Mein Kollege sagt ...:"Hast du mal 'nen Kuli?"

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Neben teuren Laptops, Firmenhandys oder Beamern herrscht ausgerechnet am Billigsten permanenter Mangel in Büros: Kugelschreiber sind nie genug vorhanden.

Julia Bönisch

Wie haben die das bloß in den Siebzigern gemacht, als der normale Angestellte im Büro noch ohne Computer auskommen musste? Damals brauchte tatsächlich jeder einen Stift, um sich Notizen zu machen, spontane Ideen festzuhalten oder sogar, um einen längeren Text zu schreiben. Kuli statt Laptop, Blackberry oder PDA.

Kugelschreiber: Jeder gehört mal zu den Tätern, mal zu den Opfern des Stifte-Diebstahls. (Foto: Foto: dpa)

Dabei herrscht doch auf nahezu jedem Schreibtisch notorische Stifte-Knappheit. Papier ist dank Post-its und druckfanatischer Kollegen immer genug vorhanden. Aber Stifte? Davon gibt es immer zu wenig. Die durchschnittliche Büroausstattung besteht aus einem Bleistiftstummel, bei dem die Mine abgebrochen ist. Dazu noch ein Kugelschreiber, der schmiert und hässliche Flecken auf der Haut hinterlässt, und ein schwarzer Edding. Der besonders gut Ausgestattete verfügt dazu noch über Textmarker in zwei verschiedenen Farben, deren Kraft aber höchstens ausreicht, um drei Wörter zu markieren.

Da diese Utensilien also entweder nicht funktionieren, oder - im Falle des schmierenden Kulis - im entscheidenden Augenblick eigentlich nie zur Hand sind, ist es im Prinzip kaum mehr möglich, handschriftlich Aufzeichnungen festzuhalten. Außer, ein Kollege stellt seinen Stifte-Vorrat zur Verfügung. Auf die Frage "Hast du mal nen Kuli?", reicht er hilfsbereit seinen letzten verbliebenen herüber - um dann selber ohne dazustehen.

Mundraub für Geistesblitze

Das ist an sich noch in Ordnung, schließlich hat er den Stift freiwillig aus der Hand gegeben. Aber es gibt auch solche Mitarbeiter, die kurz ins Zimmer schneien, mal eben etwas besprechen wollen, die Absprache in ihrem Kalender notieren und dazu ganz selbstverständlich den Stift des Gegenübers benutzen. Und dann mit ihm in der Hand den Raum verlassen. Aus lauter Gedankenlosigkeit ist man also schon wieder einen Kuli los.

Außerdem gibt es die Verzweifelten, die spät abends ganz allein im Büro noch schuften müssen. Die Sekretärin ist schon weg, und mit ihr der Schlüssel für den Materialschrank. Da bleibt ihnen ja gar nichts anderes übrig, als sich im Fundus ihrer Kollegen zu bedienen. Nach getaner Arbeit denkt natürlich niemand mehr daran, das entwendete Objekt zurückzulegen.

Auf diese Weise wandern sieben Kugelschreiber über 33 Schreibtische und jeder gehört mal zu Tätern, mal zu Opfern des Stifte-Diebstahls, der im Prinzip mit Mundraub vergleichbar ist. Wie sonst sollte man spontane Geistesblitze festhalten, wenn man sich nicht den Kuli des Kollegen "borgt"?

Auf der nächsten Seite lesen Sie, mit welcher Maßnahme die Firma die Versorgung des Einzelnen noch retten kann.

Gelackmeiert sind in diesem System des ständigen Gebens und Nehmens nur solche, die partout nicht ohne ihren Lieblingskuli arbeiten können. Denn genauso, wie es Kaffeetrinker gibt, denen ihr Morgenkaffee nur aus dieser einen, ganz bestimmten Tasse mit dem rosa Blümchendekor schmeckt, gibt es Angestellte, die nur mit diesem einen, ganz bestimmten Stift schreiben können, der so schön fein über das Papier fliegt, ohne mit hässlichen Kratzgeräuschen ihre Konzentration zu stören. Wenn so ein Wunderstift verloren geht, ist eine Schreibblockade programmiert. Solche krankhaft Fixierten suchen lieber Stunden nach dem Objekt ihrer Sehnsucht, als ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen und sich an einen neuen Kugelschreiber zu gewöhnen.

Angesichts dieses permanenten Mangels an Büromaterial kann die Firma die Versorgung des Einzelnen nur mit einer Maßnahme retten: der Einführung der Clean Desk Policy. Dabei hat kein Kollege einen festen Platz mehr, jeden Tag müssen sich alle einen freien Schreibtisch suchen. Ihre gesamte Habe - inklusive Kugelschreiber - verstauen sie dazu allabendlich in diesen praktischen, aber hässlichen Rollcontainern. Den schieben sie am nächsten Morgen zu einem anderen Arbeitsplatz, der ebenfalls blitzblank ist. Keiner fühlt sich mehr durch Notizen, ausgedruckte E-Mails oder an den Monitor gepappte Post-its gestört.

So sorgen die Kollegen nebenbei auch noch für ein zugegeben sehr unpersönliches, aber ordentliches Ambiente. Zwar verlagert sich das Chaos nur vom Schreibtisch auf den Computer-Desktop (statt der Altpapierstapel auf dem Boden finden sich nun hier unzählige kryptisch benannte Dokumente), doch wenigstens der Besitz des Kugelschreibers ist gerettet.

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