuntergang der eines Murmeltiers im Winterschlaf gleicht. Jeder ist mal faul, verbringt den Nachmittag damit, private E-Mails zu schreiben, online eine Reise zu buchen oder Solitaire zu spielen.

Mit 30 noch nie geknutscht

(Darüber spricht man nicht, ist schon klar. Schließlich wetteifern wir alle um den Wer-arbeitet-am-meisten-Pokal. Zuzugeben, man habe gerade nichts zu tun, ist ungefähr so schockierend wie das Geständnis, man sei 30, habe aber noch nie geknutscht. Also weiter.)

Manche Kollegen haben diese Art der Arbeit, besser: Nicht-Arbeit, jedoch zu einer Kunstform erhoben, die ihresgleichen sucht. Zur morgendlichen Konferenz kommen sie prinzipiell zu spät, gehen sich zwischendrin einen Kaffee holen und gehen früher wieder raus. In den zehn Minuten, die sie trotzdem anwesend sind, melden sie sich aber mindestens drei Mal zu Wort. Sonst merkt ja keiner, dass sie da sind.

Auf der nächsten Seite: Fleiß könnte ja ansteckend sein - wie unangenehm.

Anblaffen und zurückstarren

Dann eilen sie geschäftig an ihren Schreibtisch zurück, den sie über und über mit Dokumenten, Aktenordnern und Schmierpapieren übersäen. Nachdem sie alle auffindbaren Zettel auf diese Weise strategisch geschickt verteilt haben, ist das Tagwerk schon getan. Frei nach dem Motto: Durch Nichtstun ist schon viel Unheil verhindert worden.

Diejenigen, die es in dieser Disziplin besonders weit gebracht haben, tun nicht nur selber nichts, sondern halten andere Kollegen auch gern von der Arbeit ab - Fleiß könnte ja ansteckend sein. Deshalb ziehen sie von Büro zu Büro und laden andere zum Plaudern ein. Sie beginnen die Konversation mit solch gehaltvollen Sätzen wie: "Und?" Danach herrscht erst mal Stille.

In die Flucht geschlagen

Tja, was wäre eine adäquate Antwort? Nur der Hilfsbereite ist so ungeschickt und lässt sich in ein Gespräch verwickeln. Der Profi antwortet lediglich "Mmh", starrt konzentriert auf seinen Bildschirm und tippt weiter. Der Schlechtgelaunte dagegen blafft "Was, und?" und starrt zurück.

Auf diese Weise in die Flucht geschlagen, verzieht sich der Faule wieder an seinen Schreibtisch zurück und verwendet seine komplette Energie darauf, möglichst beschäftigt auszusehen - bis er um Viertel vor vier die erlösenden Sätze spricht: "Heute war's mal wieder so chaotisch hier, ich bin jetzt fix und fertig. Ich mach heut früher Schluss." Weg ist er - und seine Arbeit dürfen die stillen, unauffälligen erledigen, die sich nie beklagen würden, aber genau deshalb nie befördert werden.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: